gezeiten

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.05.2007, 00:56

3. Fassung

gezeiten

ich halte dich in meiner hand
will dich nicht fortlassen
fühle deine kraft
birgst alles in harter haut
und hartem kern
alles
bist so klein und groß zugleich

flüstere mir deine geschichte
mag ihr lauschen
vielleicht lerne ich von dir
vielleicht
von deinem langen werden
deinem treiben lassen

drehst dich in mir
und ich mich mit dir
erzähl mir mehr
mehr von deinem weg

ja
ich lass dich endlich los
endlich
sehe dich springen
kreise ziehen
mir zum abschied
abschied

du versinkst in den gezeiten
die dir ein zuhause sind
zuhause



2. Fassung

gezeiten

ich halte dich in meiner hand
will dich nicht fortlassen
fühle deine kraft
birgst alles in harter haut
alles
du bist so klein und groß zugleich

flüstere mir deine geschichte
mag ihr lauschen
vielleicht lerne ich von dir
von deinem langen werden

drehst dich in mir
und ich mich mit dir
erzähl mir mehr
mehr von deinem weg

ja
ich lass dich endlich los
seh dich springen
kreise drehen
mir zum abschied

möchte auch frei sein
du versinkst in den gezeiten
gleitest in dein zuhause

komm zurück
oder ich zu dir



1. Fassung

gezeiten

halte dich in meiner hand
will dich nicht fortlassen
fühle deine kraft
birgst alles in harter haut
alles
bist so klein und groß zugleich

flüstere mir deine geschichte
mag ihr lauschen
vielleicht lerne ich von dir
vielleicht
von deinem langen werden

drehst dich in mir
und ich mich mit dir
erzähl mir mehr
mehr von deinem weg

ja
ich lass dich endlich los
seh dich springen
kreise drehen
mir zum abschied
abschied

möchte auch frei sein
du versinkst in den gezeiten
gleitest in dein zuhause
zuhause

komm zurück
oder ich zu dir

© Mucki
10.05.2007
Zuletzt geändert von Mucki am 11.05.2007, 16:25, insgesamt 3-mal geändert.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 10.05.2007, 09:12

Liebe Mucki,

Du hast die Gezeiten sehr gut umgelegt auf das Hin und Her zwischen Ich und Du. Ich schwinge da richtig mit.

Rein technisch (was ich eben gelernt habe, aber selbst oft vergesse) würde ich manche Zeilen um- oder verdrehen, da dein Gedicht auf mich eher wie Kurzprosa wirkt.

Ich vermute mal, dass liegt daran, dass viele der Zeilenanfänge gleich beginnen: halte/will/fühle/birgst z.B. in der 1. Str.
Hier ein Vorschlag dazu:
in meiner hand halten
dich - will nicht fortlassen
deine kraft geahnt - birgst
alles in harter haut
alles
so klein und groß zugleich
bist du


Das wäre meine Idee dazu.

Lieben Gruß
ELsie
Schreiben ist atmen

Sam

Beitragvon Sam » 10.05.2007, 10:38

Hallo Mucki,

mir scheint, da hat jemand eine Muschel in der Hand. Dreht sie, hält sie ans Ohr, hört das Rauschen und meint in all diesen sinnlichen Erfahrungen einen Hauch von Ewigkeit und Freiheit zu verspüren. Aber jene Freiheit, die melancholisch macht, weil man weiß, sie bleibt unerreichbar. Und für einen Moment überlegt man, ob man nicht der Muschel, zurückgeworfen ins Meer, folgen sollte, auf ihrem Weg in die tiefe, dunkle Freiheit, bewegt nur vom Rhytmus der Gezeiten.

Das finde ich als Bild sehr ansprechend (wenn denn meine Interpretation auch nur in der Nähe von dem ist, was du dir gedacht hast).

