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Anruf
Verfasst: 29.05.2008, 07:50
von Caty
Anruf
So nah
Die ferne Stimme des Sohns.
Unausgesprochen die Bitte um Wärme.
Um Tröstliches, zuweilen.
Ihn zogs zu den Meeren,
Himmelsgebirgen, Schlangensavannen,
Zur verheißenen Wolkenstadt,
Zu bauen an dem, was er Glück nennt.
Und dann, Mutter, hol ich dich, sagt er.
Ich schweige. Lausche dem Äthergeräusch,
Dem Aufbegehren des Dennoch, ungläubig.
Wenn er lacht, hör ich die Ängste, geb ihm
Ein schmales Wort, halt nieder
Ein peinliches Seufzen.
Abends, sobald der Himmel graut,
Steh ich am Fenster, zerr an der Nabelschnur,
Kindliches Seidenhaar zwischen den Fingern.
Fort trug ihn ein Vogel, bis hinter
Das Meer, hinein in die dunkle Wolke, damals.
Als es Abend wurd.
Verfasst: 29.05.2008, 08:24
von scarlett
Liebe Caty,
du hast Worte für das eigentlich Unaussprechliche gefunden. Sie gehen mir sehr sehr nahe.
Danke dir für dieses Gedicht.
scarlett
Verfasst: 29.05.2008, 09:09
von Caty
Wir alle haben irgendeinen Stein auf der Brust, Scarlett. Herzlich, Caty
Verfasst: 29.05.2008, 10:13
von Ylvi
Hallo Caty,
ein beeindruckendes Gedicht, sehr nah.
Ich würde den Zeilenumbruch an dieser Stelle anders setzen, weil es für mich eine unnötige Ablenkung und damit Schwächung und keine Stärkung ist, die mir zu sehr auf den Effekt hin geschrieben scheint und nicht aus sich selbst heraus stimmig.
Fort trug ihn ein Vogel, bis hinter das Meer,
Hinein in die dunkle Wolke, damals.
Als es Abend wurde.
Am Ende fehlt mir klanglich das "e".
liebe Grüße smile
Verfasst: 29.05.2008, 11:22
von Caty
Danke, Smile, fürs Kommentieren. Jeder hat da sein eigenes Gefühl für den Zeilenbruch. Du hast das Enjambement beseitigt. Wo siehst du den Grund? Das e bei wurd fehlt mir nicht, ich habe bewusst diese harte Form gewählt. Das unbetonte (weiche) Auslaufen mit dem e drückt ja eine andere Haltung des LyrIch aus. Dank dir nochmal. Herzlich, Caty
Verfasst: 29.05.2008, 11:48
von Herby
Hallo Caty,
das Thema und die Bilder deines Text berühren mich sehr, lösen zwiespältige Gefühle in mir aus.
Frage: fehlt bei
Ein schmales Wort, halt nieder
nicht noch ein -l bei "halt" oder lese ich was falsch?
Lieben Gruß
Herby
Verfasst: 29.05.2008, 12:24
von Caty
Du liest was falsch, Herby. Niederhalten nicht widerhallen. Dank dir für den Komm. Herzlich, Caty
Verfasst: 29.05.2008, 14:02
von Herby
Danke für die Lesehilfe, Caty. Was doch ein einziger Buchstabe ausmachen kann...
LG Herby
Verfasst: 29.05.2008, 19:57
von Sneaky
Hallo Caty,
die "Meere" sind grenzwertig in dem Stück (Junge komm bald wieder....) müssen die sein? Die Schlangensavannen gefallen mir schon von den "s" her. das zischelt passend zum Sinn. Abgesehen von den Meeren finde ich die Gratwanderung zwischen Gefühl und brrr gelungen.
Gruß
Sneaky
Verfasst: 29.05.2008, 20:22
von Caty
Sneaky, wenn du genau liest, wirst du nicht eine einzige Silbe über die christliche Seefahrt finden. Insofern begreif ich nicht, was du damit sagen willst. Aber gut, dass dir die Gratwanderung gelungen erscheint. Ich bedanke mich für den Komm. Herzlich, Caty
Verfasst: 29.05.2008, 22:59
von aram
hallo caty,
mich spricht der text sehr an, berührt, abgeklärt, beides gleichzeitig - das gibt es wohl nur im großen, im geschehen, im blick auf eigentliches...
ich mag auch die setzung und den schluss, das "wurd".
Verfasst: 29.05.2008, 23:05
von leonie
Liebe Caty,
ich mag den Text auch sehr, er kommt mir ehrlich vor. (Welche Mutter gibt schon gerne zu, dass sie an der Nabelschnur zerrt...). Ich glaube, es ist eine der größten Herausforderungen, die Kinder gehen zu lassen.
Liebe Grüße
leonie
Verfasst: 30.05.2008, 00:55
von Niko
gefällt mir nahezu uneingeschränkt, caty! hast du schonmal drüber nachgedacht, ob das gedicht ohne die erste strophe funktionieren könnte? für mich tut es das. was im ersten absatz direkt erklärend vorgesetzt wird, ergibt sich im laufe des textes ohnehin. ich fände es ohne die erste strophe spannender.
Anruf
Ihn zogs zu den Meeren,
Himmelsgebirgen, Schlangensavannen,
Zur verheißenen Wolkenstadt,
Zu bauen an dem, was er Glück nennt.
Und dann, Mutter, hol ich dich, sagt er.
Ich schweige. Lausche dem Äthergeräusch,
Dem Aufbegehren des Dennoch, ungläubig.
Wenn er lacht, hör ich die Ängste, geb ihm
Ein schmales Wort, halt nieder
Ein peinliches Seufzen.
Abends, sobald der Himmel graut,
Steh ich am Fenster, zerr an der Nabelschnur,
Kindliches Seidenhaar zwischen den Fingern.
Fort trug ihn ein Vogel, bis hinter
Das Meer, hinein in die dunkle Wolke, damals.
Als es Abend wurd.
liebe grüße: Niko
Verfasst: 30.05.2008, 13:59
von Herby
Hallo Niko,
du schreibst an Caty:
hast du schonmal drüber nachgedacht, ob das gedicht ohne die erste strophe funktionieren könnte? für mich tut es das.
Da geht es mir als Leser von Catys Zeilen völllig anders als dir. Mir würde ohne die erste Strophe ein wesentlicher Teil fehlen. Sie bildet für mich gerade wegen ihrer thematischen Antithetik eine ebenso gelungene wie notwendige Voraussetzung für die kommenden Strophen.
Lieben Gruß
Herby