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Die Tanzende

Verfasst: 26.12.2007, 23:13
von Schwarzbeere
Die Tanzende

Sie hob die fast schon reifen Schenkel
bis die schlanken Beine
und die vorgestreckten Unterarme
zu einer Linie in den Raum sich fügten,
an der entlang wie leichtes Beben
der Rhythmus zu vibrieren schien.

Dann schnellte der gespannte Torso
im Sprunge vor und wie die Arme
sich zum weichen Gleiten breiteten,
warf in den Nacken sie den Kopf,
die hellen Augen weit geöffnet
und lächelnd mit gelösten Lippen.

Verfasst: 27.12.2007, 09:19
von Nicole
Guten Morgen!

ich mag die Art, wie Du beschreibst! Die "fast schon reifen Schenkel", der "vibrierenden Rhytmus" und vor allem am Ende "das Lächeln mit gelösten Lippen".
Ich habe bei der Beschreibung eine Ballettänzerin (darf ich das nun eigentlich, nach Rechtschreibreform mit drei "t" schreiben?) vor Augen, die ein Grand jeté vollführt. Aber genau hier strauchele ich auch bei Deinem Gedicht.
Sie hebt die Schenkel, bis Beine und Unterarme bilden eine Linie...und aus dieser Position heraus springt sie... Kannst Du mir bitte die Anfangsposition erklären? Wenn sie nur ein Bein heben würde, dann paßt die Arabesque.....hilfe?!?!

Viele Grüße,

Nicole

Verfasst: 27.12.2007, 13:51
von Schwarzbeere
Danke, Nicole, für deine Kritik und Anfrage

Vorerst: ich bin kein Tänzer, wenn man von klassischen Gesellschaftstänzen absieht, und auch die sind mir heute etwas zu anstrengend. Ich habe auch nicht von einer Tänzerin gesprochen, sondern absichtlich von einer Tanzenden, allerdings dazu von einer ganz konkreten Darbietung, einer Improvisation angeregt.

Die Vorgangsbeschreibung ist insofern wenig exakt, als ich von Schenkeln, also Plural, spreche, die – und das hast du ganz richtig aufgezeigt -man ja wohl kaum beide gleichzeitig heben kann, es sei denn, man befinde sich in einer anderen als stehenden Position. Doch kann man hierin vielleicht auch einen kurzen Rückgriff auf die Vorbereitung der folgenden Ausgangsstellung sehen. Vor dem Sprung hebt sie, die Tanzende, ein Bein so, dass der Oberschenkel waagrecht, der Unterschenkel dazu im rechten Winkel abwärts und damit parallel zum gestreckten anderen Bein gerichtet ist. Beide Arme sind in der Gottesanbeterinhaltung nach vorne gestreckt, die Oberarme waagrecht und parallel zum gehobenen Oberschenkel, die Unterarme nach oben gerichtet in einer Linie mit dem angehobenen Unterschenkel und einander angenähert, so dass sie den Blick auf das Gesicht verhindern.

Bei dem folgenden Sprung öffnen sich die Arme wie bei einer Willkommensgeste flügelartig, wodurch der Oberkörper sich vorwölbt, verstärkt durch das Zurückwerfen des Kopfes.

Dieses lustvolle Sich-in-den-Raum-werfen kommt dem, was in der Ballettsprache mit Grand Jeté bezeichnet wird, ziemlich nahe und, wenn man nicht zu genau auf meine Worte hinhört, dann ist eine Assoziation zu diesem klassischen Tanzsprung durchaus valabel und sollte mir Freude machen.

Schöne Grüße. Schwarzbeere

Verfasst: 27.12.2007, 20:31
von moshe.c
Sehr schön zu lesen, was man in Paris so alles macht, um zu geniessen!
Mich wundert es garnicht, wieso du dort lebst.

Zwar wollte ich auch immer gern in Frankreich leben, aber mehr in der Provinz.
Die 'Capitale' Toulouse hatte es mir angetan, wegen dieser feinen Reflektion des pariser Selbstbewußseins in eigenständiger Form, und wegen der Küche.

Dein Text regt mich an mal darüber nachzudenken, wie ich Frauen von hier beschreiben könnte. Das ist mit Sicherheit wesentlich schwieriger, weil es den Kanon, israelisch zu sein, nur erst in Ansätzen gibt.

