Überfahrt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 23.03.2008, 20:54

Neuester Versuch:

In den Augen des Alten
lacht das Meer
Blau ertastet den Horizont
(an dem Pinien wogen)

Während das Boot
über Schaumkronen gleitet
holt Sturmlicht
die Kindheit zurück

Ich lese Erinnerungen
(und weiß nicht, wem sie gehören)
von glitzernden Fischen
blinkenden Messern, Blut und
sonnenverkrusteter Haut

Bis seine Stimme
sie schließlich beiseite schiebt:
„Divertimento“, sagt er
und reicht den Wellen
die salzgeschwielten Hände

Ich höre Mozart aufspielen
zum Tanz



Zwischenfassung:
In den Augen des Alten
lacht das Meer

Blau ertastet den Horizont
während das Boot
über Schaumkronen gleitet

Sturmlicht holt
seine Kindheit zurück

als könne man
in der Netzhaut
glitzernde Fische fangen

als streiche man auf der Iris
über sonnenverkrustete Haut

Mozart hat er nie gehört.
„Divertimento“, sagt er:
in mir die Klänge

Und er reicht den Wellen
salzgeschwielte Hände
zum Tanz


Erstfassung:
In den Augen des Alten
lacht das Meer

Blau ertastet den Horizont
während das Boot
über Schaumkronen gleitet

Sturmlicht holt
seine Kindheit zurück
ich lese auf der Iris
von glitzernden Fischen
und sonnenverkrusteter Haut

Salzgeschwielte Hände
reicht er den Wellen
damals und heute

Mozart hat er nie gehört.
„Divertimento“, sagt er.



vormalige dritte Strophe gestrichen dank Nikos Anregung:

Die Passagiere sehnen sich
nach dem Hafen
Zuletzt geändert von leonie am 03.04.2008, 21:27, insgesamt 4-mal geändert.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 24.03.2008, 20:46

Mich zieht es ganz in diese Atmosphäre und dieses Leben.

Eine sehr schöne Beschreibung.

MlG

Moshe

Niko

Beitragvon Niko » 24.03.2008, 21:32

hallo leonie!
ein sehr gelungenes stimmungsbild. der passagier-passus ist für mich entbehrlich.

sehr gern gelesen: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.03.2008, 10:46

Lieber Moshe,

danke, das freut mich, ich hatte Zweifel, ob das funktioniert...

Lieber Niko,

danke Dir. Ich denke, Du hast recht. Ich nehme die beiden Zeilen raus.

Liebe Grüße Euch beiden!

leonie

Max

Beitragvon Max » 25.03.2008, 12:21

Liebe Leonie,

Dein neues Gedicht enthält wieder schöne Sprachbilder. Mir gefällt

Blau ertastet den Horizont


oder auch

Salzgeschwielte Hände
reicht er den Wellen


Daneben stehe ich den Eindrücken, die der Alte beim lyr. Ich erweckt, etwas gespalten gegenüber.
Dass das "Meer in seinen Augen lacht", halte ich für möglich, auch aus der Perspektive eines lyr. Ichs.

Sturmlicht holt
seine Kindheit zurück


halte ich für eine Stellungnahme, die ich eher bei einem "auktorialen" Erzähler erwarten würde .. gleich danach aber taucht das lyr. Ich explizit auf.

ich lese auf der Iris
von glitzernden Fischen
und sonnenverkrusteter Haut


Dabei sieht das lyr. Ich Dinge, die man typischerweise bei einem Alten (Fischer?) am Meer erwarten würde zu sehen, aber es sieht die Fische nicht im Boot und die Haut nicht .. an der Haut ;-) ... sondern auf der Iris. Mir fehlt dabei eine Reflexionsebene, die klar macht, dass lyr. Ich weiß, dass der Alte nun all das abbekommt, was es sich von einem italienischen Fischer erhofft, eine Ebene, die die Projektion bwusster macht (darüber hinaus schwanke ich bei dem Wort "sonnenverkrustet" zwischen der Meinung, "das ist originell" und "ich weiß nicht genau, was das ist" - habe ich das wirklich schon einmal gesehen, was Du meinst? - Ich überlege noch).

