heiligabend 2005

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Niko

Beitragvon Niko » 22.12.2006, 18:43

heiligabend 2005

ein holzkreuz in der rechtskurve
zerfressen von salz
am ortsschild hinweise:
gottesdienstordnung und tollwutbezirk
und: goldene plakette für das schönste
dorf
am goldenen ochsen ein spontanes treffen.
irgendwer ist schuld
irgendwer nimmt sie immer
auf sich
Zuletzt geändert von Niko am 07.07.2011, 11:01, insgesamt 2-mal geändert.

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 22.12.2006, 23:56

Hallo Niko

Das hat etwas, gerade weil es die einzelnen Themen so unbestimmt zusammenfügt. Holzkreuz (ein Unfall), Ortsschild mit allem, was es am Ort so gibt und manchmal besser nicht geben sollte, dann eine Kneipe oder Wirtshaus. In diesem Dorf wird es immer einen Schuldigen geben, der sich anbietet, wo es doch die goldene Plakette für das schönste Dorf erhalten hat. Heile Welt ad absurdum geführt.

Solche Gedichte lese ich gerne. Danke Dir.

Zwei Fragen;
Warum ist das Treffen spontan und nicht nur ein Treffen?
Warum "ist schuld" und nicht "hat Schuld" im vorletzten Vers? Würde doch auch besser zum folgenden Satz passen?

Schönen Abend

Jürgen

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 23.12.2006, 12:27

Du hast ein außergewöhnliches Bild gezeichnet, ein besonderes. originelles. ( Wie wie es oft von dir gewohnt sind.)
Es fährt wie ein schnelles Auto durch die Kurve und meine Augen greifen die Informationen auf. Das "spontan" verstehe ich so, dass die Fahrt gleich weiter gehen wird. mit einem ebensolchen Tempo wie bisher. Es ist keine Zeit, tiefgründig nachzudenken.

Dennoch gibt es zwischen dem spontanen Treffen und der Schuldfeststellung einen Bruch. Hier fehlt mir eine Aussage zwischen beiden Zeilen, eine, die sich evtl auf einen Gesprächsinhalt bezieht. Oder meintest du, dass jemand an dem spontanen Treffen "Schuld" gewesen sei und diese "auf sich nimmt".

Ich kann diesen Moment jedenfalls absolut nachvollziehen,

herzlichst, KÖ

Max

Beitragvon Max » 23.12.2006, 21:04

Lieber Niko,

Kös Kommentar deckt sich ziemlich gut mit dem, was auch ich gestern nach dem ersten Lesen dachte. Was mir an dem gedicht gefällt ist der Bogen den das Gedicht vom Kreuz mit der christlich-metaphysischen Bedeutung ins tägliche Leben und wieder zurück schlägt - auch eine Verbindung von Weihnachten nach Ostern. Dennoch wäre es noch gelungener, wenn die Zeile

irgendwer ist schuld



(oder vielleicht doch "Hat ´Schuld"?) etwas weniger vom Himmel fiele, obwohl ja da in diesen Tagen so einiges runterfällt ;-)

Liebe grüße
Max

Trixie

Beitragvon Trixie » 24.12.2006, 00:10

Huhu Niko!

...und meine Meinung deckt sich auch ganz gut mit der meiner Vorredner! Es gefällt mir, es nimmt mich mit, doch ein paar kleine Kleinigkeiten wollen mich doch schreiben lassen: 1.) Hat es einen bestimmten Grund, warum es 'heiligabend 2005' heißt? Wäre doch spannender, wenn es allgemein wäre, da kommt die Routine für mich besser raus, das Alltägliche und noch mehr das Banale, "egal". Aber ansonsten finde ich den Titel prima, denn sowas erwartet man danach übehaupt nicht und das gefällt mir! Dann die goldene Plakette und der goldene Ochse...hmmm, ist da eine Pointe dahinter, die ich noch nicht entdeckt habe? Denn an sich ist mir das zu viel gold direkt hintereinander, Weihnachten hin oder her :-)! Ich meine, dass auch nur 'Plakette' reichen würde. Hat der Name des Lokals eine bestimmte Bedeutung? Denn gerade was das Wort Schuld angeht und wie Max ja mit Weihnachten und Ostern bemerkte, fände ich doch 'goldenes Lamm' fast besser! Von wegen Unschulds/OsterLamm :mrgreen:!

'Aber' da es auch ein untypisches, nicht kitschiges Weihnachtsgedicht ist, das dennoch Tiefe hat, bekommst du noch den hier : :daumen: !

Goldige Grüßchen
Trixie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 24.12.2006, 08:41

Lieber NJ,

wieder ein gelungenes Gedicht von Dir. Die Gleichzeitig der Ereignisse war ja schon im Expressionismus ein wichtiges Thema der Dichter.

Gerade der Schluss ist großartig. Aus trauter Bierseligkeit am Stammtisch erwächst das Bedürfnis nach einem Erlöser als Sündenbock.

Grüße

Paul Ost

Rala

Beitragvon Rala » 27.12.2006, 18:08

Hallo Niko,

das finde ich außerordentlich gelungen. In wenigen Zeilen die enge, trostlose Dorfmiefigkeit dargestellt, die einen in diesem Fall wohl auf dem weihnachtlichen Heimweg überfällt (so zumindest meine spontane erste Assoziation aufgrund eigener Eindrücke beim Einfahren in derartige Ortschaften). Der Schluss krönt das Ganze noch. Sehr gut!

Liebe Grüße,
Rala


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