Da geh' ich hin

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 28.06.2006, 13:49

An einem leichten Sommerabend, bei der Sonne Untergang
verlasse ich das Haus und höre das erste Hundebellen,
gehe durch den stillen Ort, vorbei an den plätschernden Quellen,
vorbei auch da, wo so mancher Mann sich labt an des Wirtes Trank.

Mein fernstes Sehnen zieht mich zu Meeresspiegel und Mondeswellen
über des Dorfes Rand, raus, immer den staubigen Pfad entlang,
über die goldene Brücke, wo die Grille dem Dichter sang,
wo er als Meister errang den Siegeskranz mit Verses Ellen.

Welch altes Wissen fließt durch die freie Seele in's neue Siel,
und füllt mit seinem freudig Sprudeln neu den alten Minne - Traum,
vertreibt was lag auf dem Worte, gleich einem trauernden Flaum.

Da baumelt mein liebstes Boot dann tief gegründet in dem Priel,
fest verankert an Gestaden von Unendlichkeit, Zeit und Raum,
und erlernt in hellem Menschen - Spiel zu wachsen wie ein Baum.

------------------------------------------------------

Ist aus meinem alten Ordner, aber da derzeit hier viel über Zeiten und Gründe des Schreibens geschrieben wird, denke ich es passt.

moshe.c
Zuletzt geändert von moshe.c am 01.07.2006, 16:42, insgesamt 2-mal geändert.

Louisa

Beitragvon Louisa » 28.06.2006, 14:04

Hallo Moshe!

Das ist ein Sonett oder? Es gefällt mir sehr gut. Du hast viele schöne Worte gefunden, die ich lange nicht gelesen habe.

Zum Beispiel: Siel, Mimen, Priel, Gestaden....

Manches hört sich schon ein wenig altherwürdig an, zum Beispiel:

vorbei auch da, wo so mancher Mann sich labt an des Wirtes Trank.


...aber das kann ja auch ganz schön sein. Mir gefällt dieser kleine, lyrische Spaziergang zum Hafen!

Das Ende ist sowieso wieder sehr gut! Es ist kosmisch... O:)

Sternengrüße, louisa

Max

Beitragvon Max » 28.06.2006, 20:15

Hallo Moshe,

ein Sonett, ein Sonett (Moshe wir danke Dir .. ).

Tasächlich kommen einige Zeilen (gerade die von Louisa zitierte) ein wenig altehrwürdig daher - soooo lang kann das Gedicht doch gar nicht in dem alten Ordner gelegen haben ;-) - aber das finde ich nicht so tragisch. Schwieriger finde ich bei einem Sonett, wenn das Metrum holpert und das ist mir beim lauten Lesen schon gelegentlich aufgefallen (u.a. auch wieder in der von Luisa zitierten Zeile).