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Mein lilablauer Herbst
Verfasst: 26.09.2007, 07:46
von Caty
Mein lilablauer Herbst
Die Straße erinnerte mich an einen Traum
Den ich vor Jahren geträumt: Der Himmel sandte
Aus göttlichen Füllhörnern schwarze Tropfen
Auf die Erde sie fielen den Leuten auf Mäntel und
Unbedeckte Köpfe. In meinem Traum hatte ich es
Wohl mit einem Atompilz zu tun gehabt damals
Las ich davon des mehreren in den Zeitungen.
Und als ich nach Hause kam stand ich Pechmarie
Vorm Spiegel bekleckert von oben bis unten mit
Der schwarzen stinkenden Giftsoße. Da erwachte
Ich zu meinem und des Traumes Glück.
Der Regen der heute in Wahrheit fiel war gläsern
Ungiftig in Maßen er roch nach frisch gefallenem Laub
Wie sich ein mitteleuropäischer Herbstregen gehörte.
Die Leute trugen Regenschirme schwarzweiße Katzen
Saßen in buntverfärbten Büschen beobachteten Mäuse
Und Menschen aber die Straßenbahn scheute schon
Vor der Haltestelle es gab einen sonderbaren Blitz
Hunde rissen sich von der Leine sprangen in
Offene Kanalisationslöcher. Schauerlich
Ihr Geheul von unter dem asphaltenen Erdreich.
Ich fühlte mich einsam, verjagt von meinem Zuhause.
Der Himmel über der Straße war lilablau
Wie im Frühling die Stiefmütterchen vorm Haus.
Verfasst: 26.09.2007, 13:41
von Niko
hallo caty!
mir fällt es schwer mich mit einem text auseinanderzusetzen, der inkonsequent mit interpunktion respektive groß und kleinschreibung umgeht. ansonsten halte ich mich lieber erstmal bedeckt.
lieben gruß: Niko
Verfasst: 26.09.2007, 14:08
von Caty
Lieber NJKahlen, was du als Inkonsequenz bezeichnest (keine Interpunktion und Versalien am Verszeilenanfang) nennt man optische Stilfiguren. Sie sind Bestandteil eines Gedichts. Wenn du dich aber dadurch verhindert siehst, zum Text selbst etwas zu sagen, akzeptiere ich das. Man könnte dazu eine Menge sagen, aber ich tu es nicht.
Caty
Re: Mein lilablauer Herbst
Verfasst: 26.09.2007, 15:48
von pandora
liebe caty,
in meiner kindheit/jugend wurden wir ziemlich oft mit den folgen eines (immerhin möglichen) atombombenabwurfs/dem (ebenso wahrscheinlichen) einsatz chemischer waffen etc konfrontiert. es gab eine zv-ausbildung ("zivilverteidigung"!), während der wir - zwöljährige!!! -beispielsweise lernten, uns atemschutzmasken aus irgendwelchen materialien zu basteln.
mir hat das alles immer angst gemacht. ich habe als kind nächtelang darüber nachgedacht, wie ich es anstelle, im falle eines kriegerischen zwischenfalls, meine schwester (die ging in meine schule, das war weniger problematisch), meine mutter (die arbeitete am einen ende der stadt als krankenschwester) und meinen vater (der war am anderen ende in einem institut beschäftigt) zu finden. der gedanke, ich könne allein bleiben, war mir unerträglich.
dein gedicht erinnert mich an diese kindheitsangst.
(vor wenigen tagen hat es auch schon ein gewisser herr schäuble geschafft, diese angst erneut wachzurufen. nur bin ich mittlerweile erwachsen, habe selber kinder und kann mich nicht mehr mit dem gedanken trösten, dass die "großen" schon alles richten können/werden.)
dein gedicht kommt in drei teilen daher.
zunächst ist da dieser traum von der giftigen flüssigkeit, die vom himmel fällt. das lyrICH erhellt den traumhintergrund. die furcht vor der atombomben hat sich in den traum geschlichen.
ich überlege, ob es möglicherweise einen biblischen bzw. mythologischen bezug gibt ("göttliche füllhörner").
schön finde ich den rückgriff auf "frau holle".
der ausdruck "des mehreren" ist mir nicht bekannt. ("des öfteren" - "mehrfach"?)
eingeschoben ist das bild von der idyllischen jahreszeit. gefärbtes laub, regenschirme, katzen, mäuse ...
als leser ist man beinahe geneigt, sich zu entspannen.
schließlich jedoch wird die katastrophe für das lyrICH ganz real. das herbstbild wird von einem katastrophenszenario (der lila himmel - ein element aus der ersten strophe.) verdrängt.
ich bin noch im zweifel, ob der worst case eingetreten ist oder ob du "nur" von einem verkehrunfall (straßenbahn!) schreibst. aber eigentlich ist das egal. der herbst ist kein rotgoldener mehr, sondern ein giftig violetter. ein ungewöhnlicher herbst - im negativen sinne.
diesen vers: Ihr Geheul von unter dem asphaltenen Erdreich. finde ich hinsichtlich der dopplung von präpositionen ein bisschen unglücklich formuliert. vielleicht würde ein relativsatz sich besser machen? (z.b.: ihr geheul, das ...)
in summe kein angenehmes thema, aber ich kann im gegensatz zu niko eine menge mit dem anfangen, was du da schreibst.
lg
peh
(Kein Titel)
Verfasst: 26.09.2007, 16:59
von Niko
optische stilfiguren finde ich toll. was ich nicht toll finde ist deren anwendung nach belieben.
lieben gruß: Niko, stilfigur
PS @pan:
ich kann im gegensatz zu niko eine menge mit dem anfangen, was du da schreibst.
hab gerade ein bissi sehschwäche. zitierst du mir ml gerade die stelle, wo ich davon schrieb, dass nichts mit dem anfangenkann, was da steht?
