Lieber Last,
tja, da bin ich wohl die einzige, die der Titel nicht im besonderen Maß gelockt hat

. Ich habe eher Vorurteile gegen solche Titel, weil ich dann erwarte, dass ein Text kommt, der nur allzu oft viel zu dicht an seinem Begriff klebt, den er auf einer neuen Ebene nutzen will. Wie schön, dass das hier nicht der Fall ist! So kann auch ich das, was dieser Begriff mit an "Propädeutik" mitbringt, genießen, er schafft ein Bett, einen Grundton des Textes, aber er drängt dem Konkreten nichts auf - es tauchen keine Nebenbegriffe von ihm im Text auf, sondern man muss die Analogie suchen/erlesen.
Zum Text: Mir gefällt er durch und durch und ich empfinde ihn auch als Lyrik, wenn ich auch erst bewusst darüber entscheiden musste. Ich gebe zu, dass es damit zu tun haben kann, dass der Text von dir ist, dass ikch weiß, dass er von dir ist, weil ich deine Eigenheit und Mischung der Sprache mag und finde, dass zwischen den beiden Tönen immer etwas liegt -- aber das muss ja nichts Falsches oder Fadenscheiniges sein: Ich jedenfalls würde auch vermuten, dass in einem rein "klassisch", "dicktönigem", "rokokotönendem" Text oder wie man es nennen mag, mich das Wort Antlitz stören würde -- aber hier ist es ganz wichtig für mich für das Mischverhältnis, eben das schräge, trotzige, einsame, das mut zum Metaphysischen hat und dann doch wieder auch ganz trocken und distanziert ist - ich musste an die Füchse im Labor denken -- ja, ich finde, das trifft es, die Sprache vieler deiner Gedichte: (um die Spannung zu halten müsste man genauer sagen: etwas
zwischen trockener Metaphysik und metaphysischer Trockenheit). ich wollte das "Antlitz" also nicht missen.
Weiter läuft der Text vor meinem Auge wie ein Film ab, ich sehe die beiden Häuserfronten (auch ein tolles Wort, dass vom Antlitz eingefärbt wird) und wie die Abende vergehen unter dem Runterziehen oder dem nicht runterziehen oder dass einer nur runterzieht usf. und wie diese Doppelbilder, wie z.B. dieses hier z.B:

Der Text beschreibt nur ein Entweder/Oder - in der Summe eine Normalverteilung, tragisch oder auch gar nicht tragisch - und gerade, indem der Text dies tut, schafft er es, wie die Doppelbilder, dass man sich fragt: Ja, was denn nun? Und damit eben doch auf etwas zu verweisen, was eigentlich nicht vorzeigbar ist, was aber schwingt. Ich finde, dass dies eben die Leistung von Kunst sein kann - dass es diese Verweise schaubar machen kann (siehe meine Signatur .-)).
Mir gefällt der Text daher sehr und er ist für mich wieder Zeuge deiner interessanten und klugen Beobachtung der Welt. Natürlich in erster Linie, weil das auch oft für mich so ist...die Welt.
Sprachliche Details:
Etwas kontraintuitiv finde ich die Pronomen/Perspektivenwechsel:
ich und sie und die beiden als sie - ich würde überlegen, ob es wirklich nötig ist, am Anfang vom Ich zu sprechen (es passt schon zu deiner Sprache...trotzdem..es ist ein bisschen zu eignsinnig vielleicht?*)
und dann könnte ich mir auch noch eine Dreigliederung* des Textes vorstellen und die Streichung von "kommuniziert wahrscheinlich" (die Ebene ist eh drin und diese Art Einbau von Kommunikation vs. "lebendigkeit" halte ich für abgegrast von der Lyrik):
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*mit dreigliederung wiederum finde ich das ich/sie/sie gut!Ein Ich drückt sein Antlitz ans Fenster.
Es streut seine Blicke auf eine Häuserfront.
Wenn gegenüber ein Mädchen am Fenster steht
und zurückschaut,
dann stellen sie fest, dass sie Nachbarn sind.
Abends ziehen sie die Rollläden manchmal runter
und machnmal nicht.
Mal geht
esniemanden
etwasan, was drinnen geschieht.
Mal
gibt es nichts zu verbergen.
(ich habe das
man eliminiert, weil ich finde, dass es eben in dem Rest des Textes steckt). Schön finde ich nämlich auch, dass man sogar von rollladen zu rollladenherab- oder nicht -herablassung zu immer neuen Mädchen und Männern/Ichs springen kann -- dass es nicht immer zwischen zweien, sondern zwischen allen hin und hergeht und dass man so eine Normalverteilung erhält nicht nur von den besonderen und den abgewiesenen Tagen, sondern auch von den passenden Momenten oder den nicht passenden - der eine möchte der anderen nichts verbergen, die aber diesem schon, jener Häuserfront aber wieder nicht und auch hier so fort..in diesem Sinne
auch ein hervorragendes Liebesgedicht.
Wie wäre es mit: Rollläden (her)runterlassen?
Ich mag an deinen Texten zudem, dass sie mir umso mehr sagen, desto länger ich von ihnen rede, dass sie sozusagen irgendwann scheinbar von mir stammen und so die Suggestion sich verstärkt.
liebe Grüße,
Lisa