Ferne - Gedichte für S.

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.05.2007, 21:11

Und dann wieder
das weite Land
zwischen uns.

So dreidimensional
die sonnensatten
Flächen.

Kilometer geschichtet.
Und wenn ein See
sein Blau durch grüne
Wälder schickt
wie eine E-Mail,
die im Postfach schläft,
mit ungefährem Inhalt
und Worten, die gelesen
fast so falsch sind,
wie der Gedanke,
der sie dachte, wahr,
dann spürst Du -
Ferne.

Denn jeder Ort ist
Heimat und Exil zugleich
und jedes Wort verrät
die Wahrheit, die es uns
verheißt.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 02.05.2007, 22:23, insgesamt 1-mal geändert.

Klara
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Beitragvon Klara » 01.05.2007, 21:26

Toll.

Jedes Wort verrät, dass jedes Wort stimmt.


K.

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leonie
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Beitragvon leonie » 01.05.2007, 21:38

gelöscht
Zuletzt geändert von leonie am 01.05.2007, 23:06, insgesamt 1-mal geändert.

Peter

Beitragvon Peter » 01.05.2007, 21:42

Lieber Paul,

einmal kritisch: Dein Gedicht erscheint mir wie ein Puzzle, sorgsam zusammengefügt. Mit Abstand gesehen, erscheint es ganz, näher besehen aber sieht man die Fugen, eine Zwischenlinie der einzelnen Teile. Daher wirkt das ganze auf mich starr; die Einzelheiten, für sich genommen, sind originell, gelungen, aber es fehlt ihnen die Sprache; zuhöchst blicken sie sich an, blicken aneinander vorbei.

Ein Resultat dieser Sprachverweigerung könnte das "Hüpfen" in der dritten Strophe sein:

Und wenn ein See
sein Blau durch grüne
Wälder schickt
wie eine E-Mail,
die im Postfach schläft,
mit ungefährem Inhalt
und Worten, die gelesen
fast so falsch sind,
wie der Gedanke,
der sie dachte, wahr,

dann spürst Du -
Ferne


Für mein Lesen ist das ein Flohzirkus!

Gelingt es mir aber, ihn hier und da zu durchblicken, erreicht mich doch ein schönes Bild (Blauer See: Email) und auch der Gedanke.

Mein Fazit wäre: Ein saftiger Gedichtgrund, aber in verwirrendem Sommer (sehr viele Insekten, schwere Luft): aus dem Abstand besehen. Aus der Nähe: ein Puzzle.

Liebe Grüße,
Peter

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 01.05.2007, 22:13

Lieber Peter,

so richtig verstehe ich nicht, was Du meinst. Aber für sich genommen klingt Dein Kommentar lustig.

Grüße

Paul

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 02.05.2007, 08:00

Hallo Paul,
ich verstehe Peters Kommentare auch nicht immer, aber er sieht mir scheinbar auf einer anderen Ebene auf Texte.
Peter schreibt: Dein Gedicht erscheint mir wie ein Puzzle, sorgsam zusammengefügt

Ich empfinde es als ein Gedankenpuzzle, das Bilder gesucht hat aber nicht zum Bild wird. (Wobei ich Gedankenpuzzle mag!)
Kilometer geschichtet.

aufeinandergeschichtet damit sie dreidimensional werden oder eine Wortneuschöpfung für „jeder Kilometer erzählt eine Geschichte“?
Der See schickt sein Blau durch Grün, wie eine email? Vielleicht ist das etwas konstruiert?
Warum schläft die Email, wurde sie gelesen oder nicht?
mit ungefährem Inhalt

kann das LI den Inhalt nicht begreifen, oder ist er unwichtig?
und Worten, die gelesen
fast so falsch sind,
wie der Gedanke,
der sie dachte, wahr,

da verliere ich vor lauter Komma die Übersicht
könnte man das vielleicht irgendwie so umformulieren, dass die Aussage, die ich sehr gelungen finde, mehr in den Vordergrund rückt?
Denn jeder Ort ist
Heimat und Exil zugleich
und jedes Wort verrät
die Wahrheit, die es uns
verheißt.

jedes Wort verrät uns durch unsere Interpretation die Wahrheit über das, was wir hören wollen?
oder jedes Wort verrät (i.S. von Verrat) die Wahrheit, die wir in ihm suchen, weil es ihm nicht möglich ist, das auszudrücken, was gedacht wurde?
vielleicht kannst du ja mit meinen Fragen etwas anfangen.

liebe Grüße smile

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 02.05.2007, 13:55

Liebe smile,

Peters Kommentare sind lustig. Manchmal tiefschürfend und manchmal so tiefschürfend, dass sie albern sind. Da ich ihn nicht kenne, weiß ich nicht, wie ernst er meint, was er schreibt.

