Als die Tage heilig gesprochen wurden

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 06.01.2007, 19:50

2. Fassung:

Als die Tage heilig gesprochen wurden


Lange
hatten die Lampen das Sagen
überwachten neonhell die Straßen
beleuchteten jeden argusäugig

Jetzt herrscht wieder Dämmerung
in heimlich küssenden Torbögen
Zeitungen verkünden einhellig
den Tagessieg über die Nacht

Sag Liebste
erscheint dir meine Tonsur nicht lichter
Ich sehe deine Rundungen jedenfalls
deutlicher unter der Kutte


1. Fassung:

Als die Tage heilig gesprochen wurden


Viel zu lange hatten die Lampen das Sagen
beleuchteten jeden Winkel argusäugig
Vom späten Nachmittag bis Schlag Neun
überwachten sie neonhell die Straßen

Jetzt herrscht endlich wieder Dämmerung
in den sich heimlich küssenden Torbögen
Die Morgenzeitungen verkünden einhellig
den Sieg der Tage über die Nächte

Sag Liebste, erscheint dir meine Tonsur
nicht auch lichter beim Morgengebet
Ich sehe deine verborgenen Rundungen
jedenfalls deutlicher unter der Kutte
Zuletzt geändert von Perry am 09.01.2007, 21:32, insgesamt 1-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 09.01.2007, 16:22

Lieber Perry,

der Titel hat mich angelockt und hält insgesamt auch, was verspricht.
Strophe 1 und 2 gefallen mir gut, vorallem der erste Vers "zu lanfe hatten die Lampen das sagen", ein schlichtes Bild, das gut rüberbringt, wovon du erzählen möchtest.
Eine Frage, warum dämmert es erst um neun? Selbst im Winter wird es früher hell, oder? Oder ist dies gar eine Anspielung auf eventuelle Schwangerschaft (ich lehn mich mal so weit raus, weil du das Thema oft hast ;-)): Falls nicht würde ich zeitlich etwas früher gehen.

In Strophe 2 gefallen mir dann die sich heimlich küssenden Torbögen, das ist einfach architektonisch schon beobachtet und fügt sich ganz ins Bild der nächtlichen Verborgenheiten und Verbote.

In Strophe beherrscht du das Sinnbild des "heiligen" sauber, finde ich, überziehst es nicht und benutzt es dennoch um daran zu erzählen, was viel zu lange in Dunkelheit versank zwischen den beiden im Gedicht. In der dritten Strophe kippt das für meinen Geschmack etwas, wobei ich sagen muss, dass das eben dein Stil ist. Trotzdem ist mir hier der bezug zum heiligen eine Spur zu bildlich konkret.

Zudem frage ich mich, ob Frauen eine Kutte tragen können. Ich glaube Kutte bezeichnet schon ein Mönchsgewand? Da ich hier keine Reime zerstören kann, wie wäre denn anstelle von Kutte:
Wie wäre denn einfach Gewand? Oder Nonnentracht? Oder gar ~~Robe?

Ingsesamt ein schelmisch-schönes Liebesgedicht in typischer Perryart :-). Gern gelesen.

Liebe Grüße,
Lisa

PS: Eher in Liebeslyrik verschieben, oder?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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leonie
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Beitragvon leonie » 09.01.2007, 16:57

Lieber Manfred,

das gefällt mir sehr gut, schelmisch, ja, so habe ich es auch gelesen und auch ich fand das Bild der sich heimlich küssenden Torbögen besonders schön.
Es sind einige Wörter drin, die ich einwenig als "Füllwörter" empfinde, willst Du da nicht noch ein wenig kürzen? (z.B. Viel, wieder, einhellig).

Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße

leonie

Perry

Beitragvon Perry » 09.01.2007, 21:27

Hallo Lisa,
danke für deine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem einerseits durchaus etwas schelmisch gemeinten Text. Schelmisch deshalb, weil im 3. Vers mit der Tonsur und der Kutte nicht wirklich Mönchszeichen- bzw. Nonnenkleidung gemeint sind, sondern damit auf die innere Hemmung der beiden Liebenden angespielt wird.
Das Schlag Neun steht da nur, um aus der spät nachmittags und früh vormittags Formulierung rauszukommen (lächel).
Weiter steckt in dem Text aber auch eine Tag/Nacht, Hell/Dunkel und wenn man so will auch noch eine Gut (heilig)/Böse (verborgene Rundungen) Thematik.
Mittlerweile habe ich eine überarbeitete Version fertiggestellt.
LG
Manfred
PS: Über die "typische Perryart" habe ich mich übrigens sehr gefreut!.


Hallo Leonie,
die Torbogenszene ist auch mein Lieblingsbild. Was die Füllwörter anbelangt, sehe ich das genauso, wobei das "einhellig" wegen des Lichtbezugs aber bleiben muss.
Danke für deine Einschätzung und Anregung.
Manfred

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Beitragvon leonie » 10.01.2007, 13:26

Lieber Manfred,

ich finde, da hast Du zu viel angespeckt. Mir gefällt die erste Fassung (abgesehen von den kleinen Füllwörtern besser). Ich hoffe, das verwirrt Dich jetzt nicht...

Liebe Grüße

leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.01.2007, 14:48

Lieber Perry,
wie lustig (und leonie hats ja auch verwendet) "nekisch" war mir auch merhmals auf den Lippen! Das scheint der Text also transportiert zu haben. Ich habe im Übrigen das Ende auch wie du es intendiert hast übertragen gelesen für die wieder entdeckte Leidenschaft. Trotzdem war sie mir als BILD zu üppig. Durch die Streichung des Morgengebets ist das aber verschwunden, das finde ich also sehr gut!

ZUm Schlag Neune: Deine Beweggründe kann ich gut nachvollziehen, aber statt früh morgens könnte da ja auch acht stehen oder sieben oder? Dann wäre es auch "meterologisch korrekt". Bei acht änderte sich nicht mal der Rhythmus.

Und zur Kutte: Natürlich ist das nicht wörtlich genommen, aber das Bild muss ich doch trotzdem lesen können. Da Klöster nun auch nicht gerade frei von Klsichee-Männerleidenschaften sind, habe ich ernsthaft Probleme, die Liebste nicht als einen Mann zu lesen, daher meine Alternativorschläge ;-). Kutte ist männlich, egal ob Sinnbild oder Faktkleidungsstück.

Ingesamt finde ich einige Passagen der Erstfassung besser, da schließe ich mich leonie an, sie haben mehr Rhythmus. Kannst du sie noch etwas ineinander verweben? (Ich mache extra keine Vorschläge, da du immer gern deine eigenen nimmst, so schränke ich deine Auswahlmöglichkeiten am wenigsten ein ;-)).

Liebe Grüße,
Lisa

PS: Ich habe den Thread jetzt mal in Liebeslyrik verschoben, es immer gut, wenn die Texte nach Möglichkeit NICHT im Freien Weben gepostet werden ;-), Falls das nicht gut war, einfach sagen, dann schieb ichs zurück.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Perry

Beitragvon Perry » 10.01.2007, 16:13

Hallo Leonie,
keine Sorge, ich bin nicht so leicht zu verwirren. Ich denke, der Text wird noch etwas "reifen" müssen.
Danke fürs nochmalige Feedback und LG
Manfred

Hallo Lisa,
die Verschiebung geht in Ordnung. Danke für die weiteren Anregungen.
LG
Manfred

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 20.01.2007, 19:01

Hallo Perry,

nur eine Frage

würde argusäugig nicht besser zu überwachen passen
und beleuchten zu neonhell?

Perry

Beitragvon Perry » 21.01.2007, 17:11

Hallo Reimerle,
von der Zuordnung her vielleicht, aber die Aussage soll beidemale den misstrauischen Blick in Verbindung mit Licht ausdrücken.
"beleuchteten argusäugig" und "überwachten neonhell"
Danke für deine Anregung und LG
Manfred


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