Dorthin

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 07.08.2006, 18:59

Lieber Leser, ich wollte meine "gläsernen Mandarinen" nicht weiterhin als Scherbenhaufen in meinem Kopf herum tragen, deshalb hoffe ich sie nun hier einbringen zu können...Hoffentlich beglückt Sie dieses Werk. Vielen Dank :blumen:


Nimm mich mit,
nimm mich mit dorthin

wo wir die violette Frucht
der Dämmerung abpflücken

und unsere Ebbe aus Erinnerung
tauschen wir gegen heftige Fluten
aus Minuten
die dort länger sind als Tage...

und an unsere nassen Kniekehlen
schnellen sekundenreiche Wellen.

Ich nehme Dich mit
nehme Dich mit dorthin

wo wir zwei zusehen wie unsere
freilaufenden Fantasien gläserne

Mandarinen auf taubengrauen Wiesen
verlieren. Dort darf ich Dich vielleicht
einmal probieren und endlich überhören
wir

das Zähnefletschen der Wirklichkeiten hinter uns
und der entsetzte Blick von unserem Verstand
spiegelt sich in meinen glückbenetzten Augen...

Nimm uns mit,
nimm uns mit dorthin

an den Ort, der nur ein weißes Zelt ist
ausgefüllt von der Luft vom Wiedersehen-

und ich weiß doch, wir werden nicht dort
bleiben und ich weiß doch vor uns steht

schon der Wärter dieser Zeit namens "Vorbei"
und breitet seine Arme mauernd aus, aber bevor

wir nicht mehr weiter sollen, will ich nur einmal
dorthin mit Dir reisen...




Änderungen:

1. Zeilen sieben und acht wurden neu formatiert (Dank Max).

2. In Zeile 19 stand zuvor "vor den Wirklichkeiten" und jetzt...

3. Am Ende hieß es vorher: "Aber vor uns steht schon das "Vorbei" und breitet..."
Zuletzt geändert von Louisa am 26.08.2006, 16:36, insgesamt 8-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 07.08.2006, 21:38

Liebe Louisa,

ich finde dies ein beeindruckendes Gedicht, das mich in seiner Wehmut an seinen besten Stellen an Selma Meerbaum erinnert. Ich galueb so etwas habe ich schon einmal geschrieben. Natürlich erkennt man Dich (ja, Du kannst Dich nicht verstecken ;-) ) an den Früchten und Deinen Farben (wir haben hier ein paar Menschen, die gut mir Farben komponieren können, aber Du hast eben die Deinen) .Diese finde ich ganz zu Anfang in der violetten Frucht der Dämmerung (die mich irgendwie vom Klang an die schwarze Milch der Frühe von celan erinnert). In der zweiten, nein, es ist die dritte Strophe, könnte ich mir die Abfolge auch so vorstellen

und unsere Ebbe aus Erinnerung
tauschen wir gegen heftige Fluten
aus Minuten
die dort länger sind als Tage...

das würde auch das Komma hinter Minuten sparen. Schön finde ich auch den Wechsel von "Ich nehme Dich mit" auf "Nimm mich mit" als habe das lyische Ich erkannt, dass es einen solchen Kraftakt nicht allein bewältigen kann. Zum Schluss hin, dem traurigen Schluss habe ich den Eindruck als habe Dich das "Vorbei" selbst so gefangen genommen, dass Di r die Bilder für das Vorebi ausgegangen sind. Das peotische Bild hier habe ich ein wenig vermisst.

Trotzdem finde ich das eines Deiner ganz ganz starken Postings hier.

Liebe Grüße
Max

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 07.08.2006, 22:22

Da sind sie ja! Die umgepflanzten, gläsernen Mandarinen! Toll, wie du diesen kleinen Ausschnitt aus dem anderen Gedicht hier zu Ende denkst und uns zeigst.

