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Kanon der Pop-Kultur
Verfasst: 24.10.2007, 17:36
von Sebastian
Ich nehme mir die Freiheit
sprach die Nummer Eins zur Zwei
zu nehmen mir das Einerlei / Ich nehme mir die Freiheit
Vollzog den Bruch mit Vatis / zu nehmen mir das Einerlei
Heimatnorm / Vollzog den Bruch mit Muttis
Nonkonformisten-Uniform / Hausmannskost
/ Tiefkühlkost
Ich nehme mir die Freiheit
sprach der Terrorist
zu bomben
wo die Leere ist
Utopist
Heimatnorm
Tiefkühlkost
und Landreform
Ich nehme mir die Freiheit
sprach die Nummer Eins zur Zwei
zu nehmen mir das Einerlei / Ich nehme mir die Freiheit
Vollzog den Bruch mit Vatis / zu nehmen mir das Einerlei
Heimatnorm / Vollzog den Bruch mit Muttis
Nonkonformisten-Uniform / Hausmannskost
/ Tiefkühlkost
Hei - Mat - Norm - Reform
Verfasst: 25.10.2007, 11:27
von MarleneGeselle
Hallo Sebastian,
ich muss gestehen, dass ich ganz schön ratlos vor deinem Text sitze. Das Einzige, womit ich etwas anfangen kann ist:
Ich nehme mir die Freiheit
sprach der Terrorist
zu bomben
wo die Leere ist
Mit Popkultur kann ich dies aber auch nicht in Einklang bringen. Könntest du vielleicht ein wenig über deine Gedanken erzählen? Was hat dich zu dem Text bewogen?
Liebe Grüße
Marlene
Verfasst: 25.10.2007, 14:01
von Sebastian
Lieber Marlene,
das Gedicht ist ein Auszug aus einem Zyklus zum 30-jährigen Jubiläum des deutschen Herbstes (Terrorismus der RAF).
Die im Zwischenteil vom Terroristen bemängelte "Leere" steht im Sinne der damaligen marxistischen Theorie, die die Anfänge der Popkultur als konformistisch betrachtete, also als eine Auflösung individueller Werte.
Nummer Eins und Zwei sind zwei beliebige Individuen, die jene Leere in ihrem Singsang transportieren sollen, obwohl sie sich in einer scheinbaren Freiheit wähnen.
Dies wäre der grundlegende Tenor, in dem das Gedicht entstanden ist.
liebe Grüße
Sebastian
Verfasst: 26.10.2007, 09:13
von MarleneGeselle
Hallo Sebastian,
danke für die Hintergrundinfos. Bei dem Terroristen in deinem Gedicht dachte ich allerdings an die heutigen islamistischen Fundis, die unsere in ihren Augen wertelose Gesellschaft wegbombem wollen. Auch Vatis und Mamis Spießertum passen da, noch immer oder schon wieder, viel zu gut rein.
Mir scheint, dass auch eine völlig andere Zeit/Welt die gleiche sein kann.
Liebe Grüße
Marlene
Verfasst: 26.10.2007, 11:04
von Gast
Lieber Sebastian,
ein fast brutaler - im Sinne von aufrüttelnder - Text, den ich sehr interessant finde auch vom Aufbau her.
Erst bin ich über den Plural "Muttis" und "Vatis" gestolpert, aber ich glaube, dass du das in Anspielung auf die WGs in der Blütezeit der Bewegung der sog. 68 er Generation (du bist wahrscheinlich Kind dieser Elterngeneration), gewählt hast.
Ein Kind in einer WG hatte damlas viele Väter und Mütter.
Die RAF ist eben aus jener Prostestbewegung hervorgegangen und ich finde man sollte nicht die Augen davor verschließen, dass auch die Zeit des politischen Herbstes ein Stück "Deutschland" beinhaltet. Es ist ein politischer Text, der hintergründig die Vergangenheit punktuell an typischen Wirtschaftswunder - und Heimatgefühlen heraufbeschwört, aber auch ein stückweit auf gegenwärtigen Terror schaut, ohne zu werten.
Das finde ich sehr gut. Ich lese den Text sarkastisch und glaube, dass er gesprochen noch mal gewinnen könnte, gerade die Wiederholung wird dann klarer - m. M.
Wir haben ja die Möglichkeit Lesungen in der Hörbar zu posten, vielleicht könntest du diesen Text für die Saloner einlesen.
Liebe Grüße
Gerda