Lieber Moshe
Manchmal kann ich sehr nüchtern sein und dann sollte ich wohl Gedichten fernbleiben! Selbst diese Erkenntnis ist aber bereits ein Produkt des nüchternen Verstandes, der mich zwar wissen lässt, wie unvernünftig und, wäre ich noch an Anerkennung und Lob so übermäßig interessiert, wie es gewisse Forenfanatiker sein dürften, die sich z.B. bei der Wahl eines auszuzeichnenden Werkes von der Berechnung und nicht den eigentlichen Motiven, also künstlerischen Wert etc., sondern nur von der Hoffnung auf Gegendienste treiben lassen, wie schädlich es also für meinen "Ruf" ist, wenn ich das Bartkitzeln bei diversen Stimmungsmachern unterlasse, so kann man - im konkreten Falle ich - eben nicht aus seiner Haut heraus, ohne dass das solchermaßen entblößte Fleisch nicht sofort zum Köder lauernder Wölfe würde. Sollte ich also sagen, es sei nur die Wahrheit, die schmerzt, dann aber auch gleich hinzufügen, dass größer sei der Schmerz des Wahrheitssagenden, wenn ihn die Anvisierten lapidieren ("steinigen", was ich so aus dem Lateinisch/Italienischen eindeutsche).
Nach dieser langatmigen Vorrede, nun zu deinem Text.
Ich habe mir mehrere Texte deiner "
Der Poet und..." Serie angeschaut, um mir eine Vorstellung von der von dir gewünschten Persönlichkeit des Erlebenden und Erzählenden, den du als Poet bezeichnest, zu bilden, und bin mir noch nicht klar - ist es erforderlich, eindeutig und klar zu sehen? - ob es sich dabei um einen kritischen Beobachter der Welt oder einen ihr als Naivling begegnenden Palmströmtyp handelt, bzw ob du diesen Berichter als Poet ansprichst, weil er die Dinge und Geschehnisse, denen er ausgesetzt wird, eben anders sieht als der vernunftgetriebene Alltagsmensch.
Dieser Poet begegnete einmal ("mal" sollte als umgangssprachlich besser vermieden werden) dem
Volkskörper, einer weiteren ominösen Wesenheit, die ich vielleicht als Masse, das gemeine Volk, jene, die außerhalb des Elfenbeinturmes existieren verstehen sollte. War das im Januar und in welchem, den die Monatsbezeichnung als Zeitrahmen muss doch etwas bedeuten, und man erwartet die Definition eines weiteren Zeitpunktes, da eine Zeitangabe jeweils durch Anfang und Ende charakterisiert wird, also zwei Zipfel hat, wie man von der Knackwurst zu sagen pflegt! Oder ist es das "bis jetzt" am Ende des Textes, das diese Aufgabe erfüllt?
Er
hob den Fuß...zu hoch für seine Zeit. Da im ersten Satz der Poet und der Volkskörper und nicht der Poet dem Volkskörper begegnet, könnte der Fußheber auch der Volkskörper sein, was aber wenig Glaubwürdigkeit besitzt. Warum aber hebt er, bleiben wir bei der Annahme, dass es sich um den Poetenfuß handelt, diesen Fuß? Um zu treten! Dies ist aber zu hoch für
seine Zeit? Ist die Zeit hier die Zeit=das Alter des Poeten, was eine plausible einfache Erklärung wäre, denn ein Alter sollte seine Bewegungen sorgfältig kontrollieren, um nicht zu fallen. Moshe, so vordergründig kann ich dich nicht sehen! Also sprichst du von der Zeit, in der ein Geschehen abläuft, den politisch-gesellschaftlichen Hintergrund. Der Poet - hier ist er ein Handelnder und nicht der Beobachter - nimmt hier ein Risiko auf sich, da er wagt, was seine Zeit nicht toleriert, und, da dieses Risiko eben zu hoch ist, fällt er fast bei der Durchführung seiner Aggression, den Fußtritt, den er der
Zeitung versetzen will - wobei die Zeitung für die öffentliche Meinung stehen muss, also des Volkskörpers Stimme ist, der der Poet einen Tritt versetzt ("runter" ist die umgangssprachliche Version von herunter, aber auch herunter ist problematisch, da es eine über der Volksmasse befindliche Position des Poeten aussagt).
"
Tor" und Lautsprecher weisen zwar auf die vom Poeten sicherlich kritisierte Fußballhysterie des Pöbels hin, doch hat auch eine vom Volkskörper gegen des "törichte" Verhalten des Poeten gerichtete Verurteilung Sinn. "für das Empfinden" kann sowohl eine Beurteilung ausdrücken (für mein Empfinden ging das zu weit...) wie auch als Fast-Synonym für Gehör stehen.
Der nächste Satz
Jahre folgen sich einander ohne Ahnungen irgend Gründe, verfliegend, die meisten einfach so zurücklassend.
sollte wohl bearbeitet werden, da er sprachlich - für mich - ungenießbar ist.
Jahre folgen einander
ohne sich - handelt es sich dabei um die Jahre nach dem Januartritt? Es sind nicht die Jahre, die keine Ahnungen irgend(welcher)Gründe haben, doch die Jahre verfliegen. Wer oder was wird von wem zurückgelassen?
Dann wird der Poet zum Kommentator, der vielleicht Ahnungen aussprechen, Gründe geben könnte, oder auch den Ahnungslosen verkörpern könnte, der die
Brille aufsetzt (mit der er das sehen kann, was vielleicht nicht gesehen werden soll, da es nicht "in der Zeitung" steht, oder auch nicht, so dass er alles in Ordnung findet und sich dem Volkskörper einordnet. Wenn er aber die Brille aufsetzt!
Weißt du,lieber Moshe, ich schätze spontanen Ausdruck, der die Basis für künstlerisches Schaffen liefert, doch bin ich absolut dagegen, wenn man seine Primärergüsse ohne Bearbeitung durch handwerkliches Können bereits als Fertigprodukt ausgibt. Ich weiß, es gab Dada und die Happeningkünstler sind immer noch in Mode, was ich für ein Armutszeugnis unserer Epoche betrachte. Du gehst in deiner Serie von einer interessanten Überlegung aus, der du Farbe und Gefühl anlegst, doch denke ich, dass du es nicht nötig hast, wie so manche Forenschreiber, täglich deine Präsenz durch Einstellen eines nur halb bearbeiteten Textes zu beweisen. Wenn ich, als Leser, mich einige Stunden mit deinem Text befasse, so glaube ich auch erwarten zu können, dass solche Texte bereits einen Reifungsprozess im Kopfe des schöpfenden Autors durchlaufen haben und die reinen formalen Anforderungen an Grammatik und Syntax beachtet wurden.
Das kostet Zeit, aber hier ist weniger (Texte) mehr (an Qualität).
Freundliche Grüße. Schwarzbeere