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„denn alles fleisch …

Verfasst: 23.10.2007, 13:57
von Gast
Bei der Accountlöschung bat die Autorin darum, dass ihre Texte gelöscht werden. Dieser Bitte kommt die Administration nach.

Verfasst: 23.10.2007, 19:29
von Herby
Liebe Gerda,

der Text schließt thematisch an deine anderen aus der Reihe "Vergehen" an, allerdings direkter, drastischer. Ich kann nun nicht sagen, dass ich diesen Text gerne gelesen habe, ich kann aber sehr wohl sagen, dass er einer der Texte ist, die ich als nachhallend bezeichne.

Mit den kleineren Problemchen, die mir dein Gedicht noch an der ein oder anderen Stelle bereitet, werde ich mich noch auseinandersetzen. Eventuell später mehr dazu.

Eine Winzigkeit: spendiere dem "daußen" im vorletzten Vers noch ein -r. ;-)

Lieben Gruß
Herby

Verfasst: 23.10.2007, 19:37
von Gast
Lieber Herby, erst mal Danke - auch fürs "r".
;-) (gerdalike)

(Kein Titel)

Verfasst: 23.10.2007, 20:51
von Niko
hallo gerda!
dein text zeigt spannbreite, wenn ich mal so sagen darf. der anfang und auch das ende finde ich toll. ein bischen lakonisch, eine prise selbstironisch.....so empfinde ich es jedenfalls. besonders das hier gefällt mir:

mich vergessen
lässt mein welken für ein stündchen
das ruchbar schon nach winter duftet


bei unserm tun - für mich bräucht es die klammer nicht. (ich glaube, man muss zusehen, dass man nicht zusehr einer mode verfällt)
bis hin zur endzeit gefällt mir das gedicht rundherum, von den klammern mal abgesehen.
doch dann wirst du worthackiger, es fließt nicht mehr so wie am anfang. und gipfelt im "dunkeln mir löcher im knochenweiß" ........das passt nach meinem geschmack so garnicht recht zu deinem lockeren stil am anfang. den schlussabsatz finde ich wiederum sehr geraten und passt zum anfang. vielleicht ist dieses stutzend stockende im mittelteil von dir auch beabsichtigt, aber ich denke bei mir, das es dem gedicht besser täte, zöge man etwas anderes zu werke um dem stockenden ausdruck zu verleihen.
dennoch: gefällt mir sehr und es ist irgendwie ein anderes gerda-gedicht. zumindest von dem was ich so von dir kenne.....gerne mehr davon :-)

lieben gruß: Niko

Verfasst: 23.10.2007, 23:33
von Gast
Lieber Niko,

allzu viel möchte ich heute Abend nicht merh schreiben, aber ich danke, dir, dass du dich so positiv geäußert hast. *freu*

In der Tat, es ist genau wie du vermutest: Der Text soll sanft plätschschernd, fast fröhlich besinnlich beginnen, obwohl der Titel sicher schon hellhörig macht, und dann ins Stocken geraten, besonders beim Schädel und den Augenhöhlen ... ich wollte das genauso grob haben ...
iIm Grunde hat Herby schon erkannt dass er die Fortführung meines derzeit gewählten Themenkreises "Vergehen" ist.


Lieber Herby,

ich hoffe, du hast dich vom Schrecken, dass der Text nicht sanft weitergeht inzwischen erholt.
Danke dir für den nachhall, den ich mir jetzt mal auf die Positivseite schreibe.
Jedenfalls hast du völlig richtig erkannt und ich danke dir, dass du das erwähnt hast, dass er in einer Reihe mit meine "Vergehen" Texten steht.
Ich habe den November vorgezogen ;-)
Ich bin in Wahrheit sehr heiter, ich hoffe du nimmst mir das ab.

Liebe Abendgrüße euch Beiden
Gerda :stern: :stern:

Verfasst: 24.10.2007, 00:22
von Herby
Liebe Gerda,

ich hoffe, du hast dich vom Schrecken, dass der Text nicht sanft weitergeht inzwischen erholt.


Ein Schrecken war es nicht, ergo brauchte ich auch keine Erholung.


Danke dir für den nachhall, den ich mir jetzt mal auf die Positivseite schreibe.


So und nicht anders war er auch gemeint!


Ich bin in Wahrheit sehr heiter, ich hoffe du nimmst mir das ab.


Das glaub ich dir sofort, ich las tatsächlich keine autobiographischen Züge.

Liebe Grüße und ganz viel Gutes für morgen bzw. heute ;-) :daumen:
Herby

Verfasst: 24.10.2007, 08:30
von scarlett
Liebe Gerda,

ich mag den nüchternen, klaren Blick den du in diesem Gedicht anschlägst. Erscheint mir zum Thema passend, dem Inhalt angemessen.

