Vorsichtshalber

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 07.05.2007, 17:07

Erstfassung:

Vorsichtshalber

Ich schrieb
zwischen die Zeilen
Dir ein Gedicht

Weiß auf weiß
fliederte es zu Dir
streifte Dich
linksseits inmitten

So sicher
als hätten Tauben mir
eine Antwort ins Fenster
gegurrt

Doch Du sagst Dich habe nur Schwarz erreicht
Die wilden Worte sie blühen nicht

Und wenn sie es könnten
Ich hätte sie nie verfasst



Zur Kenntnis:

zwischenzeitliche zweite Fassung (zur Probe)

Vorsichtshalber

Ich schrieb
hinter die Worte
Dir ein Gedicht

Weiß auf weiß
fliederte es zu Dir
streifte Dich
linksseits

So sicher
als hätten Nachtigallen mir
eine Antwort ins Fenster
gesungen

Doch Du sagst, Dich habe nur schwarz erreicht.
Die wilden Worte – sie blühten nicht.

Und wenn sie es könnten:
Ich sagte, ich hätte sie nie verfasst.
Zuletzt geändert von leonie am 09.05.2007, 17:03, insgesamt 4-mal geändert.

Peter

Beitragvon Peter » 07.05.2007, 17:55

Liebe Leonie,

diese geheimnisvolle Verstrickung von weiß zu schwarz, dieses Beispiel vielleicht einer Unmöglichkeit dem anderen etwas zu sagen, weil jeder nur sich selbst liest und wahrnimmt, und nur sich selbst lesen und wahrnehmen kann, gefällt mir an deinem Gedicht; es spricht von einem Extremfall, und der ist das Weiße, und das andre Extrem ist das Schwarze.

Eine Variante, ich weiß nicht ob sie möglich ist, wäre, dass dein Gedicht den Leser direkt anspricht. Dass das Gedicht sagt, ich schreibe ein Gedicht - Hörst du mich? Ich mache das Weiße. Für dich ist es das Schwarze.

Darf ich noch etwas Allgemeines sagen? Ich würde dir wünschen, dass du hier und da mehr in eine Bewegung kommst. Ich weiß, was du schreiben willst, ist schwierig. Mir scheint manchmal, du "entliest" deine Zeilen einem schwierigen Stoff, mit den Fingerspitzen. Was du sagen willst, kannst du nur buchstabieren. So beginnt dein Gedicht. Es beginnt einzeln. Dann aber hebt es sich zu einer Bewegung auf. Trotzdem, ich wünsche dir, dass du einmal dein Alphabeth gelernt haben wirst; dann darfst du Worte sagen; ganz frei. Das könnte ich mir vorstellen, Leonie. Dass es einmal einen frühen Gedichtband von dir gibt, der heißt: "Das Alphabeth der Steine". Die anderen werden anders heißen.

Liebe Grüße,
Peter

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 07.05.2007, 18:00

Hallo Leonie,
das Gefühl kenne ich gut, und die sprachliche Umsetzung gefällt mir. (Bis auf die Tauben, die gurren so oft. Ein Prof von mir sagte einmal das seien die "Ratten der Lüfte", das bekomm ich nicht mehr aus dem Kopf.)

Weiß auf weiß
fliederte es zu Dir
streifte Dich
linksseits inmitten.

Hier verlese ich mich immer und lese:

Weiß auf weiß
fliederte es Dir zu
streifte Dich
linksseitig inmitten.

Statt "wilde" hätte ich persönlich vielleicht "harte, abweisende, kalte, nüchterne..." verwendet.

(Das "doch" lese ich sehr gerne.)

liebe Grüße smile

aram
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Beitragvon aram » 07.05.2007, 18:11

liebe leonie,

tom ist zeuge, wie mir eben ein erleichterter seufzer entfuhr, als ich dein gedicht las - schön, wieder mal einen tollen text zu finden! .-)

bin sehr davon angetan.

allein bei "linksseits inmitten" scheint mir "inmitten" schon etwas zu viel - würde dir an einem reinen "linksseits" etwas fehlen?

liebe grüße
aram
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l. cohen

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 07.05.2007, 18:19

Liebe Leonie,

ja, Zeuge war ich, aber meine Empfindung, Arams Seufzer sei 'ambossschwer' gewesen, wollte ersterer partout nicht in seinen Kommentar übernehmen...

