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Beichte

Verfasst: 19.05.2009, 22:15
von Sam
Beichte


Ich habe gebetet, glauben Sie mir.
Hab’ doch dieses schöne Gesicht gesehen,
diesen Mund, der
auf die allerzärtlichste Weise geschlossen war,
diese glatte, vorurteilsfreie Stirn.
Alles an dem Mädchen erschien mir so rein.
Darum verstehe ich auch nicht,
warum er nichts getan hat.
Ich habe ihm gesagt, wenn es dich gibt,
wirst du das verhindern.
Du wirst, habe ich ihm gesagt,
es nicht zulassen.
Da hatte ich schon den Lauf
in ihren unschuldigen Mund geschoben und
mich gewundert, dass sie nicht aufwachte.
Er aber schwieg, als wäre es ihm egal. Oder,
als wäre er tatsächlich nur ein Traum,
den unsere Vorväter einst träumten.
Und ich drückte ab, weil ich mir dachte,
wenn es ihn nicht gibt,
welchen Platz hat dann die Schönheit in dieser Welt.

Verfasst: 19.05.2009, 22:40
von Thomas Milser
Wow! Eine Atemlosigkeit, die ihresgleichen sucht. Endlich mal ein Gedicht, was richtig Zuch hat. Auch gute Setzung, der Sprache entsprechend. Die Pausen, das Luftholen richtig.

Verneige mich, der Herr.

Tom

p.s.:
"Darum verstehe [...] auch nicht, ..."
muss da nich ein 'ich' rein? Oder lese ich das falsch?

Verfasst: 19.05.2009, 22:55
von Sam
Hallo Tom,

dank dir!

Habe tatsächlich das "ich" vergessen. ( nach zigfachem Korrekturlesen)

Werde das gleich ausbessern.


Danke nochmals

Liebe Grüße

Sam

Verfasst: 19.05.2009, 23:02
von Thomas Milser
Macht zehn Euro plus Spesen...

Tröste dich ... du glaubst nicht, wieviel Fehler ich rausgegeben hab, nach hundert Mal Lesen ...
Frach ma deine Göttergattin ... :o)))

Verfasst: 19.05.2009, 23:25
von Sam
Tröste dich ... du glaubst nicht, wieviel Fehler ich rausgegeben hab, nach hundert Mal Lesen ...


Ist trotzdem peinlich bei einem so kurzen Gedicht...

Aber das Eidetische steht dem Lektorischen manchmal im Weg.

Verfasst: 19.05.2009, 23:53
von Elsa
Lieber Sam,

Gott schweigt, womit die Schönheit jedes Recht verspielt hat.

Ich habe gestern "Ein halbes Leben" mit Josef Hader im ZDF gesehen. Ein sehr guter Film, der mir jetzt eingefallen ist, beim Lesen deines Textes.

Vielleicht sind Gedanken, wie hier beschrieben, eine Grundlage für all die Tötungen, die sich häufen? Weil die Welt keine Schönheit/Undschuld mehr verdient? Weil Gott tot ist?

Gedankenvolle Grüße
ELsa

Verfasst: 20.05.2009, 00:28
von Thomas Milser
... peinlich ist, KEINE Gedichte zu scheiben ...

Verfasst: 20.05.2009, 00:37
von Mucki
Hi Sam,

ein schauriger Text, der mir regelrecht Gänsehaut bereitet. Die darin enthaltene Aussage hast du wirklich auf die Spitze getrieben, so dass es einen richtig aufreibt, gar nicht loslässt.

Saludos
Mucki

Verfasst: 20.05.2009, 10:08
von Sam
... peinlich ist, KEINE Gedichte zu scheiben ...


Das sagen meine Freunde vom Bikerclub und dem Kampfsportverein auch immer. :mrgreen:


Hallo Elsa,

Dank dir herzlich fürs Lesen. Und die Fragen, die du stellst - ja, die stelle ich mir auch. Es läuft ja alles irgendwie auf die Sinnfrage hinaus, die man zwar nicht beantworten, aber immer wieder stellen kann.