Ich denke, in Frankreich hat man einen Grundtock an Tradition, der defienert werden kann, aber der der Gefahr der Auflösung unterliegt. Hier ist es umgekehrt: Man arbeitet am Grundtock aus der Vielfalt, die natürlich auch einen Bestand in der Definition zu bieten hat, aber weniger in den Verhaltensweisen.
So ist jemand aus Ethopien/Jemen, oder aus dem Iran/Irak, oder aus Deutschland/Polen/Frankreich, oder aus Argentienien/Brasilien, oder aus Indien/China, jeweils in seinen kulturellen Bezügen aufgewachsen, jeweils als Aussenseiter mit einem Bezug, der hier langsam wieder an Kraft gewinnt.
Praktisch gesehen, ist es natürlich für einen Mitteleuropäer, auch wenn er jüdisch ist, sehr schwer sich vorzustellen, welche Rolle eine Frau mit einer Tradition im Bauchtanz, in seinem privaten Bereich spielt, und dieses dann auch zuzulassen.
Es gibt durchaus positive Ergebnisse aus solchen Zusammentreffen.
Das sieht man bei der Musik und an den Kindern.

:daumen:

Eine Frage, die ich als ernst verstanden wissen möchte: Könntest du mal etwas über Käse schreiben?
Ich liebe französischen Käse über alles und wende manchmal beträchtliche Summen auf, um an zu gelangen.

MlG

Moshe

Verfasst: 27.12.2007, 23:48
von Schwarzbeere
Guten Abend Moshe und danke für deinen Kommentar

Apropos Käse: ich nehme nicht an, dass diese Erwähnung im Zusammenhang mit meinem Text eine Wertung sein sollte, und wenn, so bin ich dir sicherlich nicht böse! Doch über Käse schreiben, das mute ich mir nicht zu, denn

da gibt es doch die herrliche Erzählung „il museo di formaggi“ (also das Käsemuseum, der fiktive Name eines Käsegeschäftes in Paris) von Italo Calvino in seinem Buch „Herr Palomar“, das unter diesem Titel in deutscher Übersetzung bei DTV erschienen ist. Falls du Calvino nicht kennst: er ist einer der interessantesten Autoren des 20. Jahrhunderts und neben Tabucchi mein italienischer Lieblingsschriftsteller.

Liebe Grüße. Schwarzbeere

Verfasst: 28.12.2007, 09:47
von Nicole
Hallo Schwarzbeere,

vielen Dank für Deine Erläuterung. Bitte verstehe meine Frage nicht als negative Kritik, ich neige dazu, die Dinge zu hinterfragen. Es tut allerdings meinem Wohlbehagen beim Lesen Deiner Zeilen keinerlei Abbruch. und genau das ist auch das richtig Wort: Wohlbehagen.

Gruß, Nicole

Verfasst: 28.12.2007, 14:40
von Chiquita
der tanz setzt sich langsam zusammen. nach den worten im kopf. der tanz geht gar noch weiter. ein schöner versuch, das netz darüber auszuwerfen.

gruß
chiqu.

Verfasst: 28.12.2007, 20:02
von Ramona_L
Guten Abend, Schwarzbeere ...

eine wunderbare Beschreibung, auch wenn man nichts von ihr erfährt,
außer Bewegung, Schenkel und helle Augen ...

ihr Haar? ihre Hüften? ihr Duft?

wie auch immer, ich könnte mir zwei 'und' wegdenken und es
würde besser fließen, sich spannender fügen, nach meinem Ermessen.


Die Tanzende

Sie hob die fast schon reifen Schenkel
bis die schlanken Beine
und die vorgestreckten Unterarme
zu einer Linie in den Raum sich fügten,
an der entlang wie leichtes Beben
der Rhythmus zu vibrieren schien.

Dann schnellte der gespannte Torso
im Sprunge vor und wie die Arme
sich zum weichen Gleiten breiteten,
warf in den Nacken sie den Kopf,
die hellen Augen weit geöffnet

lächelnd mit gelösten Lippen.


Auch könnte ich mir vorstellen, dass das Präsens dem Gedicht
gut tun würde ...

Meine Gedanken dazu,

Ramona

Verfasst: 28.12.2007, 22:46
von moshe.c
Lieber Schwarzbeere!

War ich denn mißverständlich in Sachen Käse?

Ich denke nicht.

Gerne nehme ich deine Anregung an und werde mir den Calvino mal besorgen. Ich kenne ihn nicht, aber deine Empfehlung macht in mir unwiederstehlich.

Was ich davon habe, werde ich ja sehen.

MlG

Moshe