'Linksseits inmitten' erzeugt bei mir - im Gegensatz zu meinem Vorredner - eine schöne, ungerichtete Bestimmtheit. Selbst das Gegurre ist für mich als bekennden Taubenhasser nicht in der Lage, das Ganze zu zerstören...

Gern gelesen, eine schöne Stimmung,

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 07.05.2007, 20:13

Liebe Leonie,

da will ich mich mal meine Vorschreibern flink anschließen. Auch mir hat Dein Gedicht gefallen.

Es scheint mir als würde es zum Ende hin immer stärker und origineller. Der Anfang, das zwischen die Zeilen schreiben, ist ja noch ein recht bekanntes Bild (so bekannt, das bei mir zwischen den Zeilen Steine tanzen ;-) ). Das "fliedert" ist natürlich schon sehr ungewöhnlich, aber aus unerfindlichen Gründen ist mir das zu kopflastig. Ich sehe den Flieder da nicht. Zumal das Weiß ja auch von der wunderschönen Taubenzeile wieder aufgegriffen wird.

streifte Dich
linksseits inmitten


bin ich eigentlich geneigt, als herzseitigen Treffer zu nehmen, aber dann - so muss ich wohl zugeben - sind diese Zeilen unverständlich:

Doch Du sagst, Dich habe nur schwarz erreicht.


Wenn das lyr. Du getroffen ist, wieso hat es dann nur Schwarz erreicht.

Nun wissen wir wenigstens, wie kreatiov Du warst, während wir ums Lagerfeuer saßen ;-).
Sehr schön!
Liebe Grüße,
Max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 07.05.2007, 20:20

Liebe leonie,

da schließe ich mit Tom und aram an, das ist ein sehr feiner Text...(hatte Niko wohl doch Recht @Vorteil von Pausen ;-))...


Miniideen:

Ich würde einzig überlegen, die Punkte wegzulassen?

Schwarz schreibt man glaube ich in deinem Gebrauch hier groß?

Und hier würde ich überlegen

Doch Du sagst, Dich habe nur schwarz erreicht.
Die wilden Worte – sie blühen nicht.



entweder die zweite Zeile abzusetzen (wenn das lyr. ich sie denkt @perspektivenwechsel) oder den Konjunktiv fortzuführen (wenn das lyr. Du sie denkt)

Ansonsten ein sehr zarter, gelungener, schlichter Text, der wieder wie viele deiner Texte Schreiben und Liebe zugleich berührt und zu einem macht.

Liebe Grüße,
Lisa

edit: Wenn der Titel nicht völlig gut passen würde, könnte er darum auch Worte III heißen :pfeifen:
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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leonie
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Beitragvon leonie » 07.05.2007, 22:11

Oh, so viele Rückmeldungen, das macht mich richtig froh. Das war ja nach längerer Pause wieder mal ein kleiner Versuch und ich bin ganz glücklich, dass er von Euch so freundlich aufgenommen wird. (Bin immer noch in der "Ablage-P"-Phase).
Deshalb:

Vielen Dank, lieber Peter.
Ich will Deine Variante einmal für mich probieren.
Was Du zum Allgemeinen schreibst: Es wird wohl noch ein Weilchen bei den Steinen bleiben. Und beim Buchstabieren. Dass Du es für möglich hältst, dass ein Gedichtband daraus wird, ehrt mich. Mir erscheint das sehr unwahrscheinlich. Vielleicht einer für mich selbst.
Aber ich hoffe, dass ich im Schreiben Fortschritte mache.

