Lieder-lich

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Kird

Beitragvon Kird » 15.07.2007, 05:14

Lieder-lich

Es ist der Mond
voll träger Spannung
der sich auf meinen
Lidern wälzt

Es ist ein Herz
voll kleinen Dingen
was Du mit Großem
mir verstellst

Es ist ein Haufen
kleiner Risse
die mich wie Haare
überziehn

Es ist ein stures
dummes Wollen
in dem wir uns
nicht wiedersehn

--------------------------------------------
oder in echt
--------------------------------------------

nasser sand

Auf Booten
schifft
Erinnerung sich ein

Wellen voll
schaukelnder Särge

Langsam treibt
das Strandgut
mich
tief ins Land
Zuletzt geändert von Kird am 16.07.2007, 08:56, insgesamt 1-mal geändert.

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 15.07.2007, 12:18

hallo kird,
eigentlich ein nettes kleines gedicht mit runden strophen und bildern, die sich sehen lassen. aber der titel "lieder-lich", der läuft mir für das gedicht nicht rein.
wie meinst du "oder in echt"? ich lese "nasser sand" unabhängig von "liederlich" und finde es einfältiger und poetisch ausgewaschen. wenigstens passt "nasser sand" als titel besser.

gruß
chiqu.

Kird

Beitragvon Kird » 16.07.2007, 09:04

Hallo,

ja, wie Du sagst: runde Strophen, dass fand ich auch und dachte "Lied".
Lied über etwas das wider-lich ist: Lieder-lich ist auch gleich in Deckung zu Liederlich.
Wegen Liederlichkeiten wurde man früher noch in den Turm gesperrt.

Deine Anregung mich unten zu verkleinern, habe ich gerne angenommen.

"oder in echt",

macht für mich daher Sinn, weil der obere Text etwas Trauriges in einer recht fröhlichen Rhythmik bringt, wobei im unteren Text Form und Inhalt zu einander passen (vielleicht:-))

Liebe Grüße
K.

Max

Beitragvon Max » 16.07.2007, 18:52

Lieber Kird,

das sind für mich eigentlich zwei Texte, oder sehe ich das falsch?

Der erste besticht für mich so sehr durch seinen Rhythmus, dass mir beinahe verborgen bleibt, dass das Bild in Strophe 1 für mich nicht funktioniert (die anderen aber sehr wohl).

Ähnlich hat auch das zweite Gedicht für mich eine Strophe, bei der das Bild ein wenig fragil ist:

Langsam treibt
das Strandgut
mich
tief ins Land


Unwillkürlich frage ich mich: Wie macht das Strandgut das?

Dennoch gefällt mir das zweite Gedicht.

Liebe Grüße
max

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 16.07.2007, 18:56

max, meinst du, daß man an lyrik mit logik herangehen sollte? da gäbe es ja bei jedem gedicht was zu mosern. entscheidend ist doch, daß die gewählten worte eine sozusagen metaphysische verbindung eingehen. vielleicht nicht für jedermann verständlich, aber mit logik kann man lyrik mit sicherheit nicht beikommen.

chiqu.

Kird

Beitragvon Kird » 16.07.2007, 20:18

Hallo,

Die Trennung der beiden Texte ist beabsichtitg.
Dass sie stutzig macht auch.
Von daher funktioniert es, so wie gewollt.
Yuhu!

Erinnerung auf einem
Boot schifft sich ein
aus dem Boot werden Särge auf Wellen im Auge des Betrachters
und die Boote kommen näher
legen an
werden
Strandgut
und werden dem lyrIch zu viel
und dann macht er sich auf.
Das geht mit Logik.

Zu viel Ellipse?

Ich hab oben eine Reflektion
und unten Verdrängung.
Dachte ich.


LG
k.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 16.07.2007, 21:18

Hallo Kird,

mich hat sie auch stutzig gemacht. Gratulation, wenn es Deine Intention war. Mir gefällt der zweite Teil. Ihn halte ich für wirklich gut.

Stutzig machte mich auch der Vergleich Risse/Haare, da man zunächst an dichtes Kopfhaar denkt. Es funktioniert dann aber beim zweiten Lesen.

Schönen Abend

Jürgen
Zuletzt geändert von Jürgen am 16.07.2007, 21:19, insgesamt 1-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 16.07.2007, 21:18

max, meinst du, daß man an lyrik mit logik herangehen sollte?


Lieber Chiq,

Logik kann m.E. in der Regel nicht schaden, wenn man denkt, so auch nicht bei Lyrik.

Liebe Grüße
Max

Kird

Beitragvon Kird » 20.07.2007, 02:53

Hallo Gurke,

danke für die Blumen :mrgreen:

Haare und Riß: Haarriß

Ist der außerhalb des Handwerks nicht so bekannt?
Ich schau noch mal nach...

Haarriss

Sehr feine Unterbrechung des Werkstoffes in Form von dünnen Rissen im Gefüge. Stellenweise kann es zu einer Ausbildung netzartiger Strukturen kommen.

Das war es, woran ich dachte.

Risse die mich
wie ein Netz überziehn
?
Besser?
Oder ganz weg?

die mich allseits
überzeihn
?

Grüße von
Herrn Stehgreif

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 21.07.2007, 13:21

Lieber Kird,

diese doppelte Sprache finde ich großartig, eine tolle Idee, auf die Sprache selbst und ihre Fähig- und Unfähigkeiten zu antworten und stilistisch schön angesiedelt zwischen Ironie, Trotz und "sein lassen".

Die Formatiermöglichkeiten hier im Forum sind ja begrenzt, ich weiß ja nicht, wie du es in word oder idealerweise machen würdest, aber ich würde es optisch noch ein wenig anders gestalten (die fetten Titel gefallen mir nicht).

Schön, wie du besonders den Kontrast zwischen den "beiden" Texten durch den Rhythmus (des ersten besonders, aber zum Kontrast gehören ja immer zwei) erzeugst, denn der Rhythmus ist das integrierteste ("unaufälligste) Stilmittel da und wirklich gut gemacht. Denn im weiteren gehen die beiden Texte stilistisch ja gar nicht so verschiedene Wege und dich wirkt es so (und wieder nicht = ich mag das). Ich würde vielleicht trotzdem anders setzen

Vielleicht einfach die beiden Einzeltitel weglassen und/oder drübersetzen?

(den Bindestrich zwischen liederlich würde ich unbedingt streichen, der ist doch nur was für deppen, man versteht die Anlehnung doch sofort):

(geänderte Passagen fett markiert)

Liederlich und nasser Sand


Es ist der Mond voll träger Spannung
der sich auf meinen Lidern wälzt

Es ist ein Herz voll kleiner Dinge
was Du mit Großem mir verstellst

Es ist ein Haufen kleiner Risse
die mich wie Haare überziehn

Es ist ein stures dummes Wollen
in dem wir uns nicht wiedersehn



-------------------------------------
oder in echt
------------------------------------



Auf Booten schifft Erinnerung sich ein

Wellen schaukelnder Särge

Das Strandgut treibt mich
- tief ins Land




Keiner der beiden Texte hat Recht und darum schaffen sie es zusammen ein bisschen das Unsagbare zu überwinden.

Mich hat das beeindruckt. Und die Bilder sind, auch trotz selbsttextkritik (das ist ja das Feine), auch im ersten Text stark.

Max, was stimmt denn an dem ersten Bild nicht?

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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