Astern

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 28.02.2008, 06:37

Astern

Als gäbst du Antwort von dort unten.
Damals, ich weiß noch, sagtest du,
Bring keine Blumen, ihr aufregender Duft,
Man schläft so schlecht unter ihnen.

Stein an Stein, Namen, Jahre. Deine
Mitverlorenen. Was von uns bleibt. Am Rondell
Der Wasserhahn tropft meine Restzeit.
Astern, Lieber, duften nicht.

Nihil

Beitragvon Nihil » 28.02.2008, 08:07

Hallo Caty,

bei Astern dachte ich zuerst an das Gedicht von Gottfried Benn. Der Blumenduft, die Lockungen des Lebens, unter dem die Toten nicht ausruhen können, ist zwar ein etwas komisches Bild, aber es gefällt mir dennoch. Vielleicht ist der Tote ja auch ein Lebender, welcher in seiner Totenruhe nicht gestört werden möchte, weil alle Beschränkung beglückt und die Lockungen ohnehin die Enttäuschung zum Preis haben? Astern begünstigen die Askese, welche ja als einzige den Seelenfrieden verwirklichen kann.

Die duftlosen Astern als ein letzter Liebesbeweis, finde ich ein gelungenes Bild des Loslassens .. während die duftenden (und durstenden ..) Blumen ja immer etwas der Gier und der Verblendung verwandtes haben, eben für die Bejahung des Lebens stehen und so dem Toten gegenüber ja im Grunde eine ruchlose Sache sind, eben weil sie der Lebende allein für sich auf das Grab stellt, als Symbol seiner Lebendigkeit, als Symbol für den Fortgang des Lebens in der Natur, für die Anhaftung an das Leben stehen, während geruchlose Astern allein dem Toten in Anerkennung seines Totseins zugetan sind .. das ist sehr würdevoll und gefällt mir sehr gut!

Womöglich stehen die duftlosen Astern auch generell für das Loslassen, für die Abkehr vom Leben, für seine Überwindung? Das Duftlose an ihnen ist die Leere als das Absolute .. ein buddhistisches Gedicht? ;-)

LG

Nihil
Zuletzt geändert von Nihil am 28.02.2008, 08:54, insgesamt 5-mal geändert.

Caty

Beitragvon Caty » 28.02.2008, 08:22

Ich bedanke mich, Nihil, für deine Gedanken zu der schönen Blume Aster. lg Caty

Nihil

Beitragvon Nihil » 28.02.2008, 08:26

Das war jetzt aber kurz und knapp, liebe Caty. ;-) Du möchtest zu meinen Ausführungen nicht Stellung nehmen? Auch ich brauche eine Rückmeldung, um zu sehen, ob ich richtig liege, schließlich möchte ich das Gedicht ja verstehen und oftmals bin ich nicht so gut im Verstehen von Gedichten!

LG

Nihil

scarlett

Beitragvon scarlett » 28.02.2008, 08:55

Ein wunderschönes, leises Gedicht über Abschied, Tod, in dem das LI Gedanken über die eigene Sterblichkeit mit einwebt: das Bild der ver-tropfenden Lebenszeit/Wasserhahns - Klasse.
Ein unaufgeregter Rhythmus, ein langsames Fließen - so wie die Gedanken des LI bei diesem Friedhofsbesuch.
Astern - die typischen Friedhofsblumen, aufgrund ihrer langen Haltbarkeit, ihrer Robustheit.

Sehr gerne gelesen, Caty.
scarlett

Nihil

Beitragvon Nihil » 28.02.2008, 08:59

Das hast du schön gesagt, liebe Scarlett .. meine Interpretation ist viel zu laut für dies leise Gedicht .. :pfeifen:

Caty

Beitragvon Caty » 28.02.2008, 09:01

Weißt du, Nihil, ich würde ja gern, es ist ja auch meine Intention, dass wir uns mit unseren Gedichten auseinandersetzen. Aber sieh mal, es gibt hier Leute, die mir beelzebubböse sind, weil ich genau das tue, ich halte das nämlich in einem Literaturforum für normal. Nun hat mir aber kürzlich ein Mitglied des Blauen Salons strikt den Mund verboten, mich allerlei lästerlicher Aussagen und Nichtaussagen geziehen. Dieses Mitglied hat zwar nicht verlangt, dass ich ihm meine Antwort vorab zum Abnicken schicke, aber es war doch sehr deutlich, dass das für mich Unperson ratsam wäre. Kannst du dir die vertrackte Situation vorstellen, in der ich mich Arme befinde? Ich trau mich nicht Muh und nicht Mäh zu sagen, will dir aber (durch die Aster) trotzdem andeuten, dass ich deine Überlegungen sehr poetisch finde und mich freue, bei dir auf Verständnis der Metapher gestoßen zu sein. Mehr darf ich leider nicht sagen, bei Strafe des Aufschreis eines sehr honorigen Mitglieds dieses Salons. Sorry. (Das ist zwar alles ganz lustig. Aber es ist die Wahrheit und kein Witz. So sind hier die Sittten.) Caty

Caty

Beitragvon Caty » 28.02.2008, 09:05

Liebe Scarlett, ja, das war meine Intention. Ich freu mich, dass du so mitgehst. Gedanken, die einem so kommen, wenn man am Grab eines lieben Menschen steht. Ich bedanke mich für deine klugen Worte. lg Caty

Sam

Beitragvon Sam » 28.02.2008, 09:20

Hallo Caty,

das ist ein wunderschönes Gedicht, voller eindringlicher Bilder. Natürlich denkt man bei dem Wort Astern erst mal an Benn. Aber nur einmal, wenn man den Titel liest. Danach kommt etwas so eigenständiges und schönes, dass der Vergleich sofort entflieht.

Herzlichen Dank dafür!

Lieben Gruß

Sam

Caty

Beitragvon Caty » 28.02.2008, 09:28

Gern geschehen, Sam. lg Caty

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Beitragvon leonie » 29.02.2008, 17:08

Liebe Caty,

dieses Gedicht gefällt mir soooo gut, dass ich kaum Worte dafür finde. Es ist soviel hinter den Worten, ganze Welten.

Ich bin sehr beeindruckt.

Liebe Grüße

leonie

pandora

Beitragvon pandora » 29.02.2008, 17:24

liebe caty,

ich kann auch nur tippseln: kompliment.

(ich muss daran denken, dass ich einmal einem sterbenskranken mann einen riesigen frühlingsstrauß in die klinik brachte. er bat mich, ihn wieder mitzunehmen. er konnte den geruch nicht ertragen.)

lg
peh

Caty

Beitragvon Caty » 29.02.2008, 19:19

Ich bedanke mich bei euch, Leonie und Pandora, für eure Kommentare. lg Caty

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 04.03.2008, 11:38

Liebe Caty,

dieser schlanke und trotzdem volle Text gefällt mir sehr - zumal ich seit einiger Zeit dem Gedanken verfallen bin, dass Stein und Blume ein gleichstarkes Komplementärpaar ist wie etwa rot und grün (eines, das sich etwas zu sagen hat), auch freut mich, dass man dir deine "Natur"metaphorik beim Lesen glauben kann - das ist bei mir sekten geworden, da es (schon wieder vorbei?) ja auch einmal In war, so zu schreiben und damit es zuweilen auch grundlos geschah (ohne jetzt eine alte, viel größere Diskussion aufzuwecken, die viel intelligentere Köpfe geführt haben). Bei dir erscheint es mir notwendig so komponiert und der Text hat alles gesagt, was er sagen will - das ist eine Kunst.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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