Wüstgefallen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 14.01.2008, 08:00

Wüstgefallen

Steine. Behauene Steine
Getürmt zu Mauern. Verstreut übers Feld
Findlinge. Falb, geschichtenreich.

Grundrisse, rührendes Menschenmaß.
Der gemauerte Brunnen. Wasser, Leben.
Archäologenglück.

Der Anger. Diese Stille.
Sand und Gras.

Und hier: der Markt. Stimmen, Ausrufer
Überschlagend, der Scheffel, die Elle
Leinengewirk, Rosenkränze, Pferde, Schweine
Gemecker von Ziegen. – Da! Trompetenruf!
Der Feind, der Feind vor den Toren! - Ach

Die Sinne. Das gaukelt und schaukelt. Niemand
Trägt einen Korb unterm Arm, niemand
Fegt diese Steine noch, nirgendein Schall
Der Trompete. Die da gingen
Singen das Kyrieleison im Himmel.

Sonnenwarm die Mauer am Nachmittag.
Wenig ists, was geblieben.
Die Steine. Gebeine, verschollen.
Verschollene Wege, verschollener Klang
Der Armesünderglocke. Bald auch
Verschollen mein eigener Schritt. Vom Wald
Herüber ein Elsterruf.

Perry

Beitragvon Perry » 16.01.2008, 19:30

Hallo Caty,
fast hätte mich der etwas seltsame Titel abgehalten, dieses sprachliche Meisterstück zu lesen. Beeindruckend wie du plötzlich die Vergangenheit lebendig werden lässt. Einzig der Schluss ist mir etwas zu ausufernd (vor allem der "Ich-Schwenk" ist nach meinem Empfinden etwas zu dick aufgetragen, die Vergänglichkeit und die Blickrückkehr zur Gegenwart kommt durch den Elsterruf allein viel natürlicher rüber.
LG
Manfred

Max

Beitragvon Max » 16.01.2008, 20:19

Liebe Caty,

ich habe die Kraft dieses Textes ja schon in der Hörversion bewundert.

Das Schönehier ist, dass der Text gelichzeitig originell und ausdrucksstark ist ... gefällt mir sehr.

Liebe Grüße
Max

Caty

Beitragvon Caty » 17.01.2008, 08:46

Hallo, Perry. Werde den Hinweis mit dem Ich überdenken. Danke für den Kommentar.

Danke, Max, für die nochmalige Meldung.

Caty

Gast

Beitragvon Gast » 17.01.2008, 09:04

Liebe Caty,

dieses Gedicht ist für mich ein besonderes Caty-Gedicht, und ich will versuchen es zu begründen.

Deine Gedichte sind fast immer handwerklich besonders gut geschrieben und sie ähneln sich in Thema, Stil und Setzung auch meist sehr.

Des Öfteren geht es mir so, dass ich mich frage, lese ich einen deiner Texte, warum er mich dennoch "kalt" lässt.
Vielleicht sind deine Texte manchmal etwas stereotyp - dieser hier, ist aus anderem Holz geschnitzt. ;-)

Hier überträgt sich die einfühlsame Betrachtung, ja die Begeisterung und die Verzagtheit des Lyrich auf mich und versetzt mich in eine andere Zeit. Meine Vorstellungskraft wird direkt angesprochen und der Text ist voller Leben und Wärme, wenngleich er sich letztendlich mit dem "Vergehen" beschäftigt.
Er ist meiner Meinung nach das „Sein“ umfassend

Für mich dein bisher bestes Gedicht, in dem du mehr als geschichtliches erzählst, denn du beschwörst die Vergangenheit gefühlvoll herauf ohne dass es aufdringlich ist und du stellst die Sinnfrage indirekt.

Liebe Grüße
Gerda

Caty

Beitragvon Caty » 17.01.2008, 09:24

Liebe Gerda, dank dir für den aufmunternden Kommentar. Ich könnte dir ja jetzt versprechen, nur noch gute Gedichte zu schreiben, d. h. solche, die dir gefallen. Aber ich weiß nicht, ob ich das Versprechen auch wirklich einhalten kann. Dass dich dieses Gedicht anspricht, hat wohl, genau betrachtet, weniger mit dem Gedicht selbst zu tun als mit dir. Es ist weder besser noch schlechter als alles andere, was ich bisher geschrieben habe (von dem ich übrigens nur in euphorischen Stunden selbst begeistert bin, aber sie sind leider selten). Ich würde so gern immer nur allerbeste Gedichte schreiben, aber, leider, leider, der Mensch denkt, Pegasus lenkt. Aber ich bin ganz stolz auf dein Lob, es wird so leicht nicht in meinem E-Mail-Kasten untergehen. Dafür danke ich dir von Herzen. Sei nun nicht traurig, wenn ich eine ganze Weile immer nur die üblichen Caty-Gedichte schreiben werde, meine Sternstunde kommt bestimmt. Nun ja, Spaß muss sein, ernst sind wir alle von ganz alleine.
Caty


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