Das Bett

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 05.07.2006, 03:20

Das Bett

Ich liege nackt im Bett. Die tausend Decken,
die mich so angespannt berühren, sie sind
nur Hüllen, sinkendes Gewand. Kein Wind
wird durch die Kleider fahren, ich will verbergen,

Was mir nicht bewusst. Schon viele Tage schlief ich,
beseelt allein von diesem Dämmerlicht –
bewacht von dunklen, angstvollen Gedanken,
im Traum nur schwinden meine letzten Schranken.

Kein Mensch, der nicht im Schlaf Erfüllung findet,
doch rastlos ist der Geist, geht als Gespenst umher –
Ich suche den, der mir die Augen bindet.

Die Nacht, sie breitet ihre schwarzen Laken aus.
In jeder Ecke scheint ein wildes Tier verborgen,
nie mehr verlass’ ich mein gewebtes Haus.

Nihil

Beitragvon Nihil » 05.07.2006, 12:44

Hallo Falschmünzer,

mir gefallen deine Zeilen, auch diese Ode an die einzig seligmachende Gottheit, welche der selige Morpheus ist .. Du kannst Dir ja mal "Apothekerin" in der Hörbar anhören - ganz ähnliche Thematik ..

mfg & allzeit sanften Schlummer

Nihil

P.S.: Lisa, das war Beitrag Nummer eins! :grin:

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 05.07.2006, 22:32

Lieber falschmünzer,

ich habe alle deine Texte, die es bisher im Salon zu lesen gab, sehr aufmerksam gelesen. In ihnen schlummert unglaublich viel und die poetische Form gefällt mir sehr.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bei diesem Text zwar erkenne, dass es sich um ein Sonett handeln könnte – genauer darauf eingehen kann ich aber leider nicht. Ich kenne mich schlichtweg zu wenig damit aus. Daher weiß ich nicht, ob der Aufbau, gerade was den Reim angeht, freier gehalten ist oder einer bestimmten Form folgt. Alle meine formalen Anmerkungen sind also rein intuitiv, falls sie bestimmten Gesetzen widersprechen, kläre mich also auf :-).

Eigentlich habe ich, was den Rhythmus und Lesefluss angeht, auch nur an einer Stelle Probleme, nämlich hier:

bewacht von dunklen, angstvollen Gedanken,
im Traum nur schwinden meine letzten Schranken.
Statt (ich argumentiere jetzt mal mit Silben statt mit Xx Metrum, weil es mir hier wirklich um Silben geht) diesem hier

Bewacht von zweisilbig (dunklen), dreisilbig (angstvollen) dreisilbig (Gedanken)

will ich immer lesen:

Bewacht von dreisilbig dreisilbig

Diesen Rhythmus fände ich gelungener. Ansonsten kann ich der Lesart sehr folgen und empfinde sie als den Inhalt untermalend.

Formal habe ich damit nur noch eines anzumerken, was mir aufgefallen ist: Strophe drei und vier klingen für mich beide wie Schlussstrophen, die sich beide, was ihre Wirkung angeht, den Rang ablaufen. Das wirkt ungewöhnlich.*

Inhaltlich hat mich der Text total eingenommen, ich finde, das du die Stimmung, die das Ichs dazu bewegt, unter den Laken zu verweilen, sehr klar zeichnest und du schaffst es, das bedrückende Gefühl, dass dabei vorherrscht (die Angst und die Vermeidung) mit deinen Bildern in mir wachzurufen.

Überhaupt finde ich das gewählte Bild toll, es mischt dem Grundton (das nicht wissen wollen, das Fürchten, das erdrückt und doch nistend Sein) zwei Farbeinschläge hinzu: Dass der Liebe und das des armen Poeten.

*Gerade merke ich, dass diese beiden gegeneinander stehenden Strophen vielleicht auch zusammenspielen, denn der Text erzählt das unter den Laken liegen ja unter zwei Gesichtspunkten (wach =sehend, aber vom Verstand getrieben, schlafend = schrankenlos, träumend, aber blind).

Insgesamt also ein mit besonderen Bildern gezeichnetes Bild des Menschen zwischen Traum – Albtraum – Wachen und Angst, Verstand und Verstecken und Träumen, das – für mich - Lichtkegel auf die Art zu lieben und zu schaffen wirft.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 06.07.2006, 13:30

Hi Falschmünzer,

ich sollte zugeben, dass mir die Interpretationen mein Vorgängersehr geholfen haben, mich diesem Text zu nähern. Alleine hätte ich wohl größerer Schwierigkeiten gehabt.

Was mir formal auffällt ist neben dersehr gelungenen Sonettform, dass mir manche Reime merkwürdig schwach vorkommen, z.B.

schlief ich- Dämmerlicht

oder

decken- verbergen


Vielleicht ließe sich da noch was machen?

Liebe Grüße
Max

Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 07.07.2006, 14:41

Ich danke euch sehr für euere "gründlichen Einschätzungen"!

Die Bemerkungen von dir, Lisa, finde ich sehr stimmig
und ich danke dir für das Lob. Tatsächlich ist der Rhythmus
in Strophe 2 / dritter Vers nicht korrekt im Sinne des Sonetts.
Ich wollte diese Zeile besonders betonen, indem man beim
Lesen bzw. Sprechen förmlich darüber "stolpert".
Vielleicht ist dir auch die Wortwiederholung von "verbergen"
und "verborgen" aufgefallen, die ich ebenfalls bewusst gewählt
habe, um das Verhältnis von Verdrängung und "Ausbruch des
Unterbewussten" ("wilde Tiere") zu intensivieren.

Auch Max hat vollkommen Recht mit den schwachen Reimen,
zunächst haben mich diese auch gestört. Dann ist mir aber
aufgefallen, dass sie die Intention unterstützen, durch ihre
abgeschwächte, traumhafte, quasi losgelöste Form.
Zwischen der sehr strengen Form des Sonetts steht der Inhalt
ganz klar im Widerspruch. Ich hoffe, dieses Spannungsfeld
kommt beim Leser auch so an.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 7 Gäste