Die Begegnung mit einem jungen Menschen // Geliebten zum Anlaß zu nehmen, um über Vergänglichkeit, Alter und Tod nachzudenken: unspektakulär, leise, aber deutlich.

Der Titel erweckte in mir sofort eine Verbindung zu einer anderen Textzeile, "und alle Lust will Ewigkeit" - könnte ich mir auch gut über deinem Gedicht stehend vorstellen. Ich mag dieses "Fleisch" eigentlich nicht, das ist mir zu roh, zu direkt, zu "ungeschminkt" (es ist den einen Tick zu viel, den das Gedicht eben gerade nicht hat).

Mir ist formal noch was aufgefallen:

mit "jeh" - meinst du doch sicher: "plötzlich" oder? - dann müßte es aber "jäh" heißen, meine ich.
oder du meinst "jemals" (war er jemals da?), was ich nicht glaube, aber dann gehörte es wohl ohne "h".

Die Schlußzeile mag ich sehr, sie bringt noch einmal das ganze Gedicht wunderbar auf den Punkt.

Grüße,
scarlett

Verfasst: 24.10.2007, 12:31
von Jürgen
Hallo Gerda,

Ich lese jeh als je(-mals). Also kein "H". Der Text wirkt durchdacht umgesetzt. Und nach deinen Erläuterungen wird mir auch die Struktur klarer. Erst gekonnt fließend, dann abgehakter, unruhiger.

Sehr schön

Jürgen

(Kein Titel)

Verfasst: 24.10.2007, 15:51
von Gast
Lieber Jürgen,

vielen Dank für dein"Sehr schön", und dafür dass du mich mit der Nase auf das "h" zu viel gestoßen hast, habe "je" ohne "h" editiert.
Ich hoffe, dass der Leser nicht überlegen muss, ob ich wohl bewusst so geschrieben und gesetzt habe, sondern erkennt, dass Absicht dahinter steht. ;-)

Liebe scarlett,

du hast Nietzsche zitiert, ganz naheliegend ... und doch :confused: verschwindet dieses: "Denn alle Lust will Ewigkeit", hinter den Gedanken des Lyrich in diesem Text.
Meine Intention dürfte sich von deiner Interpretation etwas unterscheiden. Mir ist wichtig, dass Lyrich die Gedanken über "Vergängliches" transportiert, unter dem Aspekt, dass in der Natur alles endet und wieder beginnt ... Vergehen als Beständigkeit.
Ich danke dir ganz herzlich für deine Rückmeldung.
Das "je" habe ich schon verbessert, es muss "je" von jemals heißen.
Was den Titel angeht, so korrespondiert er eigentlich in seiner direkten Art mit dem "knochenweiß"
Ich bin nicht sicher, ob mir ein "harmloserer" Titel ein - bzw. gefallen würde.

Liebe Grüße
Gerda :smile:

Lieber Herby,

danke nochmals - alles klar -soweit. :smile:

LGG

Verfasst: 24.10.2007, 21:40
von annette
Liebe Gerda,

gefällt mir sehr!

Die Körperlichkeit ist so eindringlich, fast aufdringlich. Zum einen die typischen Knieschmerzen, das dezente „tun“ und das Ertasten des Schädels.
Ich musste erstmal nachschaun, wo Joch- und Stirnbein sitzen. Geht es Dir hier um die anatomisch korrekten Begriffe oder um die Stelle, um den Ausdruck der Geste? Vielleicht bin ich was die Anatomie des Schädels angeht auch besonders unbeleckt, aber wenn es eher die Geste ist, die Du beschreiben willst, würde ich so formulieren, dass man es sofort vor Augen hat (evtl. „ ertaste mit dem zeigefinger die weiche stelle unter der Schläfe“ – wo man ja auch den Puls fühlen kann).

Andererseits sieht man bei den Knochennamen sofort den weißen Schädel vor sich – wahrscheinlich wolltest Du genau das herauf beschwören, ja, das hat auch was für sich.

umspannt auch meine haut
das fleisch
den schädel noch


Hier würde ich statt „Fleisch“ „Muskeln“ oder „Sehnen“ sagen, um das Fleisch in der Überschrift nicht durch Wiederholung zu „schwächen“. Die Überschrift gefällt mir übrigens ganz ausgezeichnet, weil man mit Fleisch sowohl Anatomie als auch Sexualität konnotiert.

Die letzten beiden Zeilen sind toll!

Kleinigkeiten:
ruchbar finde ich in diesem Satzzusammenhang seltsam. Das darin steckende „riechen“ ist zwar stark, durch das „duftet“ aber gedoppelt.

endzeit finde ich pathetisch

dunkeln mir löcher / im knochenweiß
Mir fällt Osteoporose ein – meinst Du das?