Liebe smile, auch Dir vielen Dank. Über die Vögel muss ich nochmal nachdenken... (Die Bezeichnung "Ratten der Lüfte" kenne ich auch). Ich finde es aber gar nicht schlecht, wenn es nicht so ausschließlich positiv besetzte Vögel sind.

Lieber aram,
wie der Seufzer geklungen hat, ist mir nicht so wichtig. Ich freue ich sehr sehr, Dich wieder zu lesen, hoffe, dass Du einen superschönen Törn hattest und Dich beim Treffen hier wieder angemessen akklimatisieren konntest. Und ich freue mich, dass Du den Text magst. Ja, und: da stand zuerst nur "linksseits" (woher weißt Du sowas immer??), ich denke auch da nochmal drüber nach, im Moment mag ich das "inmitten" zu sehr, um es zu streichen.

Lieber Tom,
danke, danke, ich freue mich sehr, von Dir unter einem meiner Gedichte zu lesen (ich weiß ja, dass Du sonst eher woanders zu finden bist...) und noch mehr über das "gern gelesen".

Lieber Max,
auch Dir vielen Dank. Ich muss auch über das, was Du schreibst, erstmal nachdenken (ich bin zur Zeit etwas langsam, sowohl im Dichten als auch im Mich-Entscheiden). Das "fliedern" war ein Versuch, eine Synästhesie zu animieren. Hm...Viellicht ginge auch "federte"? (Denk, denk).

Liebe Lisa,
danke für Deine Kritik und das "zart und fein". Ich würde diesen Text am ehesten unter "Kommunikation" einordnen (komme aber damit ein bisschen zu spät, zum Thema "Wasser" dann vielleicht was im Dezember :-) ), auf "Worte III" wäre ich eher nicht gekommen. Für mich geht es um eine Liebe, die keine Chance hat, weil die beiden (sich) nicht vertrauen (können).
Ja, vielleicht nehme ich die Punkt raus (die kamen erst spät rein) und das "Schwarz" wird groß. Auch über den Konjunktiv oder das Absetzen denke ich nochmal in Ruhe nach.

Euch allen vielen vielen Danke von einer ermutigten

leonie

Max

Beitragvon Max » 07.05.2007, 22:13

Liebe Leonie,

es kann durchaus an meiner Langsamkeit und Trägheit liegen, dass ich mich durch das "fliedern" nicht habe animieren lassen. Vielleicht hörst Du auch die anderen dazu, die scheinen ja mit der Stelle sehr zufrieden zu sein.

Liebe Grüße
Max

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Beitragvon leonie » 07.05.2007, 22:26

Lieber Max,

ja, genau die etwas gegensätzlichen Meinungen (auch an anderen Punkten) führen dazu, dass ich zunächst mit Änderungen vorsichtig bin und alles in Ruhe überdenken will...Aber danke Dir, dass Du das nochmal sagst, ich ändere ja auch gern mal zu schnell....

Liebe Grüße

leonie

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Beitragvon Elsa » 07.05.2007, 23:27

Liebe Leonie,

Das ist sehr schön! Die ersten 3 Strophen von feiner Leichtigkeit schwingend, und dann das Schwarz, das sich ausbreitet und alles erstickt.

:daumen:

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 08.05.2007, 00:07

Liebe Leo,

ich bin über eine Verwechslung hier reingeraten, umso erfreulicher das Ergebnis dieser vermeintlichen Irrfahrt... :o)

Tom
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Beitragvon leonie » 08.05.2007, 09:45

Liebe Elsa,

vielen Dankk Dir!

Lieber Tom,

manchmal ist es doch gut, kein Navi dabei zu haben :-) !

Liebe Grüße

leonie

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Beitragvon leonie » 08.05.2007, 12:25

Hallo zusammen,

ich habe mal versucht, Eure Anregungen in einer zweiten Fassung aufzunehmen und sie probehalber eingestellt. Bin mir selbst noch nicht sicher, welche ich mehr mag und freue mich über Rückmeldungen.

Liebe Grüße

leonie


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