Berührt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 10.05.2007, 21:01

Berührt

Ich gehe auf deinen Worten
wie auf zerbrechlichen Wegen
als ob durch das Gehen
die Antwort schon möglich sei

Schwebend setze ich die Schritte
jeder Laut jeder Hauch könnte
die Worte zurückweichen lassen
den Boden unter den Füßen entziehen

Vor mir die Tiefen der Berge
ihr Dunkel schreckt mich nicht mehr
weil ich dort über gläsernen Wassern
Deine Stimme weiß

Sie ist mir von weit her so nah
ihre Wellen streifen mich
wie eine Mitte
die sich nicht halten lässt

Doch wenn ich mich wende
wird der Moment gewesen sein
bevor die Seiten auseinander fielen
und das Eis nicht war
Zuletzt geändert von leonie am 11.05.2007, 17:22, insgesamt 2-mal geändert.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 10.05.2007, 23:34

Liebe Leonie,

Sehr schön und zart schreibst du von Angst und Schmerz der Liebe. Eigentlich ein Kommunikationsgedicht!

Der eher oft gebrauchte Titel lässt nicht ahnen, welche Bilder sich dahinter verstecken.
Mir fiel spontan ein:

Die Wortgängerin

Ich könnte auf die 2. Strophe, so schön sie klingt, verzichten. Sie kommt mir wie eine Wiederholung von Str.1 vor. Ich habe dein Gedicht jetzt mit und ohne die Strophe gelesen, und daher kam ich für mich zu dieser Ansicht.
Diese besagte Strophe könnte sogar als einzelnes Gedicht bestehen.
Hoffentlich findest du meine Gedanken nicht zu schräg.

Lieben Gruß
Elsa
Schreiben ist atmen

Herby

Beitragvon Herby » 10.05.2007, 23:56

Liebe leonie,

das ist wieder einer jener leoninischen Texte, die ich so schätze!
Ich stimme Elsas Ansicht zu: sehr schön und zart, aber ich teile auch ihre Bedenken bezüglich des Titels. Ihren Vorschlag finde ich überlegenswert, er würde sehr gut passen.

Anders als Elsa möchte ich dagegen die zweite Strophe nicht missen, da sie für mich inhaltlich wie sprachlich (Gehen > Schweben) eine Fortentwicklung der ersten darstellt.

Ein in seinen Bildern sehr poetischer Text, den ich zu später Stunde sehr gerne gelesen habe.

LG Herby

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.05.2007, 02:18

Liebe Leonie,

du schaffst hier etwas ganz Besonderes: Ich gehe als Leser mit jeder Zeile genauso mit, wie du sie geschrieben hast. Ich gehe vorsichtig, behutsam, zerbrechlich auf Glas, bin richtig drin, habe das Gefühl, das LI zu sein. Das ist mehr als Interaktion zwischen meinen Gedanken und deinen Zeilen, das ist wie eine Welt, in die du mich mitten hineinsetzt und die lebendig wird. Klasse!
Saludos
Mucki

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leonie
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Beitragvon leonie » 11.05.2007, 10:11

Liebe Elsa,

Danke für Deine gedanken, die ich überhaupt nicht zu schräg finde. Mit dem Titel bin ich selbst nicht zufrieden. Ich habe schon hin und her überlegt. "Wortgängerin" finde ich eine schöne Worterfindung, aber für mich passt es nicht ganz, weil für mich, das "Streifen", die "Berührung" das Zentrale ist.

Aber "Gestreift" geht einfach nicht, weil zu doppeldeutig. Ich überlege weiter. Und: Ja, die zweite Strophe ist eine Vertiefung (und insofern auch eine gewisse Doppelung) der ersten. Ich muss nochmal überlegen, ob ich sie brauche. Oder ob sie tatsächlich ein eigenes Gedicht sein kann...

Lieber Herby,

"leoninische Texte" - das ist ja süß!. Vielen Dank für Deinen Kommentar, über den ich mich sehr gefreut habe.

Liebe Mucki,

danke fürs Mitgehen, das ist ja das, was ich am liebsten möchte, dass LeserInnen sich hineinversetzt fühlen in einen Text. Freu, freu, freu...

Liebe Grüße Euch

leonie

Peter

Beitragvon Peter » 11.05.2007, 11:56

Liebe Leonie,

ich lese von Gebirgszügen, von Höhenlinien einer Schrift, auf denen sich das lyr. Ich einer Sicht nähert. Obwohl das Gedicht leise ist, ist es beinah fiebrig vor gespannter Stimmung; obwohl die Zeilen sicher sind, "schwingen" sie. Das lyr. Ich lässt sich auf einen Abgrund ein, und wird berührt von einer Stimme. Ich kann eine solche Leseerfahrung teilen, sie kommt mir als eine der höchsten vor: Es gibt diese Momente, in denen sich Literaturen ganz anders eröffnen, und Höhenlinien, Übersicht, spielen dabei eine wesentliche Rolle. Sätze stehen in anderem Übergang, Worte in anderem Zusammenhang - und daraus geht manchmal etwas Gläsernes hervor, so als wären die Worte abstrakte, aber durchsichtige Momente, in denen sich, dann viel wirklicher, ein Stimmen-Moment bricht.

All das sehe ich von deinem Gedicht eingefangen.

Es berührt mich natürlich auch auf andere Weise.

Liebe Grüße,
Peter

P.s. Leonie, du liest doch ganz gerne; hättest du nicht Lust, dieses Gedicht vorzulesen. Ich würde das so gerne hören.

Niko

Beitragvon Niko » 11.05.2007, 12:06

hallo leonie!
vielleicht wäre ja "wortwandel" oder wortwandeln" ein guter titel?
mir gefällt vor allem das bild der ersten strophe. da nochmal besonders deren letzte beiden zeilen. das gefällt mir sehr. aus der gewohnheit heraus(?) hast du hinter "jeder Laut" ein komma eingefügt. bis auf den doppelpunkt, den es meiner ansicht nach nicht braucht, verzichtest du aber ansonsten völlig auf interpunktion. sprachrhythmisch finde ich in strofe zwei dass du "meine" bei "schwebend setze ich meine schritte" durch ein "die" ersetzen solltest. anderer schritte kann man ohnehin nicht setzen. das fast schon bizarr anmutende bild der strofe 3 finde ich letztendlich als kern des ganzen und gut gelungen.
meine ganz persönliche aversion gegen das wort "doch" als wendegeläute eines gedichtes erwähne ich nur am rande und hat vielleicht eher etwas mit mir zu tun oder aber mit der häufigkeit. ein eigefügtes "aber" gefiele mir mehr. aber- wie gesagt....-mein problem.

sehr gern gelesen, leonie

lieben gruß: Niko

Herby

Beitragvon Herby » 11.05.2007, 12:33

Liebe leonie,

Ja, die zweite Strophe ist eine Vertiefung (und insofern auch eine gewisse Doppelung) der ersten. Ich muss nochmal überlegen, ob ich sie brauche. Oder ob sie tatsächlich ein eigenes Gedicht sein kann...


Ich plädiere sehr für ihren Erhalt, durch ihren Wegfall würde Dein Text verlieren! Ich sehe den größeren Wert in diesem Fall eher im Kontext dieses Gedichts denn als eigenständiges, losgelöstes Werk.

LG Herby
Zuletzt geändert von Herby am 11.05.2007, 12:36, insgesamt 1-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 11.05.2007, 12:34

Hallo Leonie,

obwohl ich es nicht nachempfinden kann, hat es mich berührt. Deshalb finde ich auch den Titel wunderbar gelungen.
Niko schrieb: meine ganz persönliche aversion gegen das wort "doch"

Nein, das "doch" ist wunderbar. Aber das liegt an meiner persönlichen Affinität zu dem Wort. ;-)

sehr, sehr gerne gelesen

liebe Grüße smile

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 11.05.2007, 12:39

Hallo Leonie,

das transportiert eine sehr schöne Stimmung und feine Bilder, hat Anklänge von Yeats:

...
doch da ich arm bin hab`ich nur die Träume,
die lege ich vor deinen Füßen aus,
tritt sachte auf, du trittst auf meine Träume.

sehr sehr schön

reimerle

Herby

Beitragvon Herby » 11.05.2007, 12:45

schon wieder ich ...

Nein, das "doch" ist wunderbar. Aber das liegt an meiner persönlichen Affinität zu dem Wort.


Smile spricht mir aus dem Herzen, leonie! "Aber" ist im Sprachgebrauch so entsetzlich abgenutzt ( entschuldige Niko ;-) )

Niko

Beitragvon Niko » 11.05.2007, 13:20

wie gesagt: ein persönliche kiste, die mehr mit mir zu tun hat. wollts halt nur nicht auslassen. nix zu entschuldigen, herby! ;-)

doch ;-) jetzt muss ich los.
nice wochenend wünscht niko

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Beitragvon leonie » 11.05.2007, 17:37

Lieber Peter,

ich denke das gedicht ist aus solch einem Moment entstanden wie Du ihn beschreibst. Du hast eine besondere Art, das in Worte zu fassen, danke dafür. Und ich freue mich über das Berührtsein.

Mit dem Lesen: Ich muss mal sehen, ich glaube, ich komme erst nächste Woche dazu. Ich stelle es dann in den geschützeten Hörbar-Bereich...

Lieber Niko,

mit dem Titel ist mein Problem, dass ich eigentlich lieber diesen Moment des Berührt-Seins darin hätte. Ich muss noch weiter darüber nachdenken. Du hast genau hingeschaut und ich finde, Du hast ein feines Sprachgefühl, ich habe Deine Änderungsvorschläge aufgenommen. Das mit dem "Wendegeläute" merke ich mir, ich finde es grundsätzlich auch besser, solche Punkte anders zu lösen. Aber wie genau?
Auf jeden Fall freue ich mich sehr, dass Dir das Gedicht gefällt. Danke!

Liebe smile,

entsteht aus der Diskrepanz des "Nicht-Nachvollziehn-Könnens" und des "Berührt-Seins" schöpferische Kraft. Ich finde es absolut erstaunlich, dass Du Dich trotzdem davon inspirieren lässt! Vielen Dank!

Lieber Reimerle,

das von Yeats ist schön. Danke für Deine Rückmeldung!


Lieber Herby, lieber Niko,

ich glaube, das "doch" bleibt dann erstmal...

Liebe Grüße an Euch alle!

leonie

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Beitragvon leonie » 15.05.2007, 11:34

Lieber Peter,

die Hörversion steht jetzt im geschützten Bereich der Hörbar...

leonie


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