Hallo Klara!
Beim Titel musste ich erst einmal stutzen, denn Ikarus verband ich eigentlich mit der jungen Sagengestalt, dem die Flügel abschmelzen, weil er zu größenwahnsinnig an die Sonne heran flog. Aber das "Netz" bringe ich mit Fischen in Verbindung... Ich grüble noch, wie das zu deuten ist.
Die erste Strophe finde ich etwas verschwommen und unkonkret. Mir gefallen die "lauter Worte in den Nächten" sehr, aber ich wünsche mir, dass etwas Bestimmtes damit geschieht.
Sind die Worte "ungehörig" ? Das verstehe ich nicht ganz. Denn "ungehörig" wäre ja so etwas wie "taktlos". Meinst Du "ungehört" ?
"Reine Nähe" kann ich nun auch gar nicht in diesen Wort-Kontext einflechten... Ich weiß nicht wo die Verbindung liegt. Vielleicht kann man diese noch etwas deutlicher aufzeigen!?
Oder sollen diese Zeilen gar keine Verbindung zueinander haben? Dafür finde ich sie aber zu allgemein in der Wortwahl. Bis auf eben dieses hier:
lauter worte
in den nächten
Damit könnte man noch mehr schaffen, glaube ich.
Nun folgen drei Adjektive hintereinander und ich frage mich auch hier wieder, was eigentlich der Punkt ist. Sind die "Schreie" gemeint? Die leisen, die einsamen, die alten? Wieso so viele gute Adjektive auf einem Haufen

?
Ich finde eines davon für die Schreie hätte eine viel stärkere Wirkung. So bleibe ich wieder etwas verwirrt, aber das wird mein Fehler sein.
So ganz klar ist mir auch noch nicht, weshalb die Schreie "etwas besser wüssten", aber vielleicht kann man das ja mit Ikarus in Verbindung bringen, dem das Schreien nichts mehr nützt. Vielleicht ist damit die Ausweglosigkeit, die Sinnlosigkeit des Schreiens gemeint.
Jetzt wird es plötzlich sehr konkret und diese Stellen gefallen mir auch am Besten (von mir aus hätte man hier mit dem Gedicht beginnen können...) !!!
und wie perlen
aufgereihte wünsche
glänzend um die hälse legen
auch am tag
all die finger
all die gesten -
ohne hand!
die fragen:
„spinne oder fliege?“ -
nur ein großes gottloses gebet:
Super ist das!!! Nur diese Frage "Spinne oder...?" müsste ich noch deuten können. Puh, gerade fällt mir dazu gar nichts ein. Nur: Der Ikarus ist ja im Netz und langsam scheint es mir, als sei es aus seiner Perspektive geschrieben. Also vielleicht ist die Frage "Spinne oder Fliege?" auf sein "Gefängnis-Mahl" bezogen? Aber das ist sehr weit hergeholt.
Das "große gottlose Gebet" finde ich auch wieder unglaublich gelungen!!!
lieber Andrer
gehst du mit mir
ungeerdet auf empfang?
…
lass mich!
nicht!
allein…
Mm.... der "Andere" ...ist das eine Anspielung auf Borchert? Aber der "Andere" an sich kann ja auch nur ein Gegenüber, ein Mitmensch sein, der die Befreiung oder Erlösung verspricht. Auch über "ungeerdet" muss ich noch viel nachdenken... (Was vielleicht nicht schadet...)-
"Ungeerdet" hört sich für mich so ein bisschen an wie "Lebendig", weil ich "geerdet" mit Erde und Grab zusammen bringe....
"Lass mich nicht allein" hat man natürlich schon oft gelesen, aber ich sehe mal darüber hinweg, weil mich das Folgende so beeindruckt

.
jedes lächeln weint
und jeder streit ein wurfversuch
ein sprung –
ins nichts –
-Der Streit als "Wurfversuch" gefällt mir. Sollte man dies auch wieder mit Ikarus in Verbindung bringen? Das man also den anderen irgendwo hinunter wirft?
und doppelbödig
bleibt doch jedes wort
ein sturz
und eine bitte
ohne netz
Ah, jetzt verstehe ich das Netz im Titel

! Aber wenn es kein Netz gibt, wieso steht dann im Titel "im Netz" ??
Jetzt werden auch die Worte näher beschrieben und ich finde "doppelbödig" sehr schön gewählt.
Schön ist auch die Vorstellung Ikarus
könnte überhaupt in ein Netz am Himmel fallen.
Das ist für mich ein Gedicht über eine ausweglose, einsame Lage, in der kein Gebet und kein Wort mehr einen Fluchtweg eröffnen würden. Nur der "Andere" bleibt hier die Hoffnung.
Mehr kann ich momentan noch nicht hinein interpretieren, aber mir gefällt das Gedicht trotz der vielen Rätsel in meinem Kopf sehr gut!
Vielleicht konntest Du etwas damit anfangen!
Liebe Grüße!
l