Liebe Scarlett,
um dieses Gedicht bin ich mehrfach herumgeschlichen. Mir scheint, der Anlass für ein Gedicht ist die Schändung der jüdischen Friedhöfe allemal.
Der Text hat für mich sehr gut Passagen, aber auch solch, bei denen man noch an eineÜberarbeitung denken könnte.
Das Bild von der Klagemauer, die Du einfach nach Bukarest transportierst, halte ich für einen guten Ansatz - mit diesem Bild lässt sich gut in den Text einsteigen. Die erste Strophe
Die Klagemauer steht heute
in Bukarest haben die Schergen
Ausgang ungewiss sicher
im Schatten des Gebets
halte ich aber im Überbinden der Zeilen für zu verspielt. Ich als Leser verstehe nicht, was Du durch das Überbinden aussagen möchtest und die eigentliche Aussage - etwa dass diese Schweine (ich bitte die Schweine um Verzeihung) gerade die Tage zur Schändung genutzt haben, an denen den Gläubigen der Besuch der Friedhöfe untersagt ist. So jedenfalls lese ich Dein
im Schatten des Gebets
Das Bild
Jahrhunderte liegen quer
finde ich ganz stark. Auch hier bindest Du (jedenfalls denke ich das

)über und bei der Passage
Jahrhunderte liegen quer
im geborstenen Marmor
finde ich das auch vertretbar. Im Laufe der Strophe führt dieses Überbinden (das vielleicht gar nicht mehr gewollt ist, aber sich nun einmal in den Leserhythmus schiebt, wenn man es von Strophe 1 so gelernt hat) zusammen mit einem Bild zu einer Lesart, die sicher nicht intendiert ist. Wenn ich lese
im geborstenen Marmor glänzt
nur die Schande klagend
in goldene Lettern geprägt
so drängt sich mir das zugehörige Bild auf: Da liegen Grabsteine aus Marmor quer verstreut (und das ist natürlich die Schande, die Du meinst, schon klar), aber was da - immer noch - aus goldenen Lettern glänzt ist eben nicht die Schande, sondern es sind immer noch die Namen der Verstorbenen. Insofern ist der Bezug auf "Schande" hier in meinen Augen sehr unglücklich gewählt.
So wächst Europa auch
zusammen
finde ich eine sehr gute (politische) Pointe. Das Bild
lass uns
aus Tränen Stelen pflanzen
finde ich sehr stark. Was "rebecca" sozusagen als Trennlinie zwischen den Aussagen zu suchen hat, verstehe ich nicht. Mir scheint es rhythmisch an die Sulamit aus der Celanschen "Todesfuge" angelehnt und da das Gedicht thematisch auch sehr nahe daran ist, vielleicht eher lässlich.
Schließlich würde ich aus rhythmischen Gründen das "wieder" aus der letzten Zeile streichen und das letzte Wort des Gedichts drehen, also eher so:
Die Klagemauer steht heute
in Bukarest und morgen
vielleicht schon anderswo
Liebe Grüße
Max