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septembergrau

Verfasst: 18.09.2008, 16:01
von Klara
2. version:

die dunkelheit fällt früh
in diesem jahr
beginnt die kälte doch verzögerung
bleibt stur hängt sich
wie eine graue plane übers atmen
deckt die stadt
stillt angst aber verschleppt grob
jeden schritt, die langeweile
riecht nach altem
plastik und frischem urin
anderen ungreiflichkeiten
der tod
nähert sich langsam

stirbt zeit wie die liebe?
ich beiße die zähne zusammen
im nacken die karge
sonne! das denken hält tapfer die stellung: die wahrheit
ist eine formalie


zuerst:


septembergrau

die dunkelheit fällt früh
in diesem jahr
beginnt die kälte doch verzögerung
bleibt stur hängt sich
wie eine graue planen übers atmen
deckt die stadt
stillt angst aber verschleppt grob
jeden schritt riecht nach altem
plastik und frischem urin
anderen ungreiflichkeiten
der tod
nähert sich langsam

stirbt zeit wie die liebe?
ich beiße die zähne zusammen
im nacken die karge
sonne! das denken hält tapfer die stellung: die wahrheit
ist eine formalie

Verfasst: 19.09.2008, 18:05
von Max
Liebe Klara,

der Text ist nicht einfach. Du setzt ihn so, dass er sich dem Gelesenwerden widersetzt. Ich bin kein unbedingter Freund, solcher Erwschwernisse, aber ich sehe schon, dass der Texte auch keine leichten Inhalte tarnsportieren möchte, somit Form und Inhalt also harmonieren.


Nach einem Auftakt, der mir gut gefällt, ist mir der Satz
doch verzögerung
bleibt stur


ein wenig abstrakt. Dass ich diese Stelle so schlecht verstehe, ist insofern bedauerlich als mir scheinen will, dass "verzögerung" das Subjekt des gesamten folgenden Satzes ist ... und das wiederum finde ich schwierig, weil mir ich no mühsam ein Bild damit verbinde, dass Verzögerung nach altem Platik riechen kann und erst recht nicht nach anderen Unbegreiflichkeiten (das ist für mich vermutlich deshalb so schwer, weil für mich eben die Verzögerung eine Unbegreiflichkeit ist). Ich würde diese Stellen schon allein deshalb gern besser verstehen, weil ich den geruch nach altem Plastik für eine sehr scharfe Beobachtung halte .. nur eben keine, die bei mir bislang einen Zusammenhang zum Text zeigt. Das Eine Zeil später, bei

wie eine graue planen übers atmen


ist bei "planen" für mich ein 'n' zu viel.

Die zweite Strophe gefällt mir duch ihren größeren Anteil an Beschreibung besser. Die Eingangsfrage

stirbt zeit wie die liebe?


finde ich klasse ... die beiden nächsten Zeilen sind sehr schön beschreibend, die Schlussphrase
die wahrheit
ist eine formalie


hat für mich etwas sehr schön Spannungsreiches, sie schließt das gedicht nicht ab, sondern hält es frisch und offen.

Liebe Grüße
Max

Verfasst: 21.09.2008, 14:04
von Thomas Milser
Hi Klara,

für mich funktioniert dieses 'Über-die-Zeilen-Hinausschreiben' hier überhaupt nicht. Zumal ich auch den Sinn nicht erkennen kann.

In der Lesart der Zeilen ergeben sich so grammatische Kuriositäten wie "jeden schritt riecht nach altem", die es einem ziemlich unzugänglich machen (ich musste drei Mal zurücklesen und mühsam die Kausale ordnen)

Auch das Bild bzw. Odeur "Plastik/Urin" funktioniert - wenn überhaupt - für mich nur andersrum. Plastik riecht stark, wenn es frisch (hergestellt) ist. Beim Pipi eher nicht.

Max hat einige schöne Bilder genannt. Die hätte ich gerne stärker herausgearbeitet vorgefunden. Und die Überschrift ginge vermutlich auch noch etwas kreativer. 'Septembergrau' erklärt der Text schon sehr gut selbst, da würde ich was Offeneres wählen.

Tom.