Das allereinzigste Problem das ich habe, ist mit den Genitiven in Strophe... äh... he, wie zählt man hier? Sagen wir mal Nr. 8.
Warum heißt es da so umständlich: "von den Wirklichkeiten" wo doch auch "der Wirklichkeiten" geht? In der zweiten Zeile zwar wieder, hier würde ich es aber lassen, wenn die einzige Alternative "unseres Verstandes" wäre, was natürlich abscheulich klingt (oder hast du die erste Zeile so formuliert, damit es nicht so auffällt? Hat nicht geklappt...)

Mit dem Vorbei habe ich weniger Probleme, zumal da doch gleich ein Bild ist (breitet seine Arme mauernd aus). Andererseits verstehe ich Max auch - es ist der einzige konkrete Begriff ohne metaphorischen Überrock. Ein bisschen friert's bestimmt.

Ansonsten herrlich Louisa-wehmütig-sehnsuchtsvoll. Erwin hat auch was mitgebracht: :blumen:

Liebe Grüße,
l

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.08.2006, 21:53

Hallo Max und Lichel!

Vielen, vielen Dank ihr beiden guten Poesie-Geister! Ich fühle mich sehr beglückt und beschämt, da ich Frau Meerbaum (das ist ja ein guter Name!) nicht kenne :icon_redface: ...

Euren Änderungsvorschlägen werde ich mich sofort annehmen und diesmal sogar die alten Zeilen stehen lassen! (...dies schreibe ich nur für mein schlechtes Gedächtnis...)

-Das "Vorbei" ist euch noch nicht bildlich genug? Es ist so ein finster dreinblickender Türsteher... :smile: -Vielleicht sollte ich so etwas ähnliches einbauen !?

Jedenfalls bin ich wirklich sehr froh, dass es euch gefällt! (Ich dachte ja schon wieder es könnte viel zu viel der Bilder sein...)

Für die zwei Dichter: 2 x :blumen: !

Liebe Grüße, louisa


Streng geheime, kleine Botschaft an den Einen: Hallo s. D.? Was ist los? Ich habe Schuld...glaube ich, dass Du kein anonymer Freund mehr sein möchtest...was kann ich bloß tun? Der Herr von letzter Woche hat sich gestern zum Glück auch nicht mehr an den Dichterort getraut...was muss ich charmant gewesen sein! -Ich habe Dich aber in der Kritikrunde zitiert und lächelnd gesagt: "Ein sehr berühmter, großartiger Dichter hat einmal geschrieben..." -Sie fanden das alle ganz fabelhaft und haben mich mehrmals danach auf Deine Worte angesprochen...Siehst Du! Ich habe also doch recht! Du bist der perfekte Dichter (für mich nicht nur "Dichter"). Hast Du heute die Wolken beobachtet? Erst waren sie jung und weiß, dann standen sie im roten Leben, später wurden sie ein bisschen traurig und blau und jetzt sind sehr schön schwarz! Ach, Du bist auch so eine schöne Wolke! Habe ich etwas Falsches getan? Oder geht es Dir zur Zeit nicht gut? Nie darfst Du die Hoffnung und den Lebensmut vergessen! (Sie mögen Dich sehr, haben sie mir erzählt...) Also ich könnte Dir noch so vieles berichten, aber das später! Du solltest auch einmal sprechen und sagen, was in Dir vorgeht! Sonst bleibt meine Seele ganz nackt und Deine trägt fünf Pullover übereinander! Gefällt Dir das? Falls ja ist es natürlich gut! Du sollst Dich ja erfreuen! Also hab heute noch schöne Gedanken, m. s. D.!

Max

Beitragvon Max » 08.08.2006, 22:06

Liebe Louisa,

semal Meeraum-Eisinger ist eine jüdische Dichterin die 17, 18 jährig ihre ersten und einzigen Gedichte im deutschen Arbeitslager Michailowka schrieb. Dort starb sie 1943 auch an Typhus.

Wenn Du sie googelst, findest Du jede Menge von Ihr, es gibt auch ein sehr schönes Buch "ich bin in tiefe Sehnsucht eingehüllt" oder ähnlich .. wenn ich hier was einstelle, kriegen wir wieder Porbs mit dem Urheberrecht.

LIebe Grüße
max

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.08.2006, 22:09

Vielen Dank Max!