Gut gefällt mir der Schluss

Mozart hat er nie gehört.
„Divertimento“, sagt er.


wobei ich zugeben muss, dass ich jemanden bäuchte, der viel besser Italienisch spricht, um mir zu sagen, ob ein Italiener "divertimento" sagen würde, wenn er ein "Vergnügen" mein (oder wie würdest du übersetzen) oder vielleicht "piacere" - das kann ich einfach nicht sagen.

Liebe Grüße
Max

Herby

Beitragvon Herby » 25.03.2008, 13:34

Liebe leonie,

ja, das ist ein schönes Bild, das du zeichnest, und das mich in seiner Stimmung einnimmt. Zwei Punkte stören mich jedoch.

Was die dritte Strophe betrifft, so geht es mir wie Max.
In Bezug auf die letzten beiden Verse bin ich gespalten. Einerseits sehe ich den Rahmen zwischen dem "Divertimento" im Sinne von "Vergnügen" und der ersten Strophe "...lacht das Meer". Es kann ja durchaus sein, dass der Alte die Melodie des Meeres als solches, als Vergnügen empfindet. Andererseits kommen mir die Schlussverse etwas gezwungen daher: "Piacere", womit Max, wie ich glaube, Recht hat, würde nun nicht zu Mozart passen, also muss es "Divertimento" sein. Verstehst du, wie ich es meine? Ist Mozart, schon einmal erwähnt, zieht er das "Divertimento" etwas zwanghaft und angesichts des Kontextes konstruiert nach sich.
Ein solcher Schluss hätte nach meinem Leseempfinden vorbereitet sein müssen. Der rein formale Aspekt des Rahmens, die Klammer zwischen Ende und Anfang, sollte es dir darauf angekommen sein, reicht in diesem Falle nicht aus, um die Schlussverse verständlicher zu machen.

Liebe leo, lass dich jetzt bitte durch meine Meckerei nicht irritieren, dein Text gefällt mir besser, als mein Kommentar jetzt vielleicht den Anschein erweckt. Vielleicht kannst du mit meinen Gedanken ja was anfangen.

Liebe Schneegestöbergrüße
Herby

Caty

Beitragvon Caty » 25.03.2008, 13:44

Liebe Leonie, dass der salzverkrustete Alte an ein Mozart-Divertimento denken könnte - wem kommt das in den Sinn? Ein bisschen weit hergeholt. Dass Divertimento auf italienisch Vergnügen heißt, erfahre ich lediglich durch die Kommentare. Ich halte dies, so formuliert, für eine nicht gerade geglückte Gedankenverbindung bzw. Wortspiel. Wobei ich auch mit dem Wetter auf dem Schiff nicht ganz klarkommme. Der Himmel ist blau, wenn ich mir das richtig übersetze, eine Strophe weiter aber holt Sturmlicht (eine Schiffslampe?) die "Kindheit zurück". Auch das ist für meine Begriffe nicht stimmig bei einem so alten Mann, dass man an seine Kindheit denkt. Du hast hier was machen wollen, was meiner Ansicht nach noch nicht so recht Butter bei die Fische ist.
Herzlich Caty

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.03.2008, 13:59

Liebe leonie,

ich bin etwas zweigeteilt: Einerseits spüre ich, dass dem Text etwas Echtes, eine Beobachtung, ein Wissen um etwas zugrunde liegt. Es ist ein zu Recht Klassisches Motiv, das Alte und das Junge in der Erinnerung am Meer zusammenzubringen. Der Titel rückt die ganze Szene für mein Empfinden auch in die Nähe eines "ruhigen Abschieds".
Andererseits scheint mir das, wo du es hineinlegst, noch etwas kosntruiert (das ist es ja immer, aber man sollte es nicht spüren).
Das machen sowohl die Endzeilen für mich, die zwar verstanden werden (wobei ich das Wort nicht wusste, und so, da es am Ende steht, der Effekt natürlich verzögert ist), aber keine Szene evozieren, die tatsächlich vorhanden sein könnte in meiner Vorstellung (siehe Caty), als auch die ganze Komposition der Bilder, die auf mich etwas aus bekannten zusammengebastelt und nicht eigenerfunden wirken, obwohl das ja noch nicht mal stimmt.