Eine Frage stellt sich mir: Ist das Ich eine Frau oder ein Mann? Und: Soll das offen bleiben?
Ich dachte eigentlich sofort an eine Frau. Dann wäre der Text keineswegs „unspektakulär, leise“, wie scarlett sagt.
Wenn eine wesentlich ältere Frau ganz gezielt eine Beziehung nur für den Sex sucht („für ein stündchen“, „bin fern dir schweife ab“) und den Sex auch genießt (der schmerz im knie lässt nach (bei unserem tun) war er je da –), dann finde ich den Text äußerst bemerkenswert.
Ist es ein Mann, ist die Situation eher klischeehaft (die junge Frau redet, er ist in Gedanken woanders).

Ich schließe jetzt mal aus, dass es sich um eine gleichgeschlechtliche Beziehung handelt (Warum eigentlich?)

Sehr gern gelesen!
Lieber Gruß - annette

Re: „denn alles fleisch …

Verfasst: 24.10.2007, 23:29
von Elsa
Liebe Gerda,

ein schönes Stück "Vergehen", gerade gut für Menschen meines Alters nachzuvollziehen ;-)

Ich finde den Titel bestens. Gerade die gewissen "Roheit" darin, und dann aber das beinahe abgeklärte Betrachten von dem, wie es ist.

darauf versessen bin ich nicht …
mehr allzu sehr
der schmerz im knie
lässt nach (bei unserem tun)
war er je da –

das berührt mich total.

anschließend trinken wir kaffee und reden
von deinen sorgen die nicht meine sind

Schön!

bin fern dir schweife ab ertaste
mit dem zeigefinger die fuge
zwischen joch- und stirnbein
ahne
zerfall
endzeit

umspannt auch meine haut
das fleisch
den schädel noch
und hält

dunkeln mir löcher
im knochenweiß

Sehr fein, wie genau das beobachtet ist, und hier ein Hauch des Abschiednehmens, wehmütig und nicht abgeklärt.

golden verweht draußen ein tag
es wird kühler
Genau!

Sehr gern gelesen!

Lieben Gruß
ELsa

Verfasst: 25.10.2007, 10:27
von Gast
Lieber Niko,

du meinst, ich solle auch die Klammern (bei unserm tun) verzichten.
Mir ist nicht bewusst, das ich da eine "Mode" verfalle. ;-)
Meinst du das, weil im Salon einige Autoren des Öfteren Einklammerungen verwenden? Oder gibt es Hinweise, dass sie verstärkt Verwendung in der veröffentlichten Gegenwartslyrik (ich meine jetzt bei Verlagen gedruckter) finden?
Für mich sind die Klammern Stilmittel insofern, als dass diese einerseits die intendierte Nebensächlichkeit des „Tuns“ füs Lyrich ausdrücken sollen, andererseits auch das Augenmerk darauf lenken (widersprüchlich ich weiß - aber Absicht), weil diese Stelle im Kontext eben doch wichtig ist auch für meine Intention.

Liebe annette, ,

danke fürs "gefällt mir sehr". *freu!* :smile:

annette hat geschrieben:Hier würde ich statt „Fleisch“ „Muskeln“ oder „Sehnen“ sagen, um das Fleisch in der Überschrift nicht durch Wiederholung zu „schwächen“. Die Überschrift gefällt mir übrigens ganz ausgezeichnet, weil man mit Fleisch sowohl Anatomie als auch Sexualität konnotiert.


Schön, dass du das so herausgelesen hast, so war es beabsichtigt.
Dein Vorschlag das im Text zu ändern hat was, ich überlege an dieser Stelle noch.
Ich wollte gern genau dieses Fuge, (in Höhe des Ohransatzes) die man beim Knochenschädel seitlich sieht, anatomisch richtig verorten, ja. Ich möchte den Leser veranlassen sich das ganz real vorzustellen, wenn der Schädel nackt und weiß ist … denn alles fleisch …wie auch im Weiteren …

annette hat geschrieben:ruchbar finde ich in diesem Satzzusammenhang seltsam. Das darin steckende „riechen“ ist zwar stark, durch das „duftet“ aber gedoppelt. h



Das darin „riechen“ steckt, ist ausnahmsweise zweitrangig obwohl ich ein Nasenmensch bin), hier geht es mir hauptsächlich um die übertragene Bedeutung, des „Ruchbar Werdens“, hier im Sinne von, Lyrich kann den das Herannahen des Winters (Alters) fühlen.
Für mich ist es so passend ist. Ich habe andere Adjektive ausprobiert – vorher – aber „spürbar schon nach winter duftet“ hört sich falsch an, ganz schlimm fände ich „ahnungsvoll“, das klänge betulich pathetisch, (geht das?) ;-) meine ich.


annette hat geschrieben:endzeit finde ich pathetisch


Ja, da ist was dran, in einer Vorversion hatte ich etwas mit „endlich“ formuliert, das erschien mir zu schwach.
Ich denke noch einmal darüber nach … Richtung „endlichkeit“

Gerda hat geschrieben:dunkeln mir löcher / im knochenweiß


annette hat geschrieben:Mir fällt Osteoporose ein – meinst Du das?