Verfasst: 22.09.2008, 08:40
von scarlett
Mir gefällt der Text - bis auf die Zeile "jeden schritt riecht nach altem" - sehr gut, weil er so ganz anders daherkommt als so manches "Herbstgedicht".
Ich habe auch (bis auf besagte Zeile) keine Schwierigkeiten mit dem Zeilenübergreifenden Lesen, die Setzung entspricht hier sehr gut dem Inhalt, dem gegen-den-Strich gehen.

Was nun diese Zeile anbelangt, die könnte etwas leserfreundlicher gestaltet werden. Wenn du das magst, wirst du das auch leicht ändern können, ohne massiv in die Struktur des Gedichtes einzugreifen.

Bei der Zeile mit dem alten Plastik ... (finde ich übrigens sehr gut!), da würde ich das "und" vor die "ungreiflichkeiten" (toll!) setzen, es erschiene mir so inhaltlich besser mit dem Vorherigen verbunden.

Schließlich frage ich mich, ob du nicht auf den Artikel vor "wahrheit" verzichten könntest.

Sehr gern gelesen, Klara!

Liebe Grüße,
scarlett

Verfasst: 22.09.2008, 10:41
von Klara
Hallo,
dank euch fürs Lesen und Verstehenwollen!

Max:
der Text ist nicht einfach. Du setzt ihn so, dass er sich dem Gelesenwerden widersetzt.

Ja, das tue ich hier (quasi: ausnahmsweise Mal...)

Mit der Verzögerung hast du vielleicht Recht, ich habe ein Schlüsselwort unterschlagen, das ich sozusagen in die "verzögerung" geschummelt habe, nämlich das Wort "Langeweile". Ich schreib das jetzt mal gegen alle Gepflogenheiten des Niemals-eigene-Gedichte-Erklären-Wollens, weil du dir solche Mühe gegeben hast .-) Langeweile wäre das versteckte (=inhaltliche) Subjekt des von dir nicht verstandenen "Satzes".

Unbegreiflichkeit gibt es im Text nicht, nur "ungreiflichkeiten"

Danke für das zu eliminierende "n".

Tom:
für mich funktioniert dieses 'Über-die-Zeilen-Hinausschreiben' hier überhaupt nicht.
Das ist schade.
Zumal ich auch den Sinn nicht erkennen kann.
Das ist noch schader.
Auch das Bild bzw. Odeur "Plastik/Urin" funktioniert - wenn überhaupt - für mich nur andersrum. Plastik riecht stark, wenn es frisch (hergestellt) ist. Beim Pipi eher nicht.

Vielleicht liegt das daran, dass du immer noch rauchst, das tötet nämlich den Geruchssinn ,-) Nee, im Ernst: frischer Urin riecht. Du willst nicht im Ernst behaupten, dass er nach nichts riecht? Er riecht sogar völlig verschieden, je nach Person, Tageszeit, Flüssigkeitsaufnahme, Getränken, Essensvarianten (Spargel!) etc. Und alte Plastikplanen, die so übereinandergeschichtet quasi "abhängen", riechen stark - umso stärker, je länger sie liegen. Das ist für mich das Geruchsbild: Nicht widerlich, aber auch nicht angenehm. Eher bedrückend, vage störend.

Max hat einige schöne Bilder genannt. Die hätte ich gerne stärker herausgearbeitet vorgefunden. Und die Überschrift ginge vermutlich auch noch etwas kreativer. 'Septembergrau' erklärt der Text schon sehr gut selbst, da würde ich was Offeneres wählen.

Darüber muss ich nachdenken. Mit der Überschrift bin ich auch noch nicht zufrieden (Notlösung). EDIT: Obwohl der September eigentlich ja gar nicht grau sein dürfte!

scarlett: Freut mich, dich mal wieder "bei mir" zu lesen : ) - umso mehr, als du positiv kritisierst. Freut mich auch, dass du "mitgehst" bei den sperrigen Zeilen, der sperrigen Setzung, die offenbar beinah so sperrig ist, dass sie Leser aussperrt... die Zeile "jeder schritt riecht nach altem" wurde in der setzung schon in einem anderen Forum angemeckert, aber ich sehe im Moment keine andere Möglichkeit.


Bei der Zeile mit dem alten Plastik ... (finde ich übrigens sehr gut!), da würde ich das "und" vor die "ungreiflichkeiten" (toll!) setzen, es erschiene mir so inhaltlich besser mit dem Vorherigen verbunden.

muss ich überlegen.
Schließlich frage ich mich, ob du nicht auf den Artikel vor "wahrheit" verzichten könntest.

auf keinen Fall! Dann wäre es ja keine Formalie mehr...

Dank euch und grüß euch!
Klara

Verfasst: 22.09.2008, 11:00
von scarlett
Klara hat geschrieben: die Zeile "jeder schritt riecht nach altem" wurde in der setzung schon in einem anderen Forum angemeckert, aber ich sehe im Moment keine andere Möglichkeit.


Ja, wenn er denn so dastünde, dann wäre es ja auch klar ... ;-)

Das mit dem Artikel hab ich erst jetzt verstanden ... und natürlich hast du recht!

gruß,
scarlett

Verfasst: 22.09.2008, 11:06
von Klara
ups!
jeden schritt werde ich ändern! ,-)

edit: hab auch noch mal einen anderen "Titel" probiert und die "langeweile" verraten.

k.

Verfasst: 22.09.2008, 13:26
von Thomas Milser
Liebe Klara, ich weiß trotz aller Charakter- und Willensschwäche, wie das alles riecht. Fürs Erschnüffeln von alter Pisse und frischem Spargel reichts grad noch :o))
Bin trotzdem der Ansicht - gar der Gewissheit - andersrum röche es strönger ... ähm ... strenger. Aber vielleicht solls das ja gar nicht? Ist auch wurscht.

Die Setzung gefällt mir jedenfalls jetzt besser, nur das hier erschließt sich mir nicht:

jeden schritt, die langeweile
riecht alt altem


Alt altem? Oder soll das 'nach altem' heißen?

Und das hier:

wie eine graue planen

check ich auch nicht.

Tom

Verfasst: 22.09.2008, 14:30
von Klara
fehler werden beseitigt

(merci!)

EDIT ich würde übrigens wetten, dass du weder charakter- noch willensschwach bist, ich glaube im gegenteil, du willst, was du kannst und kannst so ziemlich alles, was du willst (und tust es so gott will auch)

Verfasst: 22.09.2008, 14:56
von Thomas Milser
Manches will ich anscheinend (noch) nicht so richtig ... :o) Und manchmal ist man ja auch mal gerne schwach, was? Wider besseren Wissens ... Das sind eigentlich die schönsten Momente ...

Tomsen *öchöt*

Verfasst: 22.09.2008, 22:41
von Max
Liebe Klara,

Version 2 finde ich noch deutlich lesbarer. Eintig, dass Du die Übreschrift umgebracht hast, gefällt mir nicht so, weil man erst einmal auf den Trichter kommen muss, die neue Überschrift in den Satzwurm einzubeziehen ...

Liebe Grüße
Max

Verfasst: 22.09.2008, 23:13
von Lisa
Liebe Klara,

während ich die erste Version - obwohl der zweiten ja durchaus noch sehr ähnlich - etwas überlesen habe, hat mich die zweite beim Jetzt-wieder-hinein-klicken gefangen - macht das der veränderte Titel? Irgendwie ja, ich weiß auch nicht, er führt mich anders in den Text hinein, er ist analog zum Ton des Textes, so dass man gleich in ihn hineingelesen wird vom Titel - deshalb ist Version 2 für mich eine starke Veränderung.

ich könnte mir nur vorstellen, dass du den Tod nicht explizit nennen muss (keine Ahnung, ob das schon in anderen Kommentaren diskutiert wurde), da das Bild der Kälte dies auch transportieren könnte und du sie weiter Subjekt bleiben lassen könntest, würde etwas weniger "dicke" kommen.

Der Bruch zu Strophe zwei in Form einer Frage finde ich genial weich & zugleich kräftig gelöst - und auch den umbruch zu "sonne" durch das Ausrufezeichen toll. (stillt angst könnte ich mir noch gestrichen vorstellen).

Aber so eine tolle (Nicht-)verwandlung - sehr gern gelesen,

liebe Grüße,
Lisa