Sie ist schon mal in meinem lyrischen Alter...also ich werde ihre Werke suchen! Bestimmt hat sie viele schöne Gedichte geschrieben (hehehe...wenn Du bei der Lektüre meiner Werke an sie denkst muss das ja so sein :smile: )

-Nein, nein! Ich bedanke mich nochmals! Bist Du denn jetzt zufrieden mit dem gedicht oder fehlt Dir noch etwas (zum Beispiel am "Vorbei") ?

Liebe Grüße, louisa

Max

Beitragvon Max » 08.08.2006, 22:23

Liebe Louisa,

ja, das Vorbei ist tatsächlich die einzige Stelle, die ich mir anders vorstellen könnte, wobe ich nicht konkret weiß , wie. Die Tatsache, dass Vorbei in Anführungszeichen steht, finde ich einen deutlichen Indikator dafür, dass man da eigentlich auch ein Bild setzen kann - wenn einem eins einfällt.
Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.08.2006, 22:25

Der "Wunsch" :smile: sei mir Befehl! Einen Augenblick der Meditation bitte...

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.08.2006, 22:34

Hallo Max und alle anderen!

Wie ist es mit dem "Wärter dieser Zeit"...wie Zirkuswärter (ist diese zeit vielleicht auch ein...?)

-Gefällt das?

Liebe Grüße, louisa

Max

Beitragvon Max » 08.08.2006, 22:42

Liebe Louisa,

den Wärter der Zeit, den mag ich eigentlich und das bild gefällt mir. Dass er nun Vorbei heißt - nun gut, er könnte es ja auch sagen. Aber mit seinem Auftritt fällt mir auf, dass er mauernd die Arme ausbreitet (es ist auch nciht besser, wenn es vorher das Vorbei tut), während doch das lyr. Wir noch im dorthin ist. Der Wärter der Zeit vermauert also eigentlich den Rückweg, was mir ein wenig unlogisch erscheint.

Liebe Grüße
max

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.08.2006, 22:48

Hallo Max!

Also ich habe das jetzt nicht ganz verstanden :icon_redface: ... Der Wärter dieser Zeit, also der Zeit im "Dorthin" breitet seine Arme schon mauernd vor den Beiden aus...

-Das ist dem "lyrischen Ich" klar, es wollte sein Wissen nur einmal schnell preisgeben :smile: ...nicht das man noch denkt, man könnte ewig an diesem Ort verweilen...

-Wieso ist diese Schlussfolgerung unlogisch? Das "Vorbei" steht einfach schon da und ist sich seiner sehr bewusst...

Mm?

Grüßlein, louisa

PS: "namens" ist vermutlich besser. "der heißt" hört sich an, als ob ich so eine Kinderbuch-Autorin wäre... ("Und dieser Bösewicht heißt Vorbei, ihr lieben Kleinen..." :smile:
Zuletzt geändert von Louisa am 08.08.2006, 22:56, insgesamt 1-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 08.08.2006, 22:54

Liebe Louisa,

ich dachte nur, wenn das lyr. Ich im Dorthin ist und ihm jemand mauernd den We versperrt, dann kann es nicht zurück und MUSS ewig im Dorthin bleiben oder ist das zu mathematischgedacht?

Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 08.08.2006, 23:01

Hallo mathematischer Max :smile: !

-Deshalb habe ich Deinen Gedankengang nicht verstanden!

Also: Mein unlogischer Kopf dachte sich: Wenn das "Vorbei" einem den weiteren, heiteren Weg versperrt, der sicher durch das Dorthin-Gelände verläuft, geht es dort nicht weiter...aber sicherlich auf getrennten Wegen...

(-Naja...aber es wäre ja auch ganz schön, wenn...tralala...)

Muss ich das jetzt ändern? Oder kann man dieser dummen Denkweise auch folgen?

Danke und Grüße! louisa

Max

Beitragvon Max » 08.08.2006, 23:15

Liebe Louisa,

ich denke, das geht auch so, vielleicht haben ja die anderen auch noch ne Meinung ;-)

Liebe Grüße
max


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