Hallo Mucki,

auch dir vielen Dank. Wenn du sagst, dass dich das Lesen richtig aufreibt, kann ich das gut nachvollziehen. Mir ging es beim Schreiben genauso. Ich habe das Gedicht zwar nicht auf diese Wirkung hin geschrieben, aber es freut mich, wenn es eine solche erziehlt.


Liebe Grüße

Sam

Verfasst: 20.05.2009, 13:23
von Elsa
Lieber Sam,

man m u s s die Fragen wohl immer wieder stellen, in der leisen Hoffnung auf Antworten, die
helfen könnten ...

Lieben Gruß
ELsa

Verfasst: 24.05.2009, 21:23
von Sam
Ob es Antworten gibt, liebe Elsa, weiß ich nicht. Aber eins ist sicher: Je unbequemer und brennender die Fragen, desto dringlicher ist das Bedürnis, sich schreibend die Möglichkeit von Antworten wenigstens ein kleines bisschen vorzugaukeln.

Vielen Dank!

Liebe Grüße

Sam

Verfasst: 25.05.2009, 10:23
von Nicole
Lieber Sam,

immer wieder bekomme ich Gänsehaut beim Lesen dieses Gedichts...

Du verpackst den Fatalismus in eine beängstigende Form.
Oberflächlich "nur" die Gedankengänge eines Irren (auch wenn dieses Wort zu gering ist...), der einen Gott herausfordert. Eine Horror-Szene, ohne sichtbar blutrünstig zu sein. Gerade die fast liebevolle Betrachtung des Kindes erzeugt bei mir unbeschreibliches Grauen.

Verläßt man dieses Bild, versinnbildlicht das Kind, wird die Tragweite Deiner Worte noch um einiges quälender...

Sicher kein schönes Gedicht, fast fällt es mir schwer, es als "gut" zu bezeichnen. Mit Sicherheit aber eines der besten.

Chapeau, Nicole

Verfasst: 25.05.2009, 15:31
von Yorick
Hallo Sam,

wirklich schön gemacht.
Habe es mit wachsendem Unwohlsein gelesen, bis zum letzten Satz, der einem wie die Tür auf die Nase fällt und ein taubes Kribbeln hinterläßt.

Und da die Wirkung ja da war bei mir, habe ich keine Ahnung, ob mir die Dinge, die mir bei den nächsten Lesungen aufgefallen sind, überhaupt eine Bedeutung haben. Und dann dachte ich mir: Mensch, dass muss ja gar nicht ich entscheiden, wie schön! Hier also:

Den geschlossenen Mund habe ich nicht verstanden. Er ist geschlossen, dann schiebt er den Lauf hinein. Davon würde man wohl aufwachen, merkwürdig. Es wird sogar betont, dass sie nicht aufwacht, also irgendwie wichtig. Hat das eine weiterführende Bedeutung? Ich krieges das nicht rechz zusammen...

Ist das LI ein schlichter Mensch? Ich hatte diese Assoziation aufgrund der Wiederholungen und des ersten "Hab". Aber dazu passt m.E. nicht der sehr poetische Stil ("allerzärtlichste", "Traum der Vorväter, etc). Mh. Das schlichte Gemüt scheint mir für den Text recht wichtig. Bei den poetischen Formulierungen bin ich mir nicht so sicher.


"Da hatte ich schon den Lauf
in ihren unschuldigen Mund geschoben"

Das ist mir sofort aufgefallen. Das war mir zu dicke. Der Beigeschmack ist deutlich, nicht nur metallisch, ist klar. Aber durch das "unschuldig" wird es m.E. recht fett, das Bild würde auch ohne reichen. Fast klingt es nach Hascherei...


viele Grüße,
Yorick.

Verfasst: 25.05.2009, 17:58
von Sam
Liebste Nicole,

vielen Dank!

Mir geht es ja selbst so, dass ich immer noch Herzklopfen bekomme, wenn ich das Gedicht lese...

Und du hast Recht, schön ist es wirklich nicht. Aber das, was raus wollte, ist hier in der für mich bestmöglichen Form geschehen. Deswegen halte ich es auch für eines der Besseren und freue mich, dass du es genauso siehst, auch was die Vielschichtigkeit des Textes angeht.



