Vigilien

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 17.07.2006, 16:21

Vigilien*

Seit dir

schlägt Pik
in meiner Brust

zur Nacht

wild
voll anmutigem Schmerz

bitter getränkt
mit den Tropfen
der Violen

poliert
um den abgesprochenen Sternen
zu leuchten

Der Tag?

Ein Irrlicht



* Vigilien = Nachtwachen

(Titel vorher Leben - Vigilien)
Zuletzt geändert von Lisa am 18.07.2006, 13:20, insgesamt 2-mal geändert.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 17.07.2006, 18:14

Du berichtest
von sehr tiefer
Kenntnis im Hier.


moshe.c

Cara

Beitragvon Cara » 17.07.2006, 18:28

Seltsam, Moshe,

für mich klingt Lisas Text eher so,
als käme er ganz woanders her als vom "Hier".

Vielleicht verstehe ich dich auch falsch.....


LG
Cara

aram
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Beitragvon aram » 17.07.2006, 18:43

liebe lisa,

das empfinde ich als sehr intensiv.

zugleich fühlt es sich so an, als würde sich das lyr.ich diese realität auch bewusst so konstruieren
fast wie, um 'auch etwas schönes zu haben'...

gebunden um das eine, unfreiwillige
die mühe, bruchstücke zu halten...und treue.

du malst überzeugend eine durchgängige realität,
eine all-tägliche unmöglichkeit
unerlösten schmerzes

die ein-lösung des schmerzes wäre der verlust der treue, des letzten erhaltenen-
die spannung kommt so an einen punkt, wo irgendwann
nur noch bewusst-losigkeit folgen kann...
ein fallen

und doch kann es so lang dauern, so stabil bleiben
all dies fließt dem schmerz mit zu

das sind so meine assoziationen, vielleicht ist es für dich auch ganz anders...

liebe grüße,
aram
Zuletzt geändert von aram am 17.07.2006, 18:44, insgesamt 1-mal geändert.

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 17.07.2006, 18:44

Liebe Lisa,

wie so oft bei deinen Texten kann ich sie beim ersten Lesen irgendwie immer auf einer ganz elementaren "Suggestionsebene" empfinden. Ich lese dann nur auf Assoziationen hin und es entsteht entsprechend eine Stimmung (hier eine Art Verdunkelung... na, ich will es erst gar nicht versuchen zu beschreiben). Erst dann erfasse ich überhaupt den Sinn, was natürlich nochmal einige Feinheiten hineinbringt. (Und habe das Gedicht selbst dann, selbst jetzt noch nicht vollkommen verstanden.)
Ja, und danach beginnt das Analysieren, weil ich wissen will, wie denn diese Empfindung zu Stande kommt. Noch halte ich mich damit aber zurück und sage erst mal auch sonst weiter nichts.

:daumen:

l

Max

Beitragvon Max » 17.07.2006, 21:32

Liebe Lisa,

was ich an Deinen Gedichten mehr schätze als an den allermeisten hier ist die Originlaität der Bilder. Eine Spielkartenfarbe in der Brust schlagen zu lassen finde ich einen bemerkenswerten Transfer. Die Tropfen der Violen habe ich erst falsch verstanden, weil für mich Violen Bratschen waren, nun aber höre ich, es können auch Veilchen sein,

Verrcükt ist, dass das geht, dass so ein Pik, ein umgedrehtes, schwarz geschmerztes Herz, wenn man es nur recht poliert, den Sternen leuchten kann, so dass selbst sie wieder leuchten.

Allerdings von der Tagseite her weiß ich, dass auch dieser einen Kern an, nichtt nur Irrlicht ist.

Ein ganz großartiges Gedicht!
Max

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 17.07.2006, 22:02

Hallo Lisa,

ich musste bei den ersten beiden Zeilen an Sting (Shape of my heart) denken. Dann kamen aber die anderen Farben (Spielkarten) nicht mehr vor. Was ja auch nicht nötig ist.

Du scheinst über eine irgendwie verquere Liebe zu berichten. Eben eine, die, wie Max richtig andeutete, das Herz in ein Pik umkehrt.

Obwohl ich vom Gefühl her mit dem Gedicht sympathisiere, habe ich es noch nicht verstanden. Aber vielleicht darf ich ja noch ein wenig darüber nachdenken.