Mir ist auch nicht ganz klar, was sonnenverkrustet sein soll? sonnenbrand? dann finde ich es fast schon etwas zu beschönigend beschrieben, nicht, dass man das nicht dürfte, aber ich sehe eine Menge krebsroter Touristen mit Sonnenbrand vor mir und kann so die metapher auch nicht auf das schöne Kind, das dieser Mann einmal war, anwenden.

ich weiß nicht, wenn ich das Gedicht fertig gelesen habe, dann weiß ich einerseits, dass es durchaus gekonnt ist, aber es erreicht mich trotzdem nicht in der Größe, wie es "soll". das war jetzt etwas verkürzt, aber besser krieg ich es nicht entwollknäult.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Niko

Beitragvon Niko » 25.03.2008, 14:45

unter sonnenverkrustet hab ich spontan gedacht an von der sonne gegerbte haut, in deren offene poren und narben sich salz setzt und es verkrustet erscheinen lässt. ein wie ich finde guter begriff, um das darzustellen.
eingeworfne grüße: Niko

Max

Beitragvon Max » 25.03.2008, 23:11

unter sonnenverkrustet hab ich spontan gedacht an von der sonne gegerbte haut, in deren offene poren und narben sich salz setzt und es verkrustet erscheinen lässt.


Lieber Niko,

aber wäre das nicht salzverkrustet?

Liebe Grüße
Max

Niko

Beitragvon Niko » 26.03.2008, 05:28

hallo max!
wäre das nicht salzverkrustet?

bei salzverkrustet fiele für mich der aspekt der braun gebrannten, sonnengegerbten raus. ganz korrekt ist "sonnenverkrustet" sicher nicht, aber bei mir stellt sich gleich dieses weiter oben beschriebene bild ein. für mich funktioniert´s also.

lieben gruß: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 26.03.2008, 11:03

Hallo, Ihr Lieben,

ich schaffe es im Moment nur ganz kurz, danke zu sagen für Eure Rückmeldungen. Ich schaue mir alles in Ruhe an und versuchen dann zu reagieren und ggf. zu ändern. Es kann einen Augenblick dauern.

Niko, ich meine "sonnenverkrustet" genau so wie Du es beschrieben hast.

Sorry, demnächst mehr!

Liebe Grüße

leonie

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Beitragvon leonie » 02.04.2008, 11:44

Lieber Max, Herby, Niko, liebe Caty und Lisa,

ich danke Euch allen nochmal ganz herzlich für Eure Rückmeldungen! Ich habe gerade mit einem Projekt zu tun, dass mich ziemlich beschäftigt und hatte den Kopf einfach nicht frei, mich nochmal dran zu setzen.
Heute vormittag habe ich mal eine zweite Version erstellt, in der ich versuche, die Hauptkritikpunkte aufzunehmen. Max und Caty, vor allem habe ich verscuht, deutlicher zwischen den beiden Personen zu unterscheiden und deutlich zu machen, was eher die "Phantasien" des lyrIch sind. Ich glaube, dann wird auch klarer, wer Mozart hört...

Auf das "Divertimento" kann ich schlecht verzichten, ich habe aber versucht, es etwas anders einzubinden, Herby, was meinst Du dazu? (Das hat der Mann damals wirklich so gesagt, ich denke, es ist ein gebräuchlicher Ausdruck)

Lisa und Max, das "sonnenverkrustet" möchte ich erstmal lassen. Vielleicht fällt mir noch etwas besseres ein, aber bisher leider nicht.

Ob die "Szene" so besser hervorgerufen wird? Ich wäre froh, wenn Ihr mir noch kurz Eure Gedanken rückmeldet! Vielen, vielen Dank nochmal, auch für Eure Geduld!

Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 02.04.2008, 18:25

Liebe Leonie,

klar - ich sehe ein, dass Du auf das Divertimento schlecht verzichten kannst, ohne den ganzen Bezug zu Mozart aufzugeben, der vermutlich der Anlass zu Deinem Gedicht war. Umso besser, dass dass "Divertimento" anscheinend funktioniert. Ich hatte übrigens nie Probleme zu wissen, wer denn Mozart hört ...

Ich habe das Gefühl, dass die Veränderungen in die richtige Richtung gehen, aber auch, dass ein radikales Hinwenden zu den Beschreibungen der Realität dem Text vielleicht noch gut tun könnte, die Vorstellungen sollen sich die Leser in meinen Augen einfach selbst machen ... aber vermutlich ist das nicht Deine Sichtweise?!

Liebe Grüße
Max


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