Verfasst: 26.09.2007, 17:10
von Caty
Fällt es dir schwer, dich zurückzuhalten, NJKahlen? Caty
Verfasst: 26.09.2007, 17:14
von pandora
lieber niko,
vielleicht brauchst du eine brille?
ich korrigiere mich in anbetracht deiner sehschwäche dennoch gern:
ICH VERSPÜRE IM GEGENSATZ ZU NIKO NICHT DAS BEDÜRFNIS, MICH ZURÜCKZUHALTEN UND ICH HIELT MICH, WIE JA NUN ALLGEMEIN EINSEHBAR IST, WIEDER IM GEGENSATZ ZU NIKO, AUCH NICHT BEDECKT. besser?
lg
pan
Verfasst: 26.09.2007, 17:38
von Caty
Liebe Pandora. Ja, Schäuble vor kurzem. Da ist auch in mir alles hochgekommen. Weiß gar nicht, ob ich deshalb auf diese Zeilen gekommen bin. Vielleicht funktioniert da etwas unterschwellig.
"Göttliche Füllhörner": Ich wollte die Gegenüberstellung gut - böse, da hat sich Mythologisches eingeschlichen (ich beschäftige mich grade mit den griechischen Sagen noch einmal).
"des mehreren": Dieser Ausdruck ist mir seit Menschengedenken geläufig, als Pendant zu "des öfteren". Ich weiß allerdings nicht, ob er nicht eine dieser unübersetzten Übersetzungen aus einer anderen Sprache ist.
Ja, es ist egal, ob nun Verkehrsunfall oder anderweitiges großes Unglück. Der Verkehrsunfall vielleicht selbst nur als "Omen". Klar ist, dass es sich um etwas Schreckliches, Ungewöhnliches handelt. Der Herbst selbst als "Omen", genauso wie der lilablaue Himmel.
Mir hat die Präpositionshäufung "von unter" sehr gut gefallen. Natürlich kann ich das "von" weglassen, aber dann fehlt, dass das Geheul eben nicht nur unter der Erde bleibt, und das verändert die Situation. Aber du hast recht, sowas schreibt man nicht. Aber ich schreibe gern mal das, "was man nicht schreibt", mir macht es Spaß, weil es ein Umgangssprachenausdruck ist.
Es ist ein Herbstgedicht, kein gewöhnliches mit Weinlese und harmlosem Blätterfall, aber es geht um den Herbst, der eben auf den "worst cast" zusteuert, den Winter, und zwar sowohl die Jahreszeit als auch das menschliche Leben. Naja, vielleicht ist das ein bisschen hochgegriffen. Aber wenn du als Leserin diese Verbindung herstellst, funktioniert es eben doch.
Hab besten Dank, Pandora, für die Beschäftigung mit meinem Text.
Liebe Grüße Caty
Verfasst: 26.09.2007, 19:17
von Niko
das leben ist schön und wir haben uns alle ganz doll lieb.
so isses fein!
danke, pan, dass du dich aufgrund meiner sehschwäche korrigierst (wie logisch das nun wieder ist...), pan. so wird mir dann doch einiges deutlicher
lieben gruß: Niko
Verfasst: 28.09.2007, 07:31
von Caty
Mein Freund Bunbury hat mal zu einem Typen wie dir gesagt: "What a stupid man!" Die Unterhaltung stoppte übrigens an dieser Stelle. Caty
Verfasst: 28.09.2007, 08:56
von Herby
Um auf den Text zurückzukommen...
Hallo Caty,
ich lese wie pandora auch drei Teile, wobei ich gut finde, dass II und III ineinander übergehen. Der Wechsel in den Bildern geschieht ja auch ohne Vorwarnung, sehe ich mal vom Scheuen der Straßenbahn (was mir in seiner Ungewöhnlichkeit gefällt) ab. Hier unterstützen sich Form und Inhalt gegenseitig.
Wird der Traum in der ersten Strophe noch gedeutet, bleiben die Bilder der zweiten offen und lassen Raum für unterschiedliche Deutungsweisen, engen nicht ein.
Eine Nachfrage noch zum Traum: dass das LyrIch sein Erwachen aus dem Traum als Glück empfindet, ist nachvollziehbar. Aber warum "zu des Traumes Glück"?
Das ist in der Tat ein Herbstgedicht der anderen Art, und gerade das macht es interessant.