Grüße

Paul Ost

Trixie

Beitragvon Trixie » 17.07.2006, 22:11

Ich schließe mich allen Kommentaren vorbehaltlos an und damit noch ein wenig Trixie dabei steht: Ein ganz großes Gedicht. Doch sind es nicht gerade die ganz großen Dinge, die man nicht versteht? Die Liebe, das Sein, das Universum, dieses Gedicht :cool: ...

universelle Liebesgrüße, Trixie

Schwanenschrei

Beitragvon Schwanenschrei » 17.07.2006, 22:36

Servus Lisa,
teilweise einfach affengeil formuliert.

>Seit dir/schlägt Pik/in meiner Brust
Genial, sowohl von der Symbolik des Pik im Gegensatz zum Herz, als auch von der Vorstellung: Seit du hier warst, ist mein Harz schwarz und dornig.

Auch der Rest ist stimmig und gut bildreich beschrieben.

Den Titel finde ich allerdings etwas beliebig gewählt.

Viele Grüße!

Gast

Beitragvon Gast » 18.07.2006, 00:09

liebe Lisa... erst einmal: Du berichtest natürlich nicht, sondern schreibst Poesie... und was für welche :antwort:
...und dennoch, ich habe ein wenig zu mäkeln, der Titel, das wurde schon erwähnt: zu beliebig - in diesem Fall vielleicht darüberhinaus auch zu "speziell". Dann dieses: Seit dir
da dreht sich mir alles um
Ganz abgesehen davon, ob das grammatisch überhaupt geht... wir nehmen uns ja gewisse Freiheiten beim Lyrikschreiben, frage ich mich : Ist das zeitlich, örtlich oder wie gemeint :frage:
Ich weiß, was du sagen willst, aber ...
Wäre es nicht besser zu schreiben: Seit du...
schlägt Pik
in meiner Brust

Das Bild des "Pik" ist großartig ja... aber kann etwas, das bitter getränkt ist gleichzweitig auch poliert sein?
Zu viel scheint mir für die wenigen Z.eilen
Ich wage diese Kritik, obwohl ich wahrscheinlich die Einzige bin... die dein Gedicht trotz der Großartigkeit nicht rund findet...

Noch eines, liebe Lisa, du hast dir angwöhnt, deine Gedichte zentriert zu setzen. Das sieht in der Regel gut aus verführt aber manchmal leider dazu, den Text schon wegen der Aufteilung nicht mehr kritisch genug zu lesen...
Vielleicht nur Spinnerei von mir...
Wichtig sind die Zeilenumbrüche und Leerzeilen eines Textes, es sei denn, die grafische Aufbereitung verstärkt den Text... oder korrespondiert...


Liebe Abendgrüße
Gerda und Bild

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 18.07.2006, 00:33

Die Überschrift :smile: , ist der Schlüßel für das Verständnis dieses Textes, wenn er denn schon sonst nicht verstanden werden will.

Danke Lisa, daß du den Moment für die Situation so gut gefaßt hast.

moshe.c

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.07.2006, 11:51

Hallo ihr,

wow, danke für diese tollen und ausführlichen Rückmeldungen...falls ich eine Frage übersehe, bitte noch mal erinnern!

Cara & moshe: ihr habt beide ein wenig recht ...das 'seit' dir erzählt von Vergangenem (die Perspektive ist also in die Vergangenheit gerichtet, dort "verhaftet", aber erzählt im Jetzt......sozusagen die Vergangenheit im Jetzt (ohje, ;-) ).

Aram: Ich kann im Grunde nur sechsmal riesengroß und wahr "ja" schreiben. Ich wünschte, ich hätte deine Begabung texte zu lesen, das ist wirklich außergewöhnlich (ich will damit nicht sagen, dass mein text toll ist, sondern, dass ich mich in deiner Lesart wiederfinde). Jeder Punkt, den du beschrieben hast, steckt als Geschichte in dem Text. Für mich gibst du dem Gedicht für mich einen Sinn...danke aram! (Die Antworten auf deine Kommentare fallen dadurch vielleicht zu kurz aus, aber was soll ich machen, wenn es nur Ja's sind?) Vielleicht ist das, was ich gleich gerda schreibe noch für dich wichtig.

