Das Meer ist vorm Fenster

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 02.08.2008, 17:28

Das Meer ist gleich vorm Fenster


In der Luft lag eine Stille
wie zwischen den Schlägen der Glocke
die am Ende eines langen Tages
zum Gebet ruft

Ich sah die Weite in deinen Augen
spürte den Durst der Lippen
den nur die Gischt
anbrandender Wellen stillen kann

An diesem Abend
hatte das Zimmer keine Wände
wir lauschten dem Ruf der Möwen
trauten uns kein Licht zu machen


1. Fassung:

Das Meer ist gleich vorm Fenster


In der Luft lag eine Stille
wie zwischen dem Schlagen der Glocke
die zum Gebet ruft
am Ende eines langen Tages

Ich sah die Weite in deinen Augen
spürte den Durst der Lippen
den nur die Gischt
anbrandender Wellen stillen kann

An diesem Abend
hatte das Zimmer keine Wände
wir lauschten dem Ruf der Möwen
trauten uns kein Licht zu machen
Zuletzt geändert von Perry am 02.08.2008, 20:37, insgesamt 1-mal geändert.

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 02.08.2008, 19:32

Hallo perry,

hier hast du mich schon in der zweiten Zeile abgehängt. Wenn du schreibst, wie zwischen dem Schlagen einer Glocke erwarte ich zunächst den zweiten Teil des Vergleichs. Das ist der Satz "am Ende eines langen Tages"? Oder der Zwischenraum zwischen den einzelnen Glockenschlägen?

Im zweiten Vers brauchts für mich die anbrandenden Wellen nicht. Gischt bedingt für mich die Wellen.

Im dritten Vers klingt "lauschen" zu weich und süß, Möwenrufe sind eher schrill, da passt das Verb nicht.

Das "trauten" kommt überraschend. Angst oder Zögern hab ich in den vorausgehenden Zeilen nicht so eindeutig gelesen um das "trauten" zu rechtfertigen, auch wenns in dem Durst anklingt, den nur Gischt stillen kann.



Gruß

Sneaky

P.S.

oder du spendierst ein Komma nach trauten uns,
Stand auf der Leitung, habs als was anderes gelesen. Angst vor dem Licht. :pfeifen: :pfeifen: :pfeifen:

Perry

Beitragvon Perry » 02.08.2008, 20:03

Hallo Sneaky,
danke für deine Auseinandersetzung mit meinem Text. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, meine Gedichte nicht mehr zu erklären, weil mir das schon zu oft als "Verteidung bzw. Kritikunfähigkeit" ausgelegt worden ist. Da du aber so detailliert fragst, muss ich wohl meine Intention etwas erläutern:
Es ist keine Angst vor dem Licht, sondern eher eine Scheu die Stille zu stören.
Die Gischt ist der Teil der anbrandenden Wellen, der als feiner Wasserschleier die Lippen benetzen könnte.
Der Eingangsvergleich wird vielleicht deutlicher, wenn man ihn in Gedanken um den Begriff "Pause" erweitert:
"In der Luft lag eine Stille
wie (in den Pausen) zwischen dem Schlagen der Glocke"
LG
Manfred

Catrin

Beitragvon Catrin » 02.08.2008, 20:23

Hallo Perry,

mir gefällt das Gedicht sehr gut!
Ich hatte zwar die gleichen Fragen wie Sneaky:
du solltest dich m.E. entscheiden
"in der Luft lag eine Stille/ wie zwischen den Schlägen der Glocke..." oder "wie zwischen dem Schlagen der Glocke... und dem Ende eines langen Tages", wobei ich die letzte Version bevorzugen würde.
Sonst bin ich aber anderer Meinung als Sneaky:
ich spüre die Stille, die sich nach einer Unterbrechung (Glockenschlag/ Möwenschrei) nur noch vertieft. Durch diese Unterbrechung wird sie erst richtig hörbar, kann ich ihr nach-lauschen.
Ich finde die zweite Strofe wegen ihrer häufig gebrauchten Bilder nicht so stark, sie ist aber unverzichtbar als Vorbereitung der dritten, für mich sehr starken Strofe!
Die letzte Zeile, die ich auch erst falsch verstanden habe (nämlich: wir trauten uns nicht Licht zu machen) gibt der postkoitalen Entgrenzungs- und Ruhefase eine ganz andere Dimension: Wir ließen das Hinabsinken in die Nacht zu.
"doch offnen Augs wirst du im Licht ertrinken/ wenn hinter dir die Möwe stürzt und schreit"
lgc

Perry

Beitragvon Perry » 02.08.2008, 20:34

Hallo Catrin,
schön dich bei mir zu lesen.
Ich meine tatsächlich die Stille zwischen zwei Glockenschlägen, weil diese ganz besonders still, ja fast taub, empfunden wird. Ich werde wohl das Glockenschlagen in Glockenschläge ändern.
Deine Sichtweise der 3. Strophe hätte ich selber wohl nie so treffend ausdrücken können. Danke dafür und LG
Manfred

Max

Beitragvon Max » 03.08.2008, 20:20

Lieber Perry,

das gefällt mir viel besser als das Orangengedicht.
Auch ich kann zwischen den Schlägen einer Glocke Stille spüren (trotzdem gut, dass es Schläge sind .. was zwischen einem Schlag sein soll, war mir nicht so eingängig).

Zur letzten Strophe habe ich eine Frage:
Welche der möglichen Leseweisen ist richtig:
Ist wirklich
wir lauschten dem Ruf der Möwen
trauten uns kein Licht zu machen

gemeint? Oder

wir lauschten dem Ruf der Möwen
trauten uns nicht Licht zu machen


Liebe Grüße
Max

Perry

Beitragvon Perry » 04.08.2008, 10:16

Hallo Max,
schön, dass dir dieser eher nachdenkliche Text besser gefällt.
Ich sehe keinen so großen Unterschied zwischen den beiden Lesarten. Wichtig ist für mich nur, dass dieser Augenblick, diese Stimmung nicht beendet bzw. gestört werden sollte, sich die Protagonisten dem Dunkel am liebsten (für immer) hingeben wollten, denn sobald das Licht angeht ist der Zauber verflogen.
LG
Manfred

scarlett

Beitragvon scarlett » 04.08.2008, 10:29

Lieber Perry,

das spricht mich sehr an! Diese Leichtigkeit, diese Balance zwischen fast schon einer unwirklich anmutenden Situation und Konkretem rüberzubringen, ist dir m M nach sehr gut gelungen.

Die letzte Strophe mag ich am liebsten, wobei ich allerdings eher die Variante "trauten uns nicht ... " bevorzugen würde.

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße,
scarlett

Max

Beitragvon Max » 04.08.2008, 11:25

Liebe Scarlett, lieber Manfred,

trauten uns nicht ...


ja eben - wenn das gemeint ist, denke ich, sollte es so heißen.

"Wir trauten uns, kein Licht zu machen" bedeutet ja doch etwas anderes: Einmal ist es schwierig Licht zu machen und die Protagonisten trauen sich das nicht, einmal ist es schwierig kein Licht zu machen und die Protagonisten trauen sich das ...

Liebe Grüße
Max

Perry

Beitragvon Perry » 04.08.2008, 15:10

Hallo Scarlett,
danke für die "Leichtigkeit" auch wenn der Text in der Bildführung: Stille, Glocke, Gebet, Weite" durchaus auch einen "schweren" Weg gehen könnte.
LG
Manfred

Hallo Max,
jetzt sehe ich endlich die Feinheit der Formulierungsunterschiede. Ich tendiere zur aktiveren Lesart "wir trauten uns kein Licht zu machen", also im Dunklen zu verharren, wobei ich die andere Lesart genauso zulassen möchte.
Danke für deine Hartnäckigkeit und LG
Manfred

Gast

Beitragvon Gast » 02.09.2008, 02:45

Hallo Perry,
ich kannte das Gedicht schon aus einem anderen Ort, kam aber nicht mehr dazu etwas zu schreiben. Das wollte ich jetzt nachholen und stelle fest, dass du durch eine kleine Umstellung die Intensität sogar noch erhöhst hast. Das ist Lyrik, wie ich sie mag ...

Perry

Beitragvon Perry » 02.09.2008, 12:24

Hallo Belgarath,
danke für deinen Eindruck und LG
Manfred
PS: Es scheint in letzter Zeit unser Schicksal zu sein, dass wir uns beim Kommen und Gehen Treffen. Wünsche dir alles Gute hier, ich verabschiede mich mit gemischten Gefühlen.

Gast

Beitragvon Gast » 02.09.2008, 13:46

Hallo Perry,
das ist ausgesprochen bedauerlich, aber ich denke, wir werden uns bestimmt noch ein weiteres Mal über den Weg laufen. Alles Gute für dich.

Hans / Belgarath


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