Hallo zusammen,
danke für die weiteren Rückmeldungen. Sehr hilfreich.
Zunächst mal schnell:
Frühjars-Netz ist ein blöder Tippfehler, den ich obendrein auch noch in die Alternativversion kopiert habe. Es sollte natürlich
Frühjahrs-Netz heißen. Der große Nachtteil einer Copy&Paste-Gewohnheit
Ich persönlich finde die Form von Gedichten immer noch sehr wichtig und sehe auch in der sogenannten freien Form im Wesentlichen wohlgeformte Texte, die eben keiner klassischen Formvorlage entsprechen. Daraus resultiert auch die Alternativversion, die auf den ersten und den letzten Vers verzichten und so einen formellen Rahmen entfernen. Quasi: ganz oder gar nicht.
Würde ich nun nur den ersten Vers streichen, ergäbe sich für die Form des Gedichtes die Konsequenz, dass sich der letzte Vers wie ein Fazit zu einer Beobachtung lesen würde. So ist der Vers aber nicht gemeint. Ich meine ihn als natürliche Reaktion auf den ersten Vers (und auf das ganze Gedicht), eine Reaktion, die eine gewisse innere Verzerrung offenbart, der das Gedicht folgen muss, weil es ja sein Rahmen ist, der auf diese Weise verzerrt ist.
Der abstrakte Rahmen zeigt weniger auf das Exempel einer Liebe, das die Bildebene hergeben kann (oder auch nicht), sondern auf so etwas wie kulturelle Bedingtheiten. Beispiel:
Der Slogan "make love not war" bedeutet ja auch eine politische Instrumentalisierung der Liebe. Welche Konsequenzen ergeben sich aus einer solchen Art zu denken? Es ergibt sich eine Pflicht zu lieben, eine Groteske sondergleichen, die sich schon im Christentum wiederfindet. Noch mehr bezeichnet sie aber den Zustand der nichtbeständigen Ehe unserer heutigen Gesellschaft. Eine Vernunftsehe, wie sie irgendwann vielleicht einmal üblich war, ist beständig. Eine Liebesehe ist nur so beständig wie die Liebe. Welchen Platz hat aber die Liebe bis in den Tod in unserer Gesellschaft? Besonders, wenn ein gewisser gesellschaftlicher Zwang besteht, sich verlieben zu sollen? Sollte die Liebe eine so existentielle Angelegenheit sein wie der Sinn des Lebens, dann reagieren wir ganz natürlich, wenn wir unser Leben danach ausrichten, uns auf Teufel komm raus zu verlieben.Was kann ich zu den ungelenkigen Worten wie "füreinander", "nebeneinander" sagen? Nun es sind nicht die einzigen Worte in diesem Text, die sich ihrer Gestalt nach einer leichten Lektüre versagen. Zunächst einmal kommen die Adjektive der letzten Zeile hinzu. Aber auch Schatten, Baum, Maschen, Himmel sind nicht gerade lyrische Worte, eher muten sie plump und allgemein an, oder abgedroschen. Sie beschreiben ein lyrisches Bild letztlich auf etwas unbeholfene Weise.
Für die Architektur des Textes bedeutet das, dass sich hier wiederholt, was inhaltlich bei den Protagonisten geschieht. Es ist nicht der Liebesbaum, der über die Protagonisten wächst, es sind die Protagonisten, die den Baum mittels ihrer Vorstellungskraft konstruieren und bei dem Versuch scheitern, zu kaschieren, dass es sich um ein Konstrukt handelt. Sollte es sich aber bei der Liebe um eine ihrer Natur nach konstruierte Sache handeln, dann machen sie alles goldrichtig. Dann bleibt aber der Zweifel zurück, ob das Konstrukt nicht die "wahre" Liebe verbirgt.
Dass es am Ende gar nicht die Liebe ist, die hier scheitert -sie ist halt mysteriös, sie ist halt schwulstig und man kann halt nie wissen, ob man wirklich verliebt ist (diese Spannung gehört dazu)-, sondern dass es am Ende die Vernunft ist, die scheitert, darauf weist vor allem der Konflikt zwischen Für- und Nebeneinander hin. (Stehen eigentlich die Zeilen des Gedichts für- oder nebeneinander?) Der Konflikt ist zwar auch enthalten im ungleichmaschigen, unordentlich rationalen Netz, das vor den Himmel gespannt ist, aber nicht auf diese prägnante Weise. Ohne das Füreinander für und neben dem Nebeneinander als Vorabinformation zur Tragweite des Textes würde der Schlussvers als Urteil wirken, als Feststellung, dass Vernunft hier nichts zu suchen habe. Aber Vernunft ist ja der Urheber dieser Liebesvorstellung, das Motiv dieser beiden vielleicht Verliebten. Dieser Aspekt, der auf die vernünftige Schöpfung der Liebe verweist, entsteht nicht durch Konnotationen des Paradiesbaumbildes oder durch das Fazit der letzten Zeile.
Ich habe mich deshalb entschieden die erste Version zu behalten.
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Die Frage "Wie tief ist das Wasser?" stammt aus dem Kinderspiel "Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser". Der Bezug zu "stille Wasser sind tief" funktioniert hier wirklich nicht so gut, daran habe ich nicht gedacht.
Im Bezug zum Kinderspiel meint das natürlich auch kindliche Vorstellungen von Liebe, denen -für mich- jeder Testversuch, ob es sich bei einem Gefühl, was man hegt, tatsächlich um Liebe handelt, gleichgestellt ist. Worauf kann der Test denn zur Kontrolle zurückgreifen als auf irgendwelche allgemeinen Vorstellungen, wie Liebe angeblich zu sein habe?
Darüber hinaus wird natürlich auch der Wechsel des Mediums zwischen Liebe und Vernunft, zwischen Wasser und Luft angesprochen. Die letztendliche Vereinbarkeit und Unvereinbarkeit. Außerdem geht es noch um die Sinnhaftigkeit von unendlichen tiefen Begriffen.
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Die Schreibweise von Frühjahrs-Netz soll in der Tat einen Witz erklären, aber einen, von dem ich meine, dass er erst dadurch entstehen kann, dass darauf aufmerksam gemacht wird. Da mir aufgefallen ist, dass ich gar nicht so ein Fan von lyrisch anmutenden Worten, sondern eher vom Einfachen und Direkten bin, habe ich mir Gedanken über die Vorteile solcher Worte gemacht und mir ein Konzept ausgedacht, dass ich Prototypenlyrik nenne. Mit sehr allgemeinen Begriffen arbeitend soll zunächst die Vorstellungskraft des Lesers selbst die Montur des Gedichtes weit möglichst vornehmen, der Leser bekommt also die größtmögliche Freiheit. Rückbeziehend auf die tatsächliche formelle Struktur des Textes soll diese Freiheit aber in Frage gestellt werden, insofern, dass auf alles Undenkbare hingewiesen wird zu dem die Vorstellungskraft bei aller Freiheit gar nicht fähig sein kann. Es sollen kulturelle Bedingtheiten des Denkens aufgezeigt werden und daran die Konstruiertheit der eigenen Gedankenwelt entlarvt werden.
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Oh nein, ich war mal wieder in Plauderlaune
LG
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