Lieber Thomas,
dein Sonett ist stimmig in der Form, Reim und Versmaß sind "regelrecht"gearbeitet.
Dennoch befällt mich beim Lesen eher, das Gefühl, als läse ich kein Sonett, sondern Thesen, die jemand ans "Blaue Brett" genagelt hat.
Das kommt sicher daher, dass du (wieder) Unmengen von Substantiva, (ich habe 28 gezählt, Verben nur 12)verwendet hast, die einen starrer Textkörper und keinen Klangkörper entstehen lassen, wie ein Sonett ihn haben sollte, damit es fließt.
Mir fehlt Lebendigkeit, die durch Verben entsteht.
(Gute Lyrik lebt von Verben, das wirst du mit der Zeit sicher bemerken, hat bei mir auch gedauert, bis ich das erkennen konnte).
Zäsuren oder fließende Zeilenübergänge fehlen ganz, die aber in einem Sonett so sind, wie das Salz in der Suppe.
Zum Inhalt:
Mir fällt auf, dass du pauschal alle Missstände aufzählst, teilweise Lösungen "anbietest" - sollte in der Lyrik unterbleiben - und gewissermaßen Schwarz/Weiß malst.
In Vers 4, den ich willkürlich hier als ersten herausnehme:
lilly-rose hat geschrieben:Stärkt eure Kraft, entsagen wir den Kriegen.
Vereinter Wille darf sich niemals fügen,
damit die Träume unsrer Kinder fliegen.
Z1 Welche Kraft muss gestärkt werden, damit die Menschheit Kriegen entsagt? (Pauschale Aussage, Allgemeinplatz)
Z2 Gerade der vereinte wille, der sich nicht fügt, hat schon mancherlei Unheil angerichtet, so sind nämlich Menschenmassen auch zum Morden bereit, mit vereintem Willen.
Z3 zu abgedroschen, romantisiert, verallgemeinert.
Wahrscheinlich werden wir noch froh sein müssen, wenn die Kinder mit ihren Träumen nicht zu hoch fliegen , sondern am Boden bleiben. (Soll heißen, sie werden wahrscheinlich genug damit zu tun haben, überhaupt zu überleben, was nicht Visionen ausschließen soll).
Es gibt leider kein Patentrezept für Frieden, auch wenn viele gemeinschaftlich Gutes erreichen wollen.
Vielleicht bin ich desillusioniert auch auf grund meiner Jahre...
So, das habe ich jetzt sehr drastisch ausgedrückt, ist aber nicht persönlich gemeint.
Aber um ein derart Beladenen Gedicht zu einem Thema, dass alle betrifft, die sich Gedanken um die Menschheit machen, nicht nur
zu schreiben, sondern
so zu schreiben, dass den es den Leser erfasst, musst du an diesem Text ernsthaft, serh viel arbeiten.
So hört sich dein Text ein wenig so an, wie manche Rede zum Jahreswechsel in der Missstände global aufgezählt werden.
Das ist mir für Lyrik zu wenig.
Nehme ich Vers 1
lilly-rose hat geschrieben:Die Reinkarnation der alten Klagen.
Tagtäglich erntet Morden Glaubens Früchte.
Uns schulterklopfend ehren wir Gerüchte,
der Kopf im Sand verhindert alles Fragen.
so könnte ich dir gleich die erste Z deines Textes vorhalten.
Ich weiß nicht, ob dir das klar ist, beabsichtigt hast du es sicher nicht, aber auf mich wirkt dein Gedicht, wie eine Litanei, wie sie in klageliedern enthalten ist.
9! Substantive in nur vier Zeilen gegenüber 3 Verben schaffen es nicht, mich als Leserein einzuvernehmen.
Bei mir hat sich der Eindruck dann letztlich festgesetzt, dass du den Textum die Reimworte herum geschrieben hast, ohne Rücksicht darauf Zusammenhänge zu entwickelen, die aber dringend nötig sind, um vom Phrasierenden, Pauschalen abzuheben.
Im Prinzip gilt fast Gleiches für V2 und 3, die ich jetzt nicht gesondert bespreche.
Versteh mich bitte nicht falsch, ich habe mich ganz bewusst nicht an eine Interpretation deines Texts begeben, weil ich zunächst einmal darlegen wollte, wollte warum dein Gedicht, bei mir nur ein "Aufstöhnen" aber kein "Aufrütteln" erzeugt.
Wenn du, erst vor einem Jahr begonnen hast zu Schreiben, lass mich dir raten: Lies viel, viel Lyrik, das schult.
Es wird dir dann mit Sicherheit besser gelingen, deine Gedanken lebendiger "einzukleiden" und den Lesern nahe zu bringen.
Der Leser sollte, im besten Fall in einen Text, ganz gleich wir kurz er auch ist, hineingezogen werden und sich, oder Gedanken von sich, darin wiederfinden, ohne Lösungsvorschläge und schwarz/ Weißmalerei.
Der Leser sollte Raum haben eigenen Ideen zu entwickeln, Werte und Deutungen für sich heraus zu arbeiten.
Zu mir sollte ein Gedicht
sprechen, das kann es nur wenn es
lebendig ist, das heißt die
Verben die
Hauptrolle spielen.
Liebe Grüße
Gerda