Lichel: Das, was du suggestionsebene nennst ist genau das, wie ich mir texte, die ich meine tiefer zu verstehen, immer erschließe...ich glaube, das ist der geheime Schlüssel, einen anderen gibt es gar nicht. Daher bin ich mir sicher, dass du das wichtigste schon gelesen hast. Zu allem anderen kann man ja Fragen stellen, vielleicht kann ich sie beantworten :pfeifen: )

Max: tausend Dank! ....das ist natürlich schön, dass gerade dir es sog gut gefällt. :love:

Trixie: danke...wie immer :banana_1: ;-)

Schwanenschrei und gerda zum Titel: Hmmm...also den Titel schätze ich für mich eigentlich. E. T. A. Hoffmann schrieb seinen goldenen Topf aus Zeitgründen komplett in der nacht, die einzelnen Kapitel heißen daher Vigilien. Für mich ist das Leben des Ichs hier nur ein Leben, ein Wachen in der nacht, daher der Titel. Ich werde sogar den Titel noch unspezifischer machen und das „Leben“ streichen ;-), gestern war ich dazu nur noch nicht mutig genug...aber das Wort sollte den Sinn schon transportieren. Mir gefällt das einfach, weil ich mit diesem Wort so viel verbinde...

Gerda: Erst einmal: Ich freue mich doch immer, wenn du mir solche genaue Rückmeldungen gibst, dafür sind ja hier...ganz ehrlich...und die Anzahl anderer Rückmeldungen sagt nun nicht wirklich etwas aus, gerade, wenn das statistisch noch nicht einmal auszuwerten wäre, weil es eine viel zu kleine Menge wäre. Ich finde das wirklich sehr sehr hilfreich....immer her mit solchen Gedanken!!

Zu dem seit...hm...dass sich dir dabei alles umdreht ist nicht so toll *grins*. Interessanterweise zielst du hierbei aber auf die einzige Stelle, die zunächst anders dort stand. Ursprünglich hießen die beiden ersten Zeilen (es waren zwei statt einer):

Seit es dich gibt / seit es meine Mutter* gibt
(und das ist seit meiner Geburt)


ich finde ja diese Zufügungen in Klammern reizvoll, aber sie geben dem Text was erzählerisches, was viele schwer nachvollziehen können, zudem ist der Rest des textes eher sehr knapp erzählt, daher passte es mir nicht...die zweite Strophe aber einfach zu streichen - dann wirkt für mich die erste Zeile nicht mehr ...ist seit dir wirklich so schlimm (es ist zeitlich gemeint...). Über die Stelle diskutiere ich gern noch, sie ist vielleicht noch nicht ausgelotet. Aram, was sagst du zu den Varianten?

Zu dem anderen, gerda, kann ich nur sagen, dass es für mich einen bildlogischen Zusammenhang gibt...das Tränken und das Polieren sind zwei verschiedene Momente, die zeitlich und räumlich weit auseinanderliegen (erst getränkt (innen) und nach einer Ewigkeit (die schon im nächsten Moment sein kann) außen poliert...das sind quasi zwei seiten des Pikherzes...weil es um zwei verschiedene Dinge gibt...vielleicht ist das für andere nicht herauszulesen, was schade ist, für mich stimmt es aber...deine Kritik ist dann antürlich trotzdem berechtigt. Danke für den Hinweis...ich kann es nur nicht ändern.

Zum zentriert: ich habe früher meine Texte nie zentriert gesetzt, nicht darüber nachgedacht, durch das Forum, als der Wunsch nach dem Befehl auftauchte, probierte ich es in word einmal aus. Seitdem sind alle neuen Texte, die ich eingestellt habe, zentriert einfach richtig, die gehören so....ich weiß nicht, warum...es sieht einfach "richtig" für mich aus. Es kommen bestimmt auch wieder texte, die nicht zentriert sind...meine zentriert-phase sozusagen :hut0039:

Noch mal moshe: danke, ja das stimmt für mich (zum Titel)...mir gefallen deine kurzen, tiefen, intuitiven schlagzeilen mit gedankengut...

Danke für diese tolle, intensive Textarbeit, vielleicht kriegen wir das mit der ersten Zeile ja auch noch hin,
liebe Grüße,
Lisa

* bitte wieder nicht mich als lyr. Ich lesen

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 18.07.2006, 12:27

Ich sag dann auch noch mal was.
Zum Titel: also, ich hätte eher einen Besen gefressen, als zu glauben, du hättest gerade diesen Titel "beliebig" gewählt. Das kommt mir - gerade wegen des Fremdwortes, das du ja auch noch erklären musst! - sehr unwahrscheinlich vor. Wer weiß, dass es sich bei Vigilien auch um eine Nachtwache im Sinne von Morgengebet handelt, ist gleich in der Atmosphäre "drin". Rätselhaft war mir nur der Bindestrich zwischen Leben und Vigilien: ist dieser ein Gleichheitszeichen, ein Doppelpunkt oder wirklich ein Binde-strich? Jetzt ist Leben ja weg und du hast die Bedeutung auch ungefähr umrissen.

Mit dem "Seit dir" habe ich keine Probleme; es umfasst eben alle "seit du "; das ist schon richtig.
Mal was zu dem zitierten Bild vom Pik. Was mich an diesem Bild so fasziniert, ist nicht nur, dass es wirklich perfekt funktioniert, sondern dass du so mutig warst, es zu benutzen! Wenn ich mich vorstelle, ich schreibe ein Gedicht und denke mir: "Hey, wie wär's mit Pik anstatt Herz?" - Das würde ich mich nicht trauen! Aber durch die späteren Bilder ist es absolut gerechtfertigt ("anmutiger Schmerz", "bitter getränkt", das passt schon).

Das mit den "Violen" ist natürlich unglücklich, wegen der Doppelbedeutung. Meine erste Assoziation war ja auch Bratsche, die "Tropfen" hatten mich dann verwirrt. Dann kam Veilchen... aber tropfen denn Veilchen? Da kann ich mir schon eher vorstellen, du würdest damit eine traurige Melodie assoziieren. Nun lese ich aber, dass Veilchen nicht nur ein Symbol der Liebe und des Schattens ist; es steht auch noch für die Trauer um den Tod Christi, was uns vielleicht wieder zu den Vigilien bringen könnte. Trotzdem lese ich das jetzt musikalisch, dann wäre der Gegensatz zum "poliert sein" auch nicht so stark. Dann braucht man auch nicht die ganze Symbolik, und Violaklänge als tränkende Tropfen darzustellen, gefällt mir mittlerweile sowieso sehr sehr gut.
Die Idee, den Sternen selbst zu leuchten (was für eine Anmaßung!), ist wiederum herrlich umgesetzt. Für mich immer noch rätselhaft ist das "abgesprochene"; hier gibt es ja schon zwei wörtliche Bedeutungen, die beide nicht ganz passen wollen. (Ich hätte da noch eine ganz abwegige Deutung, die aber auch erklärt, warum man das "Herz" noch polieren muss... aber das lasse ich lieber).

Das zu den Bildern. Formal hängen mal wieder die unterschiedlichsten Bilder an dem dünnsten Faden der Poesie, ohne Satzzeichen steht nie wirklich fest, was sich auf was bezieht... aber das ist eben das Geheimnis des Textes.
Was aram gesagt hat, finde ich sehr schön. Gerade der Kontrast zwischen Tag und Nacht... Das lyrische Ich ist sich ja auch aller Gefühlsregungen bewusst, verschmäht den Tag als Irrlicht und gibt sich ganz dieser dunklen, bitteren Liebe hin (bitter ist hier das Zauberwort, meiner Meinung), hält diese aufrecht...
Nur das mit der mühsam zusammengehaltenen Treue wollte sich mir nicht ganz erschließen... ich lese das irgendwie mit mehr Distanz zwischen lyr. Du und Ich, sehnsüchtig. Aber da ist wohl jeder anders.
Durch die von dir eingestellten ursprünglichen Anfangszeilen bin ich jetzt aber ordentlich verwirrt. Mit einer "Mutter" hatte ich das nun gar nicht in Verbindung gebracht!


Ach, eine Sache noch. Gerda meinte ja, dass hier "zu viel" auf zu wenige Zeilen verteilt wäre. Das kann ich zwar nachvollziehen, finde aber wie gesagt die Wirkung durch das Gegeneinanderstellen dieser Bilder viel zu gut, als hier irgendwas zu sagen. Nur mit dem Ende will ich mich noch nicht anfreunden. Der Tag taucht hier ganz plötzlich auf, dazu noch in neuer Form, ein Fragezeichen auch noch... wirkte auf mich fast aufgesetzt, obwohl die Aussage natürlich wieder ins Bild passt (schön auch von "leuchten" auf "Irrlicht")... es soll wahrscheinlich so lapidar sein, der Tag wird "nebenbei" abgetan... na ja...
Zuletzt geändert von lichelzauch am 18.07.2006, 13:28, insgesamt 6-mal geändert.

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Beitragvon leonie » 18.07.2006, 12:29

Liebe Lisa,

ich komme mal wieder it dem Kommentieren nicht nach. Hier von mir auch ein großes, großes Lob.
Mir geht es auch so, dass ich mich vielen Deiner Texte nur intuitiv annähern kann, aber das sehr, sehr gerne tue! Sie sind etwas besonderes!

Liebe Grüße
leonie


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