Lieben Gruß
Herby
Verfasst: 28.09.2007, 09:02
von Gast
Liebe Caty,
dein Text ist nicht wirklich meine Geschmacksrichtung - aber ich möchte dir Anerkennung dafür zollen, dass du deines Stils so sicher bist und dein "Ding" durchziehst.
Mir ist er zu pathetisch, aber das ist eigentlich kein Kritikpunkt - sondern mein Geschmack, auch die Schwere fast aller deiner Texte, ist dein Stilmittel, was mich auf Dauer allerdings auch dazu verleitet zu denken, hm, ... immer der gleiche Ton.
Klar: Hoher Wiedererkennungswert.
Was ich ganz und gar gelungen finde bei diesem Text, ist die Verwendung des "lilablau".
Nichts Böses denkt man zunächst, und dann kommt es knüppelkdicke.
Der Text hätte genausogut in Lyrik und Kultur stehen können, meine ich, bei dem Gehalt.
Ich halte den Text in seiner auf mich distanziert erzählt wirkenden Art für durchdacht, die Bilder sind expressiv und wirken authentisch.
Liebe Grüße
Gerda
(Kein Titel)
Verfasst: 28.09.2007, 15:14
von Caty
Lieber Herby,
ja, so sehe ich das auch. Das hat auch mit dem Verarbeiten des Erlebens zu tun, indirekt wollte ich das zum Ausdruck bringen, und dabei hilft natürlich, dass ich mich bemühe, immer noch lyrisch zu bleiben. "Zu des Traumes Glück" - ja, was soll ich dazu sagen? Ich schreib öfter mal meine Träume auf und versuche sie zu deuten, das hat schon oft geholfen, mit Problemen fertigzuwerden, die ein Traum in anderer Gestalt abhandelt. Und wenn das Ich an dieser Stelle nicht erwacht wäre, wer weiß, wie der Traum dann weitergegangen wäre und ob ich ihn dann nicht überhaupt gestrichen hätte. Immerhin war er schlimm genug. Besser kann ich dir das nicht erklären.
Liebe Gerda,
es ist doch das Schöne an der Lyrik, dass es so viele, so unterschiedliche Arten des lyrischen Ausdrucks gibt. Da ich hier immer alle Gedichte lese, glaube ich, dass auch ich, ohne den Schreiber zu wissen, sagen könnte: Dieses Gedicht ist von Scarlett, dieses von Clara, dieses von Chiquita, dieses von Gerda. Das hat natürlich mit den persönlichen "Handschriften" zu tun. Meiner Ansicht nach ist es gut, dass es sie gibt. Und es gibt bei allen Schreibern, wie du ganz richtig bemerkst, "immer denselben Ton". Ich bezweifle aber, dass meine Texte nun sonderlich "schwer" sind, mitunter ärgere ich mich, weil ich verschenkt habe und noch zu sehr an der Oberfläche geblieben bin, und dann muss ich nachsitzen. Das mache ich aber nicht sofort und nicht hier in diesem Forum, die Hinweise müssen erstmal verdaut werden, das braucht seine Zeit. Aber ich denke, Gerda, dir geht es um anderes: dir fehlt, vermute ich mal, das "Harmonische", das du so schön bei den Sonetten findest. Zu den Sonetten habe mich an anderer Stelle schon mehrfach nicht sehr freundlich geäußert, mich stört die romanische Herkunft mit ihrem Öl, ihrer Jambenbegrenztheit, ihrer Harmoniesucht, ihrer Ungenauigkeit. Gut, das ist aber meine persönliche Einstellung, und ich weiß, warum ich auf diese Gedichtform verzichte. Brecht hat übrigens zum Reimgedicht was Gescheites gesagt und danach fast nur noch in freien Rhythmen geschrieben. Er hat auch den Kritikern geantwortet, die behaupteten (was auch mir mehrmals gesagt wurde von fanatischen Reimrittern), das sei ja überhaupt keine Lyrik.
Zum "lilablau": Da habe ich ein Weilchen suchen müssen, bis ich diesen Farbton, überhaupt diesen Begriff, der ja etwas Bedrohliches ausdrücken soll, gefunden hatte. Schön, dass meine An- und Absicht auf offene Ohren getroffen ist. (Was ist eigentlich Lyrik und Kultur?)
Habt beide Dank für die Beschäftigung mit dem Text.
Liebe Grüße Caty
Verfasst: 28.09.2007, 15:46
von Gast
Liebe Caty,
mit "Lyrik und Kultur" meinte ich nur den gesellschaftsthemenbezogenen Faden hier im Salon, genau heißt er:
Der Blick aus dem Fenster - Lyrik und Kultur.
Da hast du z. B. deine Arbeitergedichte eingestellt .
Zum "Schwer" in dem von mir verwendeten Sinn noch etwas, ich meine nicht schwer verständlich, auch suche ich nicht die Harmonie, obwohl mir ein gut geschriebenes Sonett adurchaus gefällt.
Es ist die Schwere der Worte, die ich meine, die in deinen Texten klingt und sie prägt - was ja von dir beabsichtigt ist.
Liebe Grüße
Gerda