Geschichte

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Last

Beitragvon Last » 30.08.2006, 20:45

Geschichte
Ein Mensch zu sein

Meine Angst ist
die Angst Abrahams,
denn ich bin
sein Sohn.

Wenn es Zeit wird
auf den Berg
zu steigen

werde ich opfern,
weil ich geopfert bin.

Dita

Beitragvon Dita » 30.08.2006, 21:09

Salut Last,

puh, ich bin ein wenig überrannt, da ich bei dem Titel anderes vermutet habe. Aber ich soll mir ja kein Bildnis machen, wie Herr Frisch sagen würde.
Ich finde es gelungen, gar beeindruckend, was Du mit den wenigen Zeilen und der einfachen Wortwahl gebaut hast.
Ein Gedicht, das schwer wiegt.

Lieben Gruß,
Dita

Max

Beitragvon Max » 30.08.2006, 21:24

Lieber Last,

das halte ich für eines Deiner ganz starken Gedichte, eines das uns in die Geschichte (ein passender Titel) stellt und ihre Abfolge sehr gut verdeutlicht. Auch die Wortwahl finde ich so passend, dass ich keines ändern, keines missen möchte.

Sehr gern gelesen
Max

Last

Beitragvon Last » 01.09.2006, 11:55

Hallo Dita, hallo Max,

da fällt mir aber ein Stein vom Herzen, dass es euch gefällt :smile:
Jemand anderes hat kritisiert es wäre ungewöhnlich durchschaubar für meine Verhältnisse (*heul*), es allen Anschein nach aber auch nich wirklich verstanden :confused:

die angst des sohnes als angst des vaters ist stark gemacht, beide fürchten eine übergeordnete, potentiell zerstörerische instanz

Habt ihr das auch so aufgefasst???

Aber ich soll mir ja kein Bildnis machen, wie Herr Frisch sagen würde.

Den Text liebe ich :smile:

Gast

Beitragvon Gast » 01.09.2006, 12:35

Hallo Last,
mir bleibt nicht viel, aber die Gewissheit, dir zu sagen, ja, so wie Dita und Max deinen Text sehen und beurteilen, kann ich mich anschließen.
Ich würde, das, wie ich esverstanden habe, wie folgt ausdrücken:
Die Täter/Opferrolle ist austauschbar, wer Täter ist, wie Abraham in der Geschichte der Bibel ist auch wieder Opferdes eigenen Gehorsams und der Angst vor Verlust.
(Meine "Lesung" deines Gedichts).

Liebe Grüße
Gerda

steyk

Beitragvon steyk » 01.09.2006, 12:55

Hallo Last,
schön mal wieder von dir zu lesen.
Beide sind Opfer ihres Seins und der Tatsache,
daß sie selbst nichts daran ändern können.

Gruß Stefan

aram
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Beitragvon aram » 01.09.2006, 13:06

lieber last,

kann mich den beeindruckten kommentaren nur anschließen.
ein toller text, der 'erklärt', worüber man stundenlang grübeln könnte.

die angst des sohnes als angst des vaters ist stark gemacht, beide fürchten eine übergeordnete, potentiell zerstörerische instanz

Habt ihr das auch so aufgefasst???


nein; ich brauche da keine 'spezielle interpretation' - der text kommt auf anderer ebene bei mir an.

danke und liebe grüße,
aram

p.s.
ein detail: "ein mensch zu sein" finde ich ein ganz klein wenig 'geschraubt' - würde es 'mensch sein' oder 'mensch zu sein' oder 'ein mensch sein' nicht auch tun? - inhaltlich verstehe ich schon warum du es genau so sagst - formal ist es aber etwas überladen.

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leonie
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Beitragvon leonie » 01.09.2006, 13:47

Lieber Last,

bei diesem Text bin ich unschlüssig. Den Teil mit der Angst kann ich verstehen.
Aber dann: Issak wurde ja gerade nicht geopfert, sondern verschont. Oder ist er schon deshalb geopfert, weil Abraham bereit war, ihn zu opfern?

Auch inhaltlich sträubt sich vieles in mir: Muss man sich nicht gegen das Opfern und auch gegen die Opferrolle auflehnen (auch wenn man es manchmal vermutlich nicht vermeiden kann???) Gibt es nicht doch gelegentlich Möglichkeiten, die Kette zu durchbrechen?

Frei nach Hilde Domin: Die Antwort auf die Forderung nach einem Opfer muss „nein“ sein können....Gerade, wenn wir menschliche Menschen sein wollen...

Oder gehöre ich zu denen, die gar nichts verstanden haben?
Ein wenig ratlos

leonie

Last

Beitragvon Last » 02.09.2006, 12:05

Hallo Gerda, Steyk, Aram und Leonie,

Beide sind Opfer ihres Seins und der Tatsache,
daß sie selbst nichts daran ändern können.


Das ist überaus treffend formuliert und trifft meinen Text auf einer tieferen Ebene. Kennst du zufällig den Essay "Der Existentialismus ist ein Humanismus" von J. P. Sartre? Genau dort lag nämlich meine Inspiration.

Tatsächlich kombiniere ich hier zwei Gedanken meines großen Idoles Sartre um damit eines meiner großen religiösen Probleme zu lösen. Was mich zu Leonies Kommentar führt (den ich sehr gut nachvollziehen kann).

