Hallo Moshe und Lisa.
Moshe hat geschrieben:kann wohl niemand für dich beantworten.
Durchaus. Nicole hat es teilweise schon beantwortet für mich.
Ich lasse jetzt mal meine Gedanken fliegen ...
Es gibt vielerlei Definitionen des Kitschbegriffs. Ich nehme diejenige, die ihn definiert als "der kürzeste Weg".
Um auf kürzestem Weg aus einem Garten ein Zauberland mit fröhlichen Wesen zu kreieren, stelle ich einfach die berühmten grinsenden
Gartenzwerge zwischen die Pflanzen. Um auf kürzestem Weg ein Liebessymbol zu kreieren, greife ich auf die allseits bekannte
Herzchenform zurück. Ähnlich kurz, also ähnlich kitschig, verfahre ich, wenn ich Eros mit
Rosen symbolisiere, wobei hier die Unmissverständlichkeit nicht mehr so sehr gewährleistet ist, wie bei Gartenzwergen oder Herzchen. Auch beim
Eis, als Symbol für soziale Abwendung, wird der Weg zwischen Signal und Verstand zunehmend länger.
Jetzt versuche ich einmal, die Begriffe
Eiszapfen und
Rose in der Tat als Kitsch aufzufassen. Das gelingt mir nur dann, wenn ich unterstelle, dass der Autor auf kürzestem Weg "soziale Abwendung" und "Eros" zu signalisieren beabsichtigt.
Beabsichtigt er das? Das ist nicht sicher. Ähnlich unsicher ist, ob Andy Warhol mittels einem kolorierten Monroe-Foto auf kürzestem Weg irgendeine party-farbige Wohnzimmerdekoration herstellen will. Was ist mit der weiteren Stimmung, mit der weiterreichenden Atmosphäre, die das Werkstück generiert?
Auf die Kombination kommt es für mich an, darauf, auf welche Weise die Elemente miteinander kombinert sind. Die Komposition! Sie erzeugt dasjenige, was "zwischen den Zeilen" schwebt. Die Elemente für sich, einzeln isoliert, sind trivial. Gartenzwerg, Herzchen, Rose, Monroelächelfoto ... alles Kitsch, wenn einzeln betrachtet.
Nun besteht aber jenes Gedicht nicht nur aus den beiden Wörtern Eis und Rose, es enthält zehn Wörter. Diese zehn könnte man, wenn man will, ebenfalls als Einzelsignale betrachten und sodann den kürzesten Weg nehmen und sie als Kitsch verstehen. Aber die Komposition dieser Einzelsignale entfaltet etwas ganz anderes, sie eröffnet eine gewisse Stimmung, die ist zu komplex, als dass sie auf kurzem Weg allein mit zwei trivialen Signalen hergestellt werden könnte.
Die Komposition macht die Musik! Die Wörter sind immer die gleichen, selbst Wortneuschöpfungen -- wenn es nicht gerade ein "Plümötz" ist -- sind Kompositionen aus bereits bekannten Wörtern. Und jedes chromatisch basierende Musikstück ist ein Mosaik aus bereits bekannten Notenpaketen, ebenso, wie ein Wort aus schon bekannten Silben besteht. Die Silben können abermals zerteilt werden, in Buchstaben. Alle diese Einzelelemente beginnen erst dann zu leben, wenn sie miteinander kombiniert werden. Erst aus dem Bezug zueinander öffnen sich neue Dimensionen. Das Einzelelement Gartenzwerg lebt nicht. Es kann aber zu Leben erweckt werden, indem es in einen anderen Kontext gestellt wird. Also quasi in einen anderen Garten.
Ich glaube, das ist es, warum ich dieses Gedicht nicht als Kitsch empfinde. Die Kombination der Rose mit jenem Eiszapfenbegriff erzeugt bereits eine Abkehr vom Kitsch. Aber es geht noch weiter weg ...
Ahoi
Pjotr