Nein, ich meine die leeren dunklen Augenhöhlen imTotenkopf (... wenn alles Fleisch zerfallen ist). Im Anschluss an die Vorstellung des Schädels, müsste das m. A. n. zu verstehen sein.
Aber wenn du es anders lesen magst, es würde zum Hintergrund des Gedichtes ebenso passen, denn die Konstellation, die ich im Sinn hatte, ist die Beziehung zwischen einer um viele Jahre ältern Frau zu einem jungen Mann.
Meinst du wirklich, dass es für den Leser wichtig ist, sich die Ausgangskonstellation vorstellen zu können?
Es ist ja ein Erzählgedicht und es darf schon Einiges verraten, aber hier denke ich: Nein.
Wenn es allerdings dazu führt, dass das Gedicht nur noch Klischeedenken bedient, werden die "Verhältnisse" vom Leser auf den auf den Kopf gestellt,... fände ich das sehr schlimm, dann wäre es ein schlechtes Gedicht.
Ich bin davon ausgegangen, dass meine Erzähl(ab)sicht herauszulesen ist.
Ich würde mich freuen, gerade zu diesem Punkt noch einmal Rückmeldung von dir zu erhalten.
Ich bin dir sehr dankbar, für das genaue analytische Lesen dieses mir wichtigen Texts.

Liebe Grüße
Gerda


Liebe Elsa,

was soll ich bei so viel Beifall anderes sagen, als herzlichen Dank, mich freut es sehr, dass du dem Text meiner Intention nach problemlos folgen kannst und dass er dir gefällt.

(Vielleicht lesen Frauen in unserem Alter gerade diesen Text auch am ehesten meiner Intention nach). :smile:


Liebe Grüße an euch Drei
und eine guten Tag
Gerda

Verfasst: 25.10.2007, 12:50
von Elsa
(Vielleicht lesen Frauen in unserem Alter gerade diesen Text auch am ehesten meiner Intention nach).


So wird es sein, liebe Gerda ;-)

Herzlich,
ELsa

Verfasst: 25.10.2007, 15:38
von annette
Gerda Jäger hat geschrieben:Ich wollte gern genau diese Fuge, (in Höhe des Ohransatzes) die man beim Knochenschädel seitlich sieht, anatomisch richtig verorten, ja. Ich möchte den Leser veranlassen sich das ganz real vorzustellen, wenn der Schädel nackt und weiß ist


Ja, das war dann ja auch mein zweiter Gedanke. Und das kommt so auch gut rüber. Außerdem unterstützen die anatomischen Bezeichnungen den nüchternen Tonfall. Also: Lass es so!

Gerda Jäger hat geschrieben:Für mich ist es so passend ist. Ich habe andere Adjektive ausprobiert – vorher – aber „spürbar schon nach winter duftet“ hört sich falsch an, ganz schlimm fände ich „ahnungsvoll“, das klänge betulich pathetisch, (geht das?) ;-) meine ich.


Ja, "ahnungsvoll" passt gar nicht. Eher so etwas wie "offenkundig/untrüglich/unzweifelhaft": "das offenkundig schon nach winter duftet".

"Ruchbar" wird meines Wissens immer nur als "ruchbar werden" verwendet. Du könntest sagen: "das den Winter schon ruchbar werden lässt".

Duften ist zwar schön, lässt meiner Meinung nach aber wirklich eine Doppelung der Geruchsassoziation entstehen.

Gerda Jäger hat geschrieben:Aber wenn du es anders lesen magst, es würde zum Hintergrund des Gedichtes ebenso passen, denn die Konstellation, die ich im Sinn hatte, ist die Beziehung zwischen einer um viele Jahre ältern Frau zu einem jungen Mann.


Wie gesagt, das war auch meine bevorzugte Lesart. Aber die war ein bisschen dadurch geleitet, dass die Autorin nun mal weiblich ist. Ein eindeutiger Hinweis auf das Geschlecht des Ich ist mE im Text nicht vorhanden. Vielleicht bin ich die einzige, die hier eine Uneindeutigkeit sieht.
Mal an alle: Hat es irgendwer anders gelesen?

Ich würde eventuell irgendwo einen Hinweis einbauen, zB aus dem "du" ein "er" machen (sind nur zwei Stellen). Oder ist die Ansprache an das Du wichtig?

Eine Sache ist mir noch aufgefallen: Wäre es in Deinem Sinne, nach "war er je da" statt des Gedankenstriches ein Fragezeichen zu setzen? Fände ich klarer.

Liebe Grüße - annette