Aber dann: Issak wurde ja gerade nicht geopfert, sondern verschont. Oder ist er schon deshalb geopfert, weil Abraham bereit war, ihn zu opfern?*1

Auch inhaltlich sträubt sich vieles in mir: Muss man sich nicht gegen das Opfern und auch gegen die Opferrolle auflehnen (auch wenn man es manchmal vermutlich nicht vermeiden kann???) Gibt es nicht doch gelegentlich Möglichkeiten, die Kette zu durchbrechen?*2


1.) Er ist geopfert, weil Abraham ihn opfern wollte, jedenfalls im Kontext des Gedichtes, denn hier wird ja erneut in die Rolle Abrahams geschlüpft und zwar in den Moment der Entscheidung, als er noch nicht wusste, dass Gott seinen Sohn verschonen würde. Hier kommt ein menschentypischer Fehler ins Spiel, den Sartre in seinem Roman "Der Ekel" beschreibt. Laut dem sei Geschichte meistens eine Lüge, weil sie vom Ende zum Anfang erzählt. Ich sage: "Gestern ging ich nichts ahnend aus der Haustür." Es kommt aber nicht nichts ahnendes beim Zuhörer an, dieser überlegt schon, "was wird gleich passieren?" In der fesen Überzeugung, dass etwas geschehen sein muss, was laut der Erzählung noch nicht geschehen ist.

2.) Genau hier kommt die Urfurcht des Menschen, die Angst vor den Folgen der eigenen Tat ins Spiel. Letztlich gibt es keine Antwort auf deine Fragen, außer der eigenen Wahl. Es gibt den Zwang zur Tat, mit dem die Entscheidung einhergeht, die wertet, nicht nur was für mich persönlich just in dieser Situation das Gute ist, sondern was für alle Menschen gleichermaßen das Gute ist, eine Verantwortung von geschichtlichen Ausmaß.


@Aram: Danke für den Vorschlag, ich werde darüber nachdenken. Wobei ich den Untertitel nicht als geschraubt empfinde, weil es einer dieser Sätze ist, die einen direkt in den Kopf schießen. Wie empfinden denn andere das?

Gast

Beitragvon Gast » 02.09.2006, 12:40

Hallo Last,
"Mensch sein" ist sehr gebräuchlich, also erregt keine besondere Aufmerksamkeit, wie ich finde.
zunächst wollte ich mich diesbezüglich aram anschließen.
Aber nun habe ich noch mal überlegt, und finde die Gewichtung ist eine andere, wenn es heißt:
Ein Mensch zu sein... (Sei Mensch, mensch sein, ist mir zu flach)

Dass ich diesen, von dir gewählten Unterertitel aus einem amnderen literarischen Text? oder einem Liedtext (evtl. Klassik ?) kenne, spielt da sicher rein;
Ich kann nicht Aufhören, darüber nachzudenken woher... kennt man ja :12:
Google oder Wiki kann nicht weiterhelfen, vielleicht du oder die anderen Leser... :neutral:

Liebe Grüße
Gerda

Ich danke dir auch für die ausführlichen Erläuterungen, deiner Inspirationsquelle.
Das würde mich davon befreien, ständig zu grübeln.

aram
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Beitragvon aram » 02.09.2006, 13:14

hallo last + gerda!

wozu dient das 'zu' im untertitel?

(es hat einen zweck; ich kann ihn aber nicht fassen und beurteilen, ob er wichtig ist)

lg aram

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Beitragvon leonie » 02.09.2006, 13:19

Hallo last,


Punkt 1 ist so in jedem Fall verständlich für mich.

Zu Punkt 2: Ist „Opfern“ dann schon der Zwang zur Tat? Mir ist der Begriff „opfern“ unklar, glaube ich, was ist genau damit gemeint?

Liebe Grüße

leonie (bin in Philosophie nicht so bewandert...)

P.S. Mir gefällt der Untertitel so, ich finde, man kann für sich selbst weiterdenken, wie er zu einem Satz ergänzt werden könnte, er regt also meine Phantasie an.

Last

Beitragvon Last » 02.09.2006, 14:28

Hallo ihr drei,

danke für eure weiteren Auskünfte :smile:

@Gerdanken: Ich weiß nicht, wo "Ein Mensch zu sein" schonmal vorgekommen ist, kann mir aber vorstellen, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass jemand diese Worte so schon einmal gebraucht hat.

@Aram: Das "zu" hat zwei Funktionen. Erstens wird das Verb "sein" konkretisiert, ähnlich wie bei Dasein oder Hiersein, unterstützt die Unabänderlichkeit der Existenz (Dem was Heidegger "Geworfenheit" nennt). Zweitens soll ein Zusammenhang zum Haupttitel entstehen: [Die] Geschichte ein Mensch zu sein. Ich halte das momentan noch für wichtig genug. (Mir ist übrigens bei Werken Anderer aufgefallen, dass solche "Geschraubtheiten" manchmal sogar vorteilhaft sind, weil sie schneller im Kopf hängen bleiben, ob das hier so ist kann ich aber nicht beurteilen...)

@Leonie: Was ich sagen wollte ist, dass deine Einwände völlig berechtigt sind, Abraham dürfte mit den gleichen Zweifeln an seine Tat herangegangen sein und das "Nein" ist möglich. Das Gedicht stellt hier nur die Entscheidung dar, wie sie geschehen ist und welche Ausmaße sie besitzt. Wenn du sagst, "für mich persönlich müsste der Schluss lauten: "Werde ich nicht opfern, obwohl ich geopfert bin."," dann kann ich darauf nur sagen, es ist deine freie Entscheidung so zu handeln, aber auch dann musst du die Konsequenzen tragen.

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Beitragvon leonie » 02.09.2006, 14:41

Lieber last,

danke fürs Erklären, ich glaube, jetzt habe ichs verstanden!!!

Liebe Grüße
leonie


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