Für mich wirken die fett gedruckten Worte völlig zufällig (, um nicht zu sagen "kontingent"). Ich weiß nicht, was er hervorheben wollte? Betonungen? Wortarten? Spricht er vom Rhythmus oder Binnenreimen? Nein, er spricht vom "Hüpfen". Sprache beruht auf Konventionen. Das Bild vom Flohzirkus in meinem Gedicht ist schön und amüsant, aber es hilft mir nicht. Hätte er vom Metrum gesprochen, könnte ich da vielleicht mehr begreifen.

Ich finde es schön, dass Du Deinen Gedanken Ausdruck verleihst und dabei Peters Wort vom Puzzle übernimmst, wobei ich sagen muss, dass ich diesen Vergleich hier unpassend finde, weil ich kein Puzzle erkennen kann, sondern nur klare Worte.

"Kilometer geschichtet" = Beide Varianten, die Du vorschlägst sind gut und passend. Eine von drei Konventionen, die literarische Texte erfüllen müssen, um als solche gelesen zu werden, ist die der Polyvalenz. Eine Gebrauchsanweisung sollte nur eine Bedeutung vermitteln. Für einen literarischen Text wäre das zu wenig. Dein Fragezeichen empfinde ich also als Lob meines Textes, weil dieser verschiedene Lesarten zulässt, obwohl er doch so einfach daherkommt.

"wie eine E-Mail, die im Postfach schläft" = Genau so habe ich es gemeint. Sie wurde noch nicht gelesen. In der nächsten Strophe werden ja dann die latenten Gefahren erwähnt, die solche Textnachrichten bieten können. Schon im ungelesenen Zustand.

Der See blitzt auch dann durch die Bäume, wenn ich ihn nicht anschaue. Die E-Mail bewahrt auch dann ihre verwirrende Bedeutungsfülle, wenn ich sie noch nicht gelesen habe.

Und dann verlierst Du vor lauter Kommas die Übersicht? Es gibt bestimmte Gedichtkonventionen, die sind für mich langweilig. Vielleicht war es vor achtzig Jahren mal neu, ohne Satzzeichen und Großbuchstaben zu schreiben. Heute erinnert mich das immer an moderne Literaten, die zwischen den Weltkriegen stehen und irgendwie anders sein wollen. Ich finde das einfach "out", so wie schwarze Rollkragenpullover out sind. Aber das ist Geschmackssache.

Wenn ich diesen von Dir zitierten Satz spreche, klingt er für mich richtig. Ich mag die Alliteration "fast so falsch" und den Klang von "wie der Gedanke der sie dachte". Deshalb habe ich den Satz so formuliert.

Zum Thema "Verrat": in ihrem gelöschten Kommentar hat leonie auf die Doppeldeutigkeit des Wortes "verrät" verwiesen, was mir sehr gefallen hat. Beide Varianten, die Du ansprichst, sind möglich. Ich neige eher zu der pessimistischen Lesart.

Dass die Aussage meines Gedichtes, nämlich dass Worte die Wahrheit verraten - im negativen Sinne, nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigt sich zum Beispiel an Leonies Löschaktion. Warum sie das getan hat, weiß ich nicht? Wahrscheinlich lag ein Missverständnis vor, ich weiß es aber nicht. Fast erscheint mir das wie der Beweis für die pessimistische Lesart.

All das stellt natürlich Deine Lesart nicht in Frage.

Grüße

Paul Ost

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 02.05.2007, 14:12

Hallo Paul,

danke für deine Antwort.
weil ich kein Puzzle erkennen kann, sondern nur klare Worte.

Die Puzzleteile sind die mit bedacht gewählten Worte (die eben nicht klar, sondern vieldeutig sind), die ein Ganzes (die Aussage) ergeben sollen. Hier ist es aber nicht ein Bild, das sie ergeben, sondern eine Idee (einen Gedanken).
bei dem Kommasatz lese ich laut: statt wahr - war, was dem ganzen eine völlig andere Bedeutung gibt, vielleicht irritiert mich das.

lG smile

Niko

Beitragvon Niko » 02.05.2007, 20:16

tja, paul.....der schlüssel liegt wohl alleinig bei peter ;-)
aber eine ahnung habe ich schon, denn aus meiner sicht verzettelt sich das gedicht in der mitte zu sehr. kettensätze in der lyrik sind tödlich. in der relation gelesen ist dies hier ein schachtelsatz, der sich selbst im weg steht.

