neue mitte

[Thomas Milser]

thomas milser
25/VII/2004

neue mitte

oder:
reise ans ende der fernsehlandschaft.
ein kurzausflug.


in den hinterzimmern der studios
schachern sie schon wieder
um die besten plätze.

nicht ganz nach vorne,
nein, da könnten sie was abbekommen.
und hinten riecht es

zu sehr nach urin.
und außerdem kotzt da regelmäßig
einer in die ecke.

in der geschützten mitte,
ja, da sitzen die guten voyeure,
und fressen mitgebrachte butterbrote.

und schauen kauend dem chinesen zu,
wie er der kobra, eine hand am kopf,
bei lebendigem leib die haut abzieht,

und wichsen.

[rockandrollhexe]

Lieber Thomas,

erinnert mich an die Talk-Shows, in denen ewig die gleichen Politiker sitzen, sich profilieren,
eine Menge quatschen und doch absolut nichts zu sagen haben. I
ch habe dann auch immer so ein Würgen in mir...

Liebe Grüsse
rockandrollhexe

[Thomas Milser]

Hi R&Rhexe,

mir gingen eher die Talk-Shows mit diesen bezahlten Vollprolls durch den Kopf, die sich vor Publikum inszenierte Ehestreits liefern. Und die sich Millionen anderer Volllprolls angucken, um sich langsam aber sicher zu einem Heer von Hobby-Psychologen zu entwickeln, dessen Gefährlichkeit durch die Mischung von Dummheit, Ignoranz und vermeindlichem Wissen noch immer unterschätzt wird. Das wird uns (soziale) Gesellschaft noch mehr beschäftigen, als uns lieb ist.

"Der Schlaueste ist nicht imstande, gegen den Dümmsten etwas auszurichten"

Tom

[rockandrollhexe]

Wo ist da der Unterschied zu den Talk-Shows mit den Politiker-Vollprolls, die uns verarschen?
Du hast natürlich vollkommen recht und ich habe dein Gedicht schon richtig verstanden.
Ich wollte mit meinem Kommentar nur ausdrücken, dass mir beim lesen eben auch,
oder vor allem, diese Poltiker-Selbstdarstellungsshows durch den Kopf gegangen sind.
Wenn ich mir die Einschaltquoten derartiger Sendungn anschaue, frage ich mich,
ob das Volk verblödet werden will? Mir wird Angst und Bange.

Liebe Grüsse
rockandrollhexe

[Thomas Milser]

Mir auch.

[moshe.c]

Ich verstehe dieses Bangewerden sehr. Ich habe da beim Lesen des Textes ein unentfernbares Gefühl in der Magengegend, das sprachlos ist und wächst, und nur Hilflosigkeit hervorbringt. Trauer und etwas Vermissendes, das dem entgegentritt, aber nicht kommt. Auch ein Überrolltwerden, Bestimmtwerden von Kräften, die Heimat entziehen.

Anscheinend anziehend und unentrinnbar.

(War das nicht schon mal?)

moshe.c

[Thomas Milser]

Moshe, dein Kommentar ergreift mich. Es scheint anzukommen, was ich sagen wollte... Und übertragbar ist es auf jede andere schleichende Katastrophe anscheinend auch. Danke Euch.

Tom.

[savage]

Ich kann mich nur meinen Vorschreibern anschliessen.
Auch mir wird Angst und Bange, wenn ich daran denke,
wie die Entwicklung möglicherweise aussieht.
Guter Text, Thomas. Ich könnte mir vorstellen,
dass er auch steyk gefallen würde,
der ja ein Freund von kritischen Texten ist.

savage

[Lisa]

Lieber Tom,
dieser Text trifft durch den Ton direkt ins Schwarze. Hart, aber genau so ist es. Und der Titel spielt noch mit mehr. Sehr gut!

Zudem finde ich an deinen Texten oft sehr gelungen, dass sie gesellschaftliche Probleme fokussieren und treffen, ohne an eigenem Stil zu verlieren bzw. nicht mehr darauf zu achten. Bei vielen Texten wird die Form bei solchen Themen oftmals vernachlässigt und es tut gut Texte zu lesen, bei denen dies nicht der Fall ist!

Liebe grüße,
Lisa

[Thomas Milser]

Danke Euch beiden.

Oft gelingt es, die kleinen, aber feinen Alltagskatastrophen ins Humorige zu drehen und mittels satirischer Überzeichnung ins Bewusstsein des Lesers zu rücken (Kolumnen). Bei den wirklich ernsten Dingen sträubt sich bei mir aber etwas derart, dass es nur noch über die harte Schiene geht. Ich hoffe, dass eine gezielt eingesetzte Fäkalsprache bei Einigen hier nicht zu Empörung oder Ablehnung führt. Aber manchmal meint 'Popo' eben nicht dasselbe wie 'Arsch'.

Tom.

[Gast]

Keine Bange Tom..., mich bremst derzeit nur die Hitze ein wenig und die Arbeit...

Gut auf den Punkt gebracht...

Wir sollten nicht den Kopf hängen lassen, oder gar "Vogel-Strauß-Politik" betreiben, sondern so wie du kritsich dagegen anschreiben, reden und malen und, und, und... leder nach seinen Möglichkeiten heftig dagegen "anstinken"

Danke fürs Aufrütteln
Liebe Grüße
Gerda