Oktober

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 15.10.2007, 20:49

Oktober

Die Luft riecht schon nach
Nächtlichen Frösten. Mein Haus
Wirft längere Schatten. Irgendwo
Bellen Hunde schneeversessen
Treiben braune Kastanien ins Gras.
Jemand harkt Laub auf den Wegen.
Die Bänke im Hof stehn nutzlos herum.
In der Pappel erschrecken die Kohlmeisen
Die Krähen sind angekommen vom Osten.
Mein Liebster auf dem Balkon
Gießt die letzte Geranienblüte.

scarlett

Beitragvon scarlett » 15.10.2007, 21:37

Hallo caty,

dieser Text von dir läßt mich etwas zwiegespalten zurück.

Mir gefällt diese relativ nüchterne Aussenschau durchaus, das Ich nimmt fast schon protokollarisch das auf, was um es herum geschieht, was es sieht, was es wahrnimmt. Einzig der "Liebste" am Schluß läßt eine gewisse Emotionalität erkennen.

Zweigeteilt erscheint mir auch der Text an sich: der erste Teil arbeitet Zeilen übergreifendend, dann ändert sich das und jeder Vers beinhaltet einen kompletten Satz. (Übrigens scheint mir hinter "Kohlmeisen" ein Punkt zu fehlen, der Systematik halber).

Ich frage mich als Leser, warum? Und da ich nun schon einige Texte von dir kenne, bin ich mir sicher, daß das kein Zufall ist, ABER: ich kann mir keinen Reim drauf machen, sprich: der Grund hierfür bleibt mir verschlossen.

Kannst du da weiterhelfen? Würde mich interessieren ....

Übrigens: das "schneeversessen" kann ich in diesem Kontext auch überhaupt nicht nachvollziehen ...

Beste Grüße,
scarlett

Caty

Beitragvon Caty » 16.10.2007, 09:06

Liebe Scarlett, du hast recht, der Text "protokolliert". Ich wüsste aber nichts, was dagegen einzuwenden ist, auch viele andere Texte "protokollieren". Im Grunde tun das fast alle, wenn du sie dir genauestens ansiehst. Ich vermute mal, dass es weniger dieses "Protokollieren" ist, was dich aufmerksam macht, sondern die Nüchternheit, die aus jeder Zeile spricht, jede Verhübschung und Verzierung ist vermieden worden. Das entspricht eben meiner Ansicht, wie ich die Dinge sehe, und das hat überhaupt nichts mit fehlender Emotionalität zu tun. Wie ja ein Gedicht mehr wirkt, wenn es selbst weniger emotional ist, aber Emotionalität im Leser hervorruft, der die Bilder wiedererkennt und sich hineinversetzen kann. Du kennst das doch: Wenn einer sehr begeistert schwärmt, geht man schon aus Oppositionslust auf Abstand, umgekehrten Falls aber wird die Begeisterung gesucht und deshalb tiefer empfunden, weil sie aus dem Leser selbst kommt. Das Dumme ist nur, bei abgestumpften Menschen rührt sich weder so noch so etwas.

Formal zweigeteilt: Soviel ich weiß, gibt es keinerlei Vorschrift, dass man entweder nur zeilenübergreifend oder nur gegenteilig schreiben sollte. Das ergibt sich aus den benutzten Bildern. Ich sehe da keinen Lapsus. Aber vielleicht kann mich da jemand aufklären.

Du hast recht, der fehlende Punkt hinter "Kohlmeisen" ist beabsichtigt, denn obwohl ein Hauptsatz folgt, gibt es doch einen logischen Zusammenhang mit den Krähen: Ich habe mehrmals beobachtet, dass die kleinen Vögel in harten Wintern von den Krähen angegriffen werden. Ob sie Nahrung sind, kann ich nicht sagen, ich habe das nie zu Ende beobachten können. Viele Schreiber würden hier, um diesen logischen Zusammenhang herzustellen, ein "denn" geschrieben haben. Ich halte es für überflüssig und unschön und setze auf das Mitdenken des Lesers.

Nun noch zum "schneeversessen": Im Winter jagen vor allem die kleinen Hunde spielerisch durch den frisch gefallenen Schnee. Das scheint ihnen eine große Freude zu machen. Und wenn sie jetzt, im Oktober, vorerst mit den reifen Kastanien auf dem Rasen spielen, will ich damit ausdrücken, dass der bevorstehende Winter, der sich jetzt mit Nachfrösten ankündigt, keinesfalls nur Tristesse zu bieten hat, eine kleine Beobachtung am Rande, mehr ist es nicht. Aber man kann es genausogut weglassen, aber dann wäre mir das Gedicht ein wenig kahl. Ich liebe die kleinen Beobachtungen.

Dank dir, Scarlett, für das genaue Lesen des Textes.

Liebe Grüße Caty


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