Friedensgruß

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 25.07.2006, 11:18

Friedensgruß

An diesem Abend
schien unter dem
gemalten Himmel

jedes Wort
zu abgenutzt
für die Stille
über dem Zirpen.

Ein Schuss
hielt inne
wie die Zeit

als lausche er
der Taube,
die in den Wolken
verschwamm.

Ich schwieg
eine neue Sprache
laut
über das Land.



Erstfassung:

Friedensgruß

An diesem Abend
schien unter dem
Flamingohimmel
jeder Buchstabe
falsch gesetzt.

Jedes Wort
zu abgenutzt
für die Stille
über dem Zirpen.

Ein Schuss
hielt inne
wie die Zeit

als lausche er
der Taube,
die in den Wolken
verschwand.

Ich schwieg
eine neue Sprache
lautlos
über das Land.
Zuletzt geändert von leonie am 26.07.2006, 14:20, insgesamt 2-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 25.07.2006, 18:35

hallo leonie,

auch dieses gedicht finde ich wieder ganz was besonderes.
mich berührt die umsetzung dieser 'schwierigkeit'.

eine zeile passt mir -trotzdem- gar nicht, ich halte sie kaum aus:

als lausche er

das stimmt für mich einfach nicht - natürlich weiß ich nicht, wie du es liest.
(das lyr.ich behauptet ja auch nicht, dass es stimmt, doch allein diese assoziation/ 'zuschreibung' finde ich so heftig, dass sich alles in mir sträubt - vielleicht eine positive qualität des textes?)

dann noch ein detail:

lautlos

- könnte ebenso gut 'laut' heißen, finde ich - wäre das nicht stärker und genauso wahr?

ich hoffe ich setze meine lesart nicht zu sehr voraus - möchte irgendwie nichts dazu sagen (zumindest nicht jetzt), mag nicht "konkret" machen

danke für das gedicht,
aram

Max

Beitragvon Max » 25.07.2006, 20:57

Liebe Leonie,

ich finde die konstante Qualität Deiner Texte wirklich beeindruckend. Auch in diesem entdekce ich wieder wundervolle kleine und große Gedanken - etwa

die Stille
über dem Zirpen.



oder die ganze letzte Strophe

Ich schwieg
eine neue Sprache
lautlos
über das Land.



(wobei mir Arams Vorschlag auch gut gefällt).

Schwierigkeitenn habe ich mit dem Verstaändnis der ersten Strophe. Das


jeder Buchstabe
falsch gesetzt.


verheißt mir anderes als das, was im Gedicht folgt. Und da wir eben schon die Debatte laut/lautlos hatten: ich könnte mir die zweite Strophe auch so vorstellen:

Jedes Wort
zu laut
für die Stiile
über dem Zirpen.

Ein sehr schöner Text .. again
Liebe Grüße
max

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.07.2006, 21:42

Lieber aram,

dieses ist eins meiner intuitiven Gedichte, die kommen fast fertig in meinen Sinn, ich könnte es Dir gar nicht wirklich interpretieren. Es ist eine Stimmung, die ich versucht habe zu fangen.
Ich kann schwer nachvollziehen, warum das „lauschen“ so problematisch für Dich ist. Wenn Du irgendwann magst, kannst Du vielleicht noch etwas dazu schreiben.
Das mit dem “laut” überzeugt mich.

Lieber Max,

das freut mich sehr, dass Du das schreibst. Ich habe immer das Gefühl, meine Gedichte sind nichts Besonderes, gerade weil sie oft so schnell entstehen. Und das soll jetzt kein understatement sein.
Ich sehe das Problem. Das „abgenutzt“ muss bleiben, aber ich habe ein wenig gekürzt. Bei den Zeilenumbrüchen bin ich mir noch nicht sicher.

Liebe Grüße Euch beiden

leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.07.2006, 21:59

Liebe leonie,

toll!!! Schreib bitte immer so intuitiv :-)...Ich finde sogar, dass das Thema (das Entstehen kann ich ja gar nicht beurteilen, das weißt ja nur du) auch bei dir in intuitive und konkretere zu unterscheiden ist (zum Beispiel Amen vs. dieses hier). Und die intuitiven begeistern mich noch eine Spur mehr als die konkreten..sie sind mir einfach sehr nah...

Dieses Gedicht ist auch unheimlich dicht und rund...ich lese es wirklich gern und es transportiert viel, was nicht erklärt werden muss...

Einzig den Titel finde ich komisch (fand ich schon beim anklicken komisch, ich vermutete etwas zur derzeitigen poltischen Lage) und diese Zeilen hier, hast du glaube ich nur so gesetzt um ihm Rahmen (also der Zeilenbreite) des Restes des Gedichts zu bleiben?

Ich fände sie so freier:

als lausche er der Taube,
die in den Wolken verschwand.


Oder überlese ich die Setzung?

Oh, was mir gerade noch auffällt...flamingo und taube sind zwei vögel, die bei mir sehr verschiedene Gegenden als Vorstellung wachrufen...aber vielleicht empfinden das andere als weniger problematisch?

Aber diese Anmerkungen sollen über meine Begeisterung nicht hinwegtäuschen...ich glaube ich gehe immer mehr ins Detail, wenn mich Texte besonders ansprechen :-)

Liebe Abendgrüße...
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 25.07.2006, 21:59

Liebe Leonie.

dann sei versichter, dass Deine Gedichte hier im salon zu den besonderen zählen!

Das "abgenutzt" wollte ich auch nicht unbedingt austauschen, die Alternative kam mir nur so in den Sinn ... Ich verstehe aber nach der Kürzung den Sinn des Gedichts viel besser!

Liebe Grüße
max

aram
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Beitragvon aram » 25.07.2006, 22:25

liebe leonie -

ich könnte es Dir gar nicht wirklich interpretieren.

dann empfinden wir das ähnlich - nur ich steh weiter weg als du und kann daher sagen: ja, das ist ein besonderer text.
zum lauschen:
das ist für mich etwas sensibles, einfühlsames.
und ich bringe den schuss schon mit der entschwindenden (vielleicht knapp verfehlten) taube in zusammenhang - dass er nun innehält finde ich 'ok.', dass er aber auch noch lauscht liest sich für mich indirekt etwa so wie:
der vergewaltiger ging sehr rücksichtsvoll vor

- es löst einfach was aus bei mir - aber wie gesagt, vielleicht ist das die qualität daran, dass mir das unangenehm ist - wenn du es 'unbewusst', also ohne was bestimmtes sagen zu wollen so geschrieben hast, dann würde ich es auch genau so lassen.

übrigens: jeder Buchstabe / falsch gesetzt gefiel mir gut, gerade in diesem 'doppelten scheitern' zusammen mit den 'abgenutzten worten' - für sich allein sind die für mich ein wenig 'abgenutzter' - d.h. wenn ich auf ein bild reduzieren müsste, würde ich das elementarere - die falsch gesetzten buchstaben - drinnen lassen und lieber die abgenutzten worte rausnehmen.

so und so aber ein tolles gedicht -
aram

Max

Beitragvon Max » 25.07.2006, 22:53

Lieber Aram,

meinst Du so:

An diesem Abend
schien unter dem
Flamingohimmel

jeder Buchstabe
falsch gesetzt
für die Stille
über dem Zirpen


Lieb grüßt
der Max

aram
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Beitragvon aram » 26.07.2006, 00:54

hallo max,

in diese richtung dachte ich (es müsste dann wohl "zur stille" oder "in die stille" heißen) - aber ich weiß nicht, ob ich zu ende gedacht habe: in die stille falsch gesetzte buchstaben ist auch etwas dissozierter als für die stille zu abgenutzte worte (ich will sagen es klingt vielleicht ein wenig doof ;-)

..zum glück gibt es ja eine dichterin namens leonie, und wir müssen das nicht entscheiden!

liebe grüße,
aram

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leonie
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Beitragvon leonie » 26.07.2006, 14:20

Liebe Lisa, Lieber Max, lieber aram,

vielen Dank noch mal, ich bin ganz glükcklich, dass viele Texte hier so nett aufgenommen und kommentiert werden. Ich habe mir die Vorschläge durch den Kopf gehen lassen und bin jetzt zu obiger Fassung gekommen.
Lisa, hast Du eine Idee, wie Du es betiteln würdest? Irgendwie komme ich von den Zeilenumbrüchen nicht weg. Mit weniger sind mir die Sätze zu lang....
aram,
das mit dem „abgenutzt“ leuchtet mir ein. Das „lauschen“ ist für mich eher so, als bemerke einer im letzten Moment, was er da eigentlich tun will, für mich gehört es wirklich so dahin.

Euch dreien noch mal vielen Dank.

Beflügelt
leonie


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