Und wenn ein See
sein Blau durch grüne
Wälder schickt
wie eine E-Mail,
die im Postfach schläft,
mit ungefährem Inhalt
und Worten, die gelesen
fast so falsch sind,
wie der Gedanke,
der sie dachte, wahr,
dann spürst Du -
Ferne.


ich persönlich sähe das lieber entwirrt. klarer. vielleicht ist es auch das, was du meintest, peter. obwohl du ja ein freund solcher endlossätze bist ;-)
die dreidimensionale strophe finde ich zudem entbehrlich. sie steht - und peng. ohne jede weitere bezugnahme. oder doch wenigstens "so dreidimensional" streichen.
letzte strophe finde ich sehr stark.
gruß: Niko

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 02.05.2007, 21:07

Hallo NJ,

ich korrigiere gerade Klassenarbeiten. Gerne würde ich meinen Schülern vermitteln, dass man gelegentlich auch Zeichen benutzen kann, um die Aufteilung der Sätze deutlicher zu machen. Vielleicht haben sie auch recht, wenn sie im Deutschen grundsätzlich überhaupt keine Satzzeichen benutzen... Ich mag den Schachtelsatz so wie er klingt.

Allerdings wird mir durch euren Widerstand eines deutlich. Ich will diesen Satz nicht ändern. Das ist wohl keine Halsstarrigkeit, sondern Überzeugung. Wie schön sich dieses unbekannt Gefühl anfühlt!

Grüße

Paul

P.S.: Zum Thema "dreidimensional". Das muss da stehen. Gestern und vorgestern bin ich durch Bayern gefahren. Was für ein Unterschied zu Ostwestfalen. Wäre ich durch Ostwestfalen gefahren, hätte ich dieses Wort sicher nicht gewählt.

Klara
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Beitragvon Klara » 02.05.2007, 22:35

Nur rasch dazwischengerufen (ich äußerte ja schon beinah sprachloses Lob): Ich verstehe nicht, was ihr habt! Puzzle...klarer...
Wovon redet ihr denn bloß?
Leonie, warum hast du deinen Kommentar gelöscht?
Was wollt ihr denn an diesem Text rumzerren? Für mein Lesen stimmt er so, wie er da steht.
Wenn ich richtig verstehe (aber das ist gar nicht so wichtig, ob ich das tue), geht es um Kommunikation des Nichtkommunizierbaren - jedenfalls nicht auf die - durch welche äußeren oder inneren Umstände auch immer erzwungene - zeitgemäße ferne, körperlose Weise.
Es ist in gewisser Weise ein "männlicher" Text. Ein rationalisierender Text. Ein (sich selbst) (ein)ordnender Text - aber Unklarheit oder Flohzirkus lese ich an keiner Stelle.

Aber ist doch immer wieder interessant, wie verschieden gelesen wird -
Grüße
Klara

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 02.05.2007, 23:04

Lieber Paul,

ich finde dein Gedicht zum Niederknien. Ich weiß, meine Kommentare sind manchmal dramatisch überschießend, aber das ist meine Natur. Wenn mich etwas begeistert, dann sag ich das auch.

Ich habe es laut vor mich hingelesen, menno, das kann man ja wundervoll tönen. Und die Strophe mit der E-Mail-blauen Wahrheit liest sich wie ein Bühnenmonolog (dänischer Prinz).

Ich würds so gern zu lesen versuchen (hörbar), darf ich?

So, genug geschwärmt!
Elsa
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königindernacht

Beitragvon königindernacht » 02.05.2007, 23:05

Ja, Sehnsucht kann dreidimensional sein.

Ich lese dieses Gedicht ohne mich zu verheddern, nicht wie ein Puzzle- eher wie eine Perlenkette. Sie gefällt mir, gerade weil sie so viele Perlen hat wie die Sehnsucht Schattierungen,

herzlichst, KÖ

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 02.05.2007, 23:13

Liebe Königin, liebe Elsa, liebe Klara,

danke für die "warme Dusche". Schön, wenn es die nicht nur in der Grundschule gibt. Elsa, natürlich darfst Du das lesen. Hast Du nicht sogar eine Klangfarbe in der Aussprache, die an dreidimensionale Landschaften erinnert?

Spannend finde ich, liebe Klara, dass Du den Text als "männlich" bezeichnest. Ich dachte mir kurzfristig - bevor ich mir diesen Gedanken verbat -, dass vielleicht männliche Leser mit diesem Text weniger anfangen können...

Leonie und ich haben unser Missverständnis - ich hoffe, ich darf das sagen - besprochen. Ich habe auf ihren Vorschlag hin den bestimmten Artikel aus dem Titel gelöscht.

Euch eine gute Nacht und Fehlerquotienten unter 24 Prozent.

Grüße

paul


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