harmonieleere

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Niko

Beitragvon Niko » 01.12.2008, 16:20

vom Autor gelöscht
Zuletzt geändert von Niko am 07.06.2009, 16:21, insgesamt 1-mal geändert.

ecb

Beitragvon ecb » 02.12.2008, 07:33

lieber niko,
im grunde sagt der titel zu viel, denn im gedicht findest du sehr starke, sprechende bilder und wortbildungen für das, was da passiert - das wäre meine einzige krittelei an diesem text, den ich ganz ausgezeichnet finde.

lg eva

Max

Beitragvon Max » 03.12.2008, 00:50

Lieber Niko,

ich fürchte, ich schreibe Sätze, die ich schon zu anderen Deiner Texte geschrieben habe:

Die Überschrift ist mir zu verspielt. Wenn man das Wortspiel 'überwunden' hat, bleibt ein Wort, das den Text erklärt.

Vielleicht ist das aber auch gut so, denn den Rest des Textes verstehe ich nur partiell. Da sind sehr viel Ahnungen drin. Sätze wie

vor den worten trifft sich der schall
hinterrücks erdolcht vom geloteten


bleiben mir auch nach mehrfachem Lesen unverständlich. Vielleicht habe ich die falsche Wellenlänge (apropos Schall) für dieses Gedicht.

Liebe Grüße
Max

Last

Beitragvon Last » 03.12.2008, 11:06

Hallo Niko,

ich gebe meinen Vorrednern teilweise recht. Der Titel hinkt ein wenig. Einerseits, weil das Wortspiel -lehre/-leere nicht viel hergibt, andererseits, weil er sehr erklärend in das Textgeschehen eingreift, das sehr assoziativ gehalten ist.
Aber mich stört es scheinbar weniger. Wenn das, was Max das Wortspiel überwinden nennt, erstmal vollbracht ist, und es geschieht recht schnell(*), steht dort eine Wortneuschöpfung, über die es sich durchaus lohnt nachzudenken. Ihre Bedeutung ist nämlich gar nicht mehr so kalkulierbar, wie es im Wortspiel als Gegenpol zur Harmonielehre noch schien. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Leere Harmonie, oder die Harmonie Leere erzeugt, oder ob gerade das Fehlen der Harmonie die Leere ausmacht. Kurz gefasst, es stellt sich die Frage nach ihrer Verbindung, die erst im Text geklärt werden kann.

(*) Man braucht nur das Assoziative deines/deiner Texte im Titel vermuten. Nur eben etwas mehr auf den sprachlichen Bereich und etwas weniger auf den bildlichen Bereich.

Das Gedicht fährt nach dieser Vorprägung starke Geschütze auf. In seinem assoziativen Vorbeiziehen zeigt es bei mir große Wirkung.
Allein schon die sich öffnende Tür, die ich im inneren Auge habe, wenn geklopft wird und die dort zur Begrüßung einen Haufen vermooster Steine setzt, vielleicht das Grab eines Reisenden, der vor langer Zeit seinem Weg zum Opfer fiel(?), vielleicht einfach eine kahle Region, in der sich Menschen selten freiwillig aufhalten. Die Wirkung zu erklären fällt mir schwer, es ist eher wie in einem Traum, Geschehen, Bilder und Gefühle bilden eine Einheit, die ihren Sinn verliert, wenn man drüber nachdenkt und dabei "aufwacht". Deshalb kann ich nur andere Bilder an den Text knüpfen.
An dieser stelle weise ich darauf hin, dass ich mich nicht in den rein bildlichen Assoziationen verlieren möchte, es stehen auch im eigentlichen Text sprachliche daneben, die ich nicht übersehen möchte.
Hierzu teile ich den Text erst einmal in drei Sinneinheiten (//), und trenne jede von ihnen wiederum in innere Abschnitte (/). Das ist nicht als Kritik oder Vorschlag zu sehen, sondern nur als Interpretationshilfe für mich.


1 hinter dem klopfen
an der türe/ ein steinhaufen
moosbenetzt//

2 vor den worten trifft sich der schall
hinterrücks erdolcht vom geloteten/
schmiere gestanden die pausen
heute brückenlos//

3 im vokabular gesehnte
harmonie/
bis auf weiteres


Ich begebe mich nun in Sinneinheit 2. Das Begrüßungsritual wird fortgeführt, doch nur äußerlich, man kann nicht von so etwas wie einer herzlichen Begrüßung sprechen, eher von dem aufsagen der Formeln. Eigentlich nicht einmal dem, es trifft sich nur der Schall, die begrüßung ist also nur noch als das erahnbar, was vielleicht an dieser Stelle geschehen sollte. Davon sind wir aber auf's Äußerste entfernt.
Dann folgt eine sprach-assoziative Zeile. Die Geloteten, sind auch Gerichtete. Verurteilt durch den nie benannten Sprecher, der auch gleich eine Begründung seines Urteils abgibt: schmiere gestanden in den Pausen/ heute brückenlos. Ähnlich wie in der ersten Sinneinheit löst sich das Begrüßungsritual in Distanz auf: Brückenlosigkeit, keine Verbindung mehr zu den Gerichteten, die früher noch gedeckt wurden. Darin lag die Verbindung, die sich darin begründete, dass der Sprecher ihnen nutzte/nutzen wollte. Jetzt verurteilt er sie. Von ihnen (der ganzen Gesellschaft) will er sich nicht mehr ausnutzen lassen.

Sinneinheit 3 wechselt wieder die Assoziatinsebene. Soll heißen legt wieder einen anderen Fokus. Nicht mehr Bilder oder Klang, sondern Bedeutung (Vokabular), steht im Vordergrund. Da ersehnt sich der Sprecher eine Harmonie, die er nicht (mehr) finden kann. Darin beendet sich das assozierte (wahrscheinlich nie geschehene) Begrüßungsritual (es hat nur symbolische Funktion). Deshalb heißt es: bis auf weiteres, womit das gedicht ein offenes Ende findet, welches der Assoziativität vollends entspricht.

Wo nun die vorweggegriffene Eindeutigkeit des Titels, das zu sehr erklärende Element liegen soll, kann ich nicht mehr ausmachen. Meine Ausgangsfragen wurden nicht geklärt, sondern verschoben auf eine tiefere psychische Ebene. Einerseits sehe ich in dem fiktiven Begrüßungritual ein Sehnen nach Gemeinschaft, gleichzeitig igelt sich der Sprecher ein, flieht vor der Gemeinschaft, die er verurteilt. Er versucht die Harmonie irgendwo dazwischen zu finden, auf allen Ebenen seines Innenlebens sucht er danach, nach einer Ruhe, einer Leere, von der er nicht einmal weiß, ob sie durch erhoffte Harmonie oder durch befürchtete Leere charakterisiert wird.

Mir hat das gedicht jedenfalls viel Lesefreude und Nachdenken bescherrt. Schade, dass es nicht einen tag früher gepostet wurde, dann hätte ich meien dritte Stimme für die Monatswahl gefunden.

LG
Last


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste