Rascheln

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 22.07.2006, 19:11

Vorbei der Weg
meines Wirkens

Es raschelt
leise

Dita

Beitragvon Dita » 23.07.2006, 04:27

Lieber moshe,

vor mir ein Bild: Herbst, eine Allee liegt in meinem Rücken, vor mir ungewohnter/ungesäumter Raum, Blätter auf dem kiesigen Weg hinter mir im Wind/von mir aufgewühlt, leerer Blick.

Dita

Last

Beitragvon Last » 23.07.2006, 11:30

Hallo Moshe,

da ist dir mal wieder etwas sehr Nachdenkenswertes gelungen, dankeschön :)

Ich kann das rascheln zwar nicht 1:1 übersetzen, halte es aber für eine Beschreibung, die diese Nachwirkung ganz genau trifft. Nur (oder immerhin) ein leises Rascheln vermag man unterm Strich zu erzeugen (und wie sich das erst anhört...).

Birute

Beitragvon Birute » 23.07.2006, 12:05

Für mich rascheln meine Schritte, weil ich den gepflasterten Weg verlassen habe.

Lieben Gruß
Birute

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.07.2006, 13:53

Auch hier gibt es viele Interpretationen, mich freuen die eurigen.

moshe.c

Max

Beitragvon Max » 23.07.2006, 14:24

Lieber Moshe,

ich möchte mich mehr oder weniger Lasts Interpretation anschließen: ein leises Raschlen ist bleibt, wenn man geht.

Was den Reichtum möglicher Interpretationen angeht, möchte ich nicht verschweigen, dass ich zwiegespalten bin: auf der einen Seite halte ich reiche Interpretationsmöglichkeiten für ein Kennzeichen eines literarischen Textes, auf der anderen Seite hinterlassen viele dieser aphoristischen Texte (gemeint sind dabei nicht nur Deine Texte, Moshe, und vor allem bei weitem auch nicht alle Deiner kurzen Texte) einen gewissen Eindruck von Beliebigkeit, gerade wenn die eingestellten Interpretationen sehr divers sind.
Wenn ich beispielsweise hier einen Text einstellte, der nur aus dem Wort ''Lehmhütte'' bestünde, so könnte ich bei der Phantasie der Forumsteilnehmer viele Antworten bekommen, die freies Assoziieren etwa zu den Themen "Judentum", "archaische Behausungen" , "Heimatlosigkeit" oder "Club-Urlaub" beinhalten. Mir verschiebt sich dabei das Autor-Leser Verhältnis sehr stark ... Ich möchte das vielleicht einfach nur mal als Gedanken in den Raum werfen, wie gesagt, ich bin mir da auch nich sicher und es gehört sicher nicht wirklich unter dieses Gedicht.

Liebe Grüße
max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.07.2006, 14:47

Hallo Max!

Deine Überlegungungen verstehe ich im Allgemeinen, habe jedoch folgende Einwände:

1. 'Lehmhütte' ist kein Text, sondern ein Begriff.

2. Es handelt sich hier nicht um eine Zeitung oder sonstiges Presserzeugnis, sondern die Texte sind mit dem Prädikat Lyrik verbunden, was einen speziellen Kontext ergibt.

3. Deshalb handelt es sich hier nicht um Schlagworte oder -sätze, sondern um Aussagen, die einen lyrischen Moment darstellen. Die Möglichkeiten der Interpretationen, unabhängig von der Länge des Textes, hängen vom Bewußtsein des Lesers und der damit verbundenen Sichtweise ab.

4. Ich hatte dir einst zu dieser Frage sogar gelesenes geschickt, aber bis heute keine Antwort erhalten.

Mit liebem Gruß

moshe.c

Max

Beitragvon Max » 23.07.2006, 15:15

Lieber Moshe,

hm, einiger Deiner Ideen verstehe, andere Einwände halte ich eher für künstlich:

zu 1.) Zum einen ist "Lehmhütte" ja nur ein Beispiel gewesen, zum anderen kann man genau Dein
Argument unter 2. und 3. verwenden. Manche der hier unter Kurzlyrik eingestellten Texte sind ja grammatisch-inhaltlich nur ein Satz, können im lyrischen Kontext aber durchaus ein Gedicht sein. Das kann einem Begriff m.E. ebenso ergehen, zumindest sehe ich den Unterschied nicht ganz, denn auch manche der hier eingestellten Kurzgedichte sind ja wertungsfrei (bei Haikus scheint das sogar zu den Spielregeln zu gehören).

zu 2.+3.) Das scheint mir den Punkt zu treffen. Nur wird ja der Inhalt eines Textes zunächstmal kein anderer, wenn ich ihn Lyrik nenne. Ich weiß, dass das verschiedentlich vermutlich anders gesehen wird - ich erinnere mich da an Texte der "konkreten Poesie", die beispielsweise aus den Namen der Aufstellung des 1. FC Nürnberg in irgendeinem Bundesligaspiel bestehen. Ich denke, dass meine Beschreibung oben: Das Verhältnis von Leser zu Autor verschiebt sich, nämlich in dem Sinne, dass der Autor dem Leser Inhalte zur (mehr oder weniger) freien Assoziation überlässt, mein Unbehagen trifft. Ich denke ja auch, dass es jedem unbenommen bleibt, aphoristische Texte zu schreiben (meine Texte haben auch manchmal etwas davon) oder zu lesen - zur Diskussion stellen wolle ich nur meine Gedanken hierzu. Dabei ist mir klar, dass es einem Gedicht nicht unbedingt gut tut zu definieren, was ein Gedicht ist, umgekehrt muss es aber auch möglich sein, über solche Fragen bei Gedichten zu diskutieren

4.) Entschuldige, wenn ich Dir da nicht geantwortet habe, das tut mir leid. In meinem Kopf war das anscheinend als erledigt abgehakt. Es ging da aber weniger um Interpretationsmöglichkeiten, sondern darum, dass Metrum kein starrer Begriff ist- und da hast Du mich mit Deinen Lösungen überzeuggt. Entschuldige, wenn Du das erst jetzt von mir hörst, wie gesagt, ich dachte ich habe es gesagt, es ist aber vermutlich zwischen "Antworten im Forum" und "Antworten per Mail" verloren gegangen.

Liebe Grüße
Max
Zuletzt geändert von Max am 23.07.2006, 15:28, insgesamt 1-mal geändert.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.07.2006, 16:23

Natürlich und selbstverständlich und richtig und begrüßenswert ist es über 'solche Fragen' zu diskutieren.

In bestimmten Ecken meiner selbst bin ich von den Documenta's in Kassel aus den 70ern und 80ern angehaucht, von der Diskusssion damals über Kontext und 'Neuem Realismus' in der bildenden Kunst.
(Ich denke, daß merkt man)
Die Werke von Beuys sind mir unvergessen, insbesonders die Honigpumpe und seine Steine.
Auch gab es damals ein tiefes Bohrloch (Ich weiß nicht mehr von wem) und Räume über das Werden und Vergehen, sowie riesige und realistische Gemälde, die ich erst für Fotographien hielt. Es erschloß sich ein ganz neuer Horizont und rüttelte an meiner Sichtweise, und, das ist hier wichtig, zeigte mir, welche Bedeutung Kontext und Interpretation hat.

Das sich das Verhältnis des Autors zum Leser verschiebt, halte ich für gut, weil dem Leser Selbstbewußtsein zugeschoben wird, Selbstverantwortung in seiner Warnehmung und er sich solche Fragen stellt, wie du es hier gerade zeigst.
Warum ist dann ggf. 'Lehmhütte' kein einfacher Begriff mehr, sondern ein Gedicht? Warum ist ein Loch von (ich weiß nicht mehr genau wieviel Metern, aber im Durchmesser vielleicht 10 Zentimeter) 2000 Metern in der Erde nicht mehr einfach ein Loch in der Erde von 2000 Metern, sondern ein Kunstwerk, in das alle hineinschauen und versuchen etwas zu sehen?

Mit ganz liebem Gruß

Moshe

Max

Beitragvon Max » 23.07.2006, 16:46

Lieber Moshe,

hm, die Fragen zum Schluss finde ich wichtig - aber ich kann keine Antworten geben (so war es auch nicht gemeint, ich weiß ;-) ). Zumal sie ja eigentlich als Kernfrage beinhalten: was ist das, ein Kunstwerk (ein Gedicht etc.) und wie, wieso kann das von dem Kontext abhängen, in das ich es stelle?
Und da denke ich wirklich, dass ich mich in meinem Dilemma befinde, denn es tut dem Kunstwserk nicht gut, zu definieren, was ein Kunstwerk ist, weil es Möglichkeiten nimmt, aber es tut der Kunsttheorie nicht gut, nicht zu definieren, was ein Kunstwerk ist, denn man sollte auf wisenschaftlicher Seite besser wissen, wovon man spricht.. Soweit meine krausen gedanken am Sonntagnachmattig.

Liebe Grüße zurück
Max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.07.2006, 17:05

Lieber Max,

laß dir Zeit.
Es ist ein interessanter Dialog und ich habe den Vorteil von Jahrzehnten des Nachdenkes darüber, also eine lange Zeit, die am Anfang natürlich auch keine schnelle Antwort hatte.

moshe.c

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.07.2006, 17:09

Ganz kurze Nachfrage: Kennst du Beuys und sein Wirken?

Wenn du Fragen hast....zum Vertsändnis über das Allgemeine der üblichen Quellen hinaus...

moshe.c

Max

Beitragvon Max » 23.07.2006, 17:12

Lieber Moshe,

ein wenig gedacht und diskutiert darüber habe ich auch - auf unterschiedlichen Seiten: einmal muss man Beuys (oder Picasso) gegen den Vorwurf des Scharlatanismus verteidigen (wobei es der Zweitgenannte einfacher hat, der "konnte ja malen" ; sowas bringt mich regelmäßig auf die Palme), ein ander Mal hat man (habe ich) das ungute Gefühl an der Nase herumgeführt zu werden, ein Risiko, das man vielleicht eingehen muss.
Vielleicht für den Moment die Frage: Siehst Du, seht Ihr auch die Diskrepanz zwischen den Anforderungen der Kunst (große Freiheit) und der Kunstwissenschaft (begriffliche Klarheit) wie oben geschildert?

Liebe Grüße
max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.07.2006, 18:41

Hey Max,
was deine Frage angeht bin ich nicht firm und verfolge das auch nicht. Von Kunstwissenschaft verstehe ich übernichts.

Ich sehe es so: Kunst ist weiterhin Kunst. Schlechte Kunst gab es immer.
Beispiel: Das Gedicht von Pan 'nightswimming' (ganz aktuell) ist für mich Kunst, Lyrik. Ein guter Zeitungsartikel ist weiterhin keine Lyrik. Soweit sehe ich Klarheit.

Weiterhin sehe ich Klarheit darin, daß sich das Paradigma, was Kunst ist, sich insofern geändert hat, daß es nicht mehr DIE Kunst gibt, also eine Strömung. und somit mehr Vielfalt ins Spiel kommt. Damit eine Demokratisierung (Beus läßt an dieser Stelle Grüßen, fing aber nicht mit ihm an). Es gibt heute verschiedene Auffassungen/Parteien von Kunst, so wie es heute ja auch nicht mehr einen König/Herrscher/Führer gibt.
Dadurch entsteht eine Verunsicherung, was denn nun Kunst sei.
Für mich ist Kunst etwas, was über den Gegenstand, Bild, Text, usw. hinausweist, auf etwas weist, daß im Gegensatz zum einfachen Begriff oder einer Berichterstattung, sich mir darüberhinaus erschließt.

Wenn ich jetzt ganz genau werden will, dann ist Kunst etwas für mich, das über mein gegenwärtiges Bewußtsein hinausreicht, etwas spricht, was ich nicht sprechen oder sagen konnte oder kann, aber doch da ist.

Uff, ich könnte da noch weiter, aber es würde mich erstmal interessieren, ob du mich noch verstehst.

moshe.c


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