Liebe Grüße

Sam

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 10.05.2007, 10:55

Hallo Mucki,
zum einen frage ich mich, was das Du ist. (Ich seh gerade Sam dachte an eine Muschel, die springt doch aber nicht und dreht Kreise, oder?)
Zum anderen, würde ich es gerne dichter lesen vor allem Strophe 2 und 3.
ja
ich lass dich endlich los
seh dich springen
kreise drehen
mir zum abschied
abschied

möchte auch frei sein
du versinkst in den gezeiten
gleitest in dein zuhause
zuhause

komm zurück
oder ich zu dir

hier lese ich Strophenübergreifend
Abschied möchte auch frei sein
und
Zuhause komm zurück
Ob das von dir so gewollt war, weiß ich nicht. Das würde mir jedoch gut gefallen. Nicht die Sehnsucht nach dem Du, sondern nach dem eigenen sich Zushause fühlen können und einem selbstbestimmten Abschied.

liebe Grüße smile

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.05.2007, 12:38

Liebe Elsie,

Du hast die Gezeiten sehr gut umgelegt auf das Hin und Her zwischen Ich und Du. Ich schwinge da richtig mit.


Schön, das freut mich,-)

Ich vermute mal, dass liegt daran, dass viele der Zeilenanfänge gleich beginnen: halte/will/fühle/birgst z.B. in der 1. Str.
Hier ein Vorschlag dazu:

Zitat:in meiner hand halten
dich - will nicht fortlassen
deine kraft geahnt - birgst
alles in harter haut
alles
so klein und groß zugleich
bist du



Ja, die Zeilen beginnnen alle mit einem Verb. Ich wollte das Ich und Du zu Beginn vermeiden.
Vielleicht sollte ich es doch hineinbringen, zumindest teilweise.
Also:

ich halte dich in meiner hand
will dich nicht fortlassen
fühle deine kraft
birgst alles in harter haut
alles
du bist so klein und groß zugleich

Deine Setzung wäre natürlich auch möglich, aber sie liest sich für mich nicht so fließend, es "schwingt" dann nicht mehr so.

Was ich noch überlegt habe, ob ich die Wiederholungen am Schluss von "abschied" und "zuhause" rausnehme, bin mir da noch unsicher.
Saludos
Mucki

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.05.2007, 12:42

Hallo Sam,

mir scheint, da hat jemand eine Muschel in der Hand. Dreht sie, hält sie ans Ohr, hört das Rauschen und meint in all diesen sinnlichen Erfahrungen einen Hauch von Ewigkeit und Freiheit zu verspüren. Aber jene Freiheit, die melancholisch macht, weil man weiß, sie bleibt unerreichbar. Und für einen Moment überlegt man, ob man nicht der Muschel, zurückgeworfen ins Meer, folgen sollte, auf ihrem Weg in die tiefe, dunkle Freiheit, bewegt nur vom Rhytmus der Gezeiten.


Das mit dem Hauch von Ewigkeit und Freiheit, die Melancholie, die das LI fühlt, hast du genau erkannt. Ja, das wollte ich ausdrücken.

Das finde ich als Bild sehr ansprechend (wenn denn meine Interpretation auch nur in der Nähe von dem ist, was du dir gedacht hast).


Ich freu mich, dass dich das Bild anspricht,-)
Deine Interpretation kommt meiner Intention sehr nah.
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 10.05.2007, 12:45

Liebe Mucki,

Es war nur ein Voschlag, das gedicht rauer zu gestalten.

ob ich die Wiederholungen am Schluss von "abschied" und "zuhause" rausnehme
Das könnte durchaus raus. Es liest sich eher als Stolpern und weniger als Schwingen, wenn ich es recht bedenke.

Lieben Gruß
ELsie
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.05.2007, 12:52

Hallo smile,

zum einen frage ich mich, was das Du ist. (Ich seh gerade Sam dachte an eine Muschel, die springt doch aber nicht und dreht Kreise, oder?)


das ist richtig. Eine Muschel zieht keine Kreise und springt auch nicht, auch wenn sie es als "dichterische Freiheit" durchaus könnte,-) Was das LyrDu ist, soll der Leser für sich so erlesen, wie es für ihn stimmig ist. Ich habe es bewusst nicht genannt.