Hallo Yorick,

dir auch vielen Dank für deinen Kommentar!

Ich fang mal hinten an:

"Da hatte ich schon den Lauf
in ihren unschuldigen Mund geschoben"

Das ist mir sofort aufgefallen. Das war mir zu dicke. Der Beigeschmack ist deutlich, nicht nur metallisch, ist klar. Aber durch das "unschuldig" wird es m.E. recht fett, das Bild würde auch ohne reichen. Fast klingt es nach Hascherei...


Mit dem Vorwurf der Effekthascherei muss man immer rechnen, wenn man sich eines solchen Themas annimmt. Das ist auch durchaus legitim, denn jeder Leser empfindet unterschiedlich.

Mir erscheint das "unschuldig" hier insofern passend, weil es den in den Versen zuvor beschriebenen Konflikt noch verstärkt - das Nichteinschreiten Gottes. Es geht hier ja u.A. um eine Verschiebung der Verantwortung, eine Art negative Theodizee. Der Aspekt der Schuld ist also nicht unwichtig. In ähnlicher Äeise müssen auch die anderen Beschreibungen des Mädchens gelesen werden.


Den geschlossenen Mund habe ich nicht verstanden. Er ist geschlossen, dann schiebt er den Lauf hinein. Davon würde man wohl aufwachen, merkwürdig. Es wird sogar betont, dass sie nicht aufwacht, also irgendwie wichtig. Hat das eine weiterführende Bedeutung? Ich krieges das nicht rechz zusammen...


Nun, das Aufwachen wäre eine Art des Einschreitens von Oben. Bzw. ist das Nichtaufwachen ein Zeichen der Zulassung.
Es kann aber auch eine andere Bedeutung haben. ein Leser in einem anderern Forum, sah bei diesem Gesicht eine junge Frau vor dem Spiegel sitzen, die sich selber erschiesst. Hier würde das Nichtaufwachen wieder einen anderen Aspekt bekommen.
Desweiteren kann man das Mädchen ja auch symbolhaft sehen, wie es Nicole schon angedeutet hat. Z.B. als Zeichen der Wehrlosigkeit, des Ausgeliefertseins.


Ist das LI ein schlichter Mensch? Ich hatte diese Assoziation aufgrund der Wiederholungen und des ersten "Hab". Aber dazu passt m.E. nicht der sehr poetische Stil ("allerzärtlichste", "Traum der Vorväter, etc). Mh. Das schlichte Gemüt scheint mir für den Text recht wichtig. Bei den poetischen Formulierungen bin ich mir nicht so sicher.


Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren mal einen Text über einen Verkäufer geschrieben hatte, der die Gelegenheit zu einem Seitensprung bekommt. In dem Text bezeichnet er den Körper der jungen Frau als Zeitmaschine, mit der in die Tage jugendlicher Unbekümmertheit zurückreisen könnte. Da gab es dann einige, die meinten, ein Verkäufer würde das nicht so ausdrücken. Nun denn, ich bin selber Verkäufer...

Schlichte und einfache Menschen drücken sich nicht selten poetisch aus. Sie tun es aber nicht unbedingt absichtlich. In diesem Falle meine ich sogar, dass die Ausrucksweise eigentlich nicht wirklich poetisch ist. "Allerzärtlichste" klingt eher ein wenig hilflos und würde in einem "poetischen" Gedicht wahrscheinlich sogar negativ auffallen. Auch der Begriff "Traum unserer Vorväter" ist eher ein Simplifizierung.

Mir ging es in der Wahl der Sprache darum, einen Ton zu finden, der den verschiedenen Ebenen des Gedichtes entspricht, aber auch der beschrieben Situation, nämlich den der Beichte. Das "habe" ist deswegen auf "hab'" gekürzt, weil es eine gewisse Emotionalität in das Gesprochene bringt.
Für mich lese ich die Zeilen nämlich nicht unbewegt gesprochen, sondern im Echo jener Emotion, die die eigentliche Tat begleiteten.


Liebe Grüße an Euch Beide und nochmals vielen Dank!

Sam