geostationär

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 04.08.2006, 16:28

geostationär


aufgebrochen
grenzen zu erkunden
bodenkontakt verloren
ritt ins unendliche

umkreisen
im luftleeren raum
abgestoßen, angezogen
von gefühlskräften

zwischen wolken
locken meeresbusen
blitzen blanke
polkappen

entvölkertes paradies
am meeresgrund
schimmert
hoffnungsblau

Max

Beitragvon Max » 04.08.2006, 20:24

Lieber Perry,

da muss ich, bvor ich mich in irgendwelche abenteuerlichen Interpretationen verliere zunächst mal fragen, ob das absichtlich in der Liebeslyrik steht - vermutlich ja schon - und ob es für mehr steht als die Liebe zur Erde. Ich denke, dass ich das erkennen kann, mag aber ungern mit meiner Interpretation so völlig danebenliegen :-)

Liebe Grüße
max

Perry

Beitragvon Perry » 05.08.2006, 00:10

Hallo Max,
nur Mut. Ich weiß, die Bildebene ist etwas kompliziert und doch einfach, wenn man die einzelnen Sequenzen entschlüsselt.
Geostationär bedeutet, dass sich ein Satelit so um die Erde bewegt, dass er immer über dem selben Punkt auf der Erde steht. Übertragen auf die Liebesgeschichte bedeutet es, dass die beiden sich zwar getrennt haben aber trotzdem nicht voneinander loslassen können. So pendeln sie zwischen Anziehen und Abstoßen (2. Vers), rein körperlichem Verlangen (3. Vers) aber auch dem Wunsch nach emotionaler Nähe (4. Vers).
LG
Manfred

Cara

Beitragvon Cara » 05.08.2006, 10:11

Hallo Perry,

ich habe dein Gedicht gern gelesen und möchte dir hier ein paar Gedanken wiedergeben, die ich habe:

Zum Titel:

Nachdem Max nachgefragt hat und du einiges erklärt hast, wurde mir der Inhalt deines Gedichtes natürlich sonnenklar. Vorher wäre er das vielleicht nicht auf Anhieb gewesen. Daher hätte ich anzumerken, dass der Titel zwar zum Inhalt gewissermaßen gehört und passt, dass aber ein anderer Titel es dem Leser (der nicht so eine Erklärung gegeben bekommt, wie du es hier getan hast) leichter machen würde, die Absicht des Textes zu verstehen.


Zu den Verben:

Das Gedicht beinhaltet ja sehr viele Verben, besteht fast aus ihnen. Dadurch - finde ich - wird ihm ein sehr dynamischer Charakter gegeben.
Dadurch, dass die Verben nicht durch Bindewörter harmonisiert werden, drückst du sehr deutlich einen Wartezustand aus. Ja, man könnte sogar sagen, dass du einen Telegrammstil verwendest, also einen sehr reduzierten Sprachstil, der nur das Nötigste aussagen will. Das wiederum kommt bei mir so an, als sei das Lyr. Ich zwar "hoffnungsblau", aber auch dabei, die Geschichte für sich zu verarbeiten oder gar abzuhandeln. Zumindest will es das Ganze einschätzen ("was habe ich davon zu halten?").
Das tut es auf eine sehr abgehackte Weise, die Kontemplation über die Liebesbeziehung geschieht recht pragmatisch und nicht sonderlich tränenreich.

Das ist auch eine Angehensweise (von vielen anderen, die möglich wären), und die ist in dem Gedicht gut rübergebracht. Ich empfinde es als "männliche Angehensweise".

Liebe Grüße
Cara

Perry

Beitragvon Perry » 05.08.2006, 10:55

Hallo Cara,
danke für deine intensive Auseinandersetzung mit meinem Text. Er beschreibt wie gesagt eine Liebesbeziehung, bei der die Partner sich getrennt haben, aber doch nicht voneinander lassen können. Das geostationär beschreibt dabei die Fixierung der beiden. Das Lyrich hat sich bei der Auslotung der Beziehungsgrenzen in den "luftleeren Raum" sprich in eine Satellitenumlaufbahn katapultiert. Du hast diesen "männlichen" Gefühlszustand, der Unfähigkeit Gefühle zu zeigen, gut erkannt. Da ist die Sehnsucht nach ihrer Nähe aber auch die Fessel der Fliehkraft.
Was den Stil angeht, ist es der Versuch einen ursprünglich prosaisch angelegten Text lyrisch zu verdichten.
LG
Manfred
PS: Hier die Ursprungsfassung:
Geostationär


Aufgebrochen
die Grenzen unseres Sonnensystems
zu erkunden
verlor ich den Bodenkontakt
trieb ab in die Kälte des Weltalls

Hänge fest
im luftleeren Raum
gefangen in der Fessel
körperlicher Anziehung
und enttäuschter Gefühle

Treibe
fixiert auf lockende Meeresbusen
und blanke Polkappen
über einem entvölkerten Inselparadies
in einem hoffnungsblauen Ozean
Zuletzt geändert von Perry am 05.08.2006, 11:14, insgesamt 1-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 05.08.2006, 11:04

Lieber Manfred,

ich Dir sehr für Deine Hinweise, ohne die ich dem Gedicht wohl nciht so nahe gekommen wäre (obwohl ich wusstem, was geostationär bedeutet ;-) ). Nach Deiner Beschreibung finde ich aber, dass die einzelenne strophen ihre Wirkung sehr gut entfalten.
Zum Titel noch die Frage: Du schreibst

. Er beschreibt wie gesagt eine Liebesbeziehung, bei der die Partner sich getrennt haben, aber doch nicht voneinander lassen können. Das geostationär beschreibt dabei die Fixierung der beiden.


Nun ist geostationär ja ein besondere Blickwinkel, nämlich der des Satelliten, der sehr gezielt abgeschossen werden muss, um eine geostationäre Umlaufbahn zu erhalten - dem entsrpechenden Punkt auf der Erde ist das ja wurscht. Die Frage ist, ist die Fixierung von Dir im gedicht auch einseitig gemeint oder sollte sie beidseitig sein?

Liebe Grüße
max

Perry

Beitragvon Perry » 05.08.2006, 11:20

Hallo Max,
natürlich kann man den Begriff "geostationär" unterschiedlich deuten. Es würde jetzt zu sehr autobiografisch werden meine Intention genau zu erläutern, aber du hast natürlich Recht, dass das Gedicht aus der Sicht des Satelliten der auf eine "Bodenstation" fixiert ist geschrieben ist. Die Befindlichkeit des lyrischen Du bleibt hinter den Wolken ihres Planeten verborgen (lächel).
LG
Manfred
PS: Habe gerade noch die lyrische Prosafassung beim ReKomm für Cara eingefügt, vielleicht ist diese leichter verständlich.

Max

Beitragvon Max » 05.08.2006, 11:42

Lieber Manfred,

interessant diese Erstfassung. Klar ist sie leichter zu verstehen, aber (nun, da ich einiges verstehe ;-) ) ich bevorzuge die von Dir eingestellte Fassung, da sie durch die Verdichtung lyrischer ist.

Liebe Grüße
max

Cara

Beitragvon Cara » 05.08.2006, 17:53

Lieber Manfred,

schön, dass du die erste, etwas weichere, erzählendere Fassung eingestellt hast.
Mir gefällt - so wie Max - die hier als erstes eingestellte Fassung aber auch etwas besser.

Ich habe mir noch ein paar Gedanken zu deiner hier zuerst eingestellten Fassung gemacht und erlaube mir, sie ein wenig zu verändern. Ich habe den Ausdruck "ritt ins unendliche" geändert, weil mir beim zweiten Lesen der "ritt" nicht so optimal gefiel, und ich habe ein wenig das Ganze durch Wörter wie "ich" und "unser" entschärft.....Wie findest du das?


aufgebrochen
grenzen zu erkunden
verliere ich bodenkontakt
flüchte ins unendliche

ich kreise
im luftleeren raum
abgestoßen, angezogen
von gefühlskräften

zwischen wolken
locken meeresbusen
blitzen blanke
polkappen

unser entvölkertes paradies
am meeresgrund
schimmert
hoffnungsblau

Ich grüße dich
Cara

Perry

Beitragvon Perry » 06.08.2006, 12:26

Hallo Cara,
Ich denke auch, dass die Schlussfassung, sofern ich sie je finde werde (lächel) "persönlicher" ausfallen wird, weil die rein abstrakte Fassung doch ein wenig schwer zu verstehen ist. Dein Vorschlag wird mir dabei sicher sehr hilfreich sein.
Schönen Sonntag noch und LG
Manfred


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