Zum anderen, würde ich es gerne dichter lesen vor allem Strophe 2 und 3.


hier lese ich Strophenübergreifend
Abschied möchte auch frei sein
und
Zuhause komm zurück
Ob das von dir so gewollt war, weiß ich nicht. Das würde mir jedoch gut gefallen. Nicht die Sehnsucht nach dem Du, sondern nach dem eigenen sich Zushause fühlen können und einem selbstbestimmten Abschied.


Was du zum "Zuhause" schreibst, schwingt in den Zeilen mit, ja. Der "selbstbestimmte Abschied" jedoch nicht. Hier möchte ich die Wehmut ausdrücken, die das LI empfindet, wenn es dem DU hinterherschaut.
Aber ich grüble, wie ich schon Elsie schrieb, noch, ob ich die Wiederholungen von "Abschied" und "Zuhause" rausnehmen sollte.
Saludos
Mucki

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.05.2007, 12:56

Liebe Elsie,

ja, deine Version wäre rauer, stimmt. Ich möchte es aber gerade andersherum, es soll "sanft" klingen.

ob ich die Wiederholungen am Schluss von "abschied" und "zuhause" rausnehme
Das könnte durchaus raus. Es liest sich eher als Stolpern und weniger als Schwingen, wenn ich es recht bedenke.


Eben! Das denke ich nämlich auch. Ich nehme sie mal raus, ebenso das doppelte "vielleicht", und stelle eine 2. Fassung oben rein. Außerdem füge ich mal ein "Ich" und "Du" im ersten Vers ein. Da kommen bestimmt noch mehr Fassungen,-)
Danke dir.
Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.05.2007, 13:07

Liebe Mucki,

dieser Text hat für mich einen ganz anderen Ton, als, ich glaube, ich muss sagen, alle anderen, die ich kenne - mich hat das beim Öffnen sehr erstaunt und es hat mir gut gefallen. Für mich hat dieser Text keinen "Druck", er lässt los und er öffnet sich - darum auch der sanfte Ton, den ich unbedingt so geöffnet lassen würde.


Ich würde überlegen statt gleiten "sinken" zu nehmen - es geht doch um einen Stein, der ins Meer geworfen wird? (Erinnert mich damit übrigens an Max Tag am Meer). Das sinken hat einen schwereren Klang als gleiten und wird eben doch durch das Zuhause aufgefangen...und eben so erzählt der Text ja auch: Von etwas durchaus Schweren, aber in sanftem Ton. Im Grunde ist es ein Loslassen im Sinken...

Auch den Ton finde ich viel freier, die Wiederholungen schwingen, die grammatischen Verkürzungen erzeugen einen analogen Klang zum Inhalt.

Die letzten beiden Zeilen - ich weiß nicht, ob die sein müssen. ich finde sie nicht vollkommen störend, glaube aber fast, dass sie ein wenig zu aussagezusammenfassendorientierend sind - eigentlich könnte der text auch ohne diesen Fazitcharakter schließen -. Was meinst du?

Ich finde, dass dieser Text ein text ist, den du als text losgelassen hast, und dass er dadurch auf mich stark wirkt. Das gefällt mir sehr gut.

Liebe Grüße,
Lisa

(gezeiten finde ich zudem als Blickwinkel auf das Monatsthema eines der schönsten)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.05.2007, 13:31

Liebe Lisa,

dieser Text hat für mich einen ganz anderen Ton, als, ich glaube, ich muss sagen, alle anderen, die ich kenne - mich hat das beim Öffnen sehr erstaunt und es hat mir gut gefallen. Für mich hat dieser Text keinen "Druck", er lässt los und er öffnet sich - darum auch der sanfte Ton, den ich unbedingt so geöffnet lassen würde.


es freut mich, dass dir die Zeilen gefallen,-) Ja, kein Druck oder Kampf, sondern öffnen, sanftes Fließen, Loslassen im Sinken, genau.

Ich würde überlegen statt gleiten "sinken" zu nehmen - es geht doch um einen Stein, der ins Meer geworfen wird? (Erinnert mich damit übrigens an Max Tag am Meer). Das sinken hat einen schwereren Klang als gleiten und wird eben doch durch das Zuhause aufgefangen...und eben so erzählt der Text ja auch: Von etwas durchaus Schweren, aber in sanftem Ton. Im Grunde ist es ein Loslassen im Sinken...


dann müsste ich, um eine WH zu vermeiden, ein anderes Wort wählen für diesen Satz, der ja direkt davor steht:

du versinkst in den gezeiten
gleitest in dein zuhause


Oder ich streiche das "gleitest" einfach und setze es so:

du versinkst in den gezeiten
dein zuhause


Das ginge, oder?

Inspiriert hat mich ein Gedicht von Celan, ich weiß jetzt nicht mehr welches, ich blätterte mal wieder in seinen Gedichten.

Auch den Ton finde ich viel freier, die Wiederholungen schwingen, die grammatischen Verkürzungen erzeugen einen analogen Klang zum Inhalt.


Ich habe drei Wiederholungen rausgenommen, in der 2. Fassung (Abschied, Zuhause, vielleicht), glaube aber, dass der weiche Klang erhalten bleibt.

Die letzten beiden Zeilen - ich weiß nicht, ob die sein müssen. ich finde sie nicht vollkommen störend, glaube aber fast, dass sie ein wenig zu aussagezusammenfassendorientierend sind - eigentlich könnte der text auch ohne diesen Fazitcharakter schließen -. Was meinst du?


Ja, da ist was dran. Ich neige oft dazu, am Schluss so ein "Fazit" zu ziehen. Es offen zu lassen, bzw. wegzulassen, da es ja eigentlich schon in den Zeilen steht, werde ich überdenken.

Ich finde, dass dieser Text ein text ist, den du als text losgelassen hast, und dass er dadurch auf mich stark wirkt. Das gefällt mir sehr gut.

(gezeiten finde ich zudem als Blickwinkel auf das Monatsthema eines der schönsten)


Fein, danke dir!,-)
Saludos
Mucki

Maija

Beitragvon Maija » 10.05.2007, 18:47

Hallo Muchi,

Heute etwas Zeit und mein erster Eindruck dazu:

Ich finde, dass dieser Text ein text ist, den du als text losgelassen hast


Ja, das spüre ich auch. Ungezwungen und frei, große Klasse, auch die Bilder mit den Gezeiten!

Gruß, Maija

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.05.2007, 19:13

Liebe Mucki,

ah, das doppelte sinken...entshculdige die Unaufmerksamkeit.

Ich würde dann fast überlegen, die gezeiten wegzulassen? Ich meine, sie stehen ja eh im Titel? Nur das zuhause zu nehmen und sinken zu lassen?


Achso: Das Kreise drehen übrigens: Kreise zeichnen oder? Das gibt sonst ein falsches Bild? (Wasseroberfläche durch aufkommen?)

Die Wiederholungen vorher mochte ich...das war wie der Nachplopp beim unter die Wasseroberfläche sinken....vielleicht eine Hörversion zur Probe? ;-).

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.05.2007, 19:44

Liebe Maija,

danke dir für deinen positiven Eindruck,-) und dass du hier mal reingeschaut hast!

Liebe Lisa,

von den gezeiten im Text kann ich mich nicht trennen *sieganzdollfesthalt* *g*

@ kreise drehen
jep, ich werde "kreise ziehen" daraus machen. Das klingt für mich sanfter als Kreise zeichnen und dieses "ziehen" beinhaltet noch mal schön den Abschied.

Ja, mit den Whs. Vielleicht sollte ich es wirklich mal lesen, da ich diese Worte natürlich anders sprechen würde als die anderen. Ich lese dann beide Versionen, einmal mit den Whs, und einmal ohne.
Danke dir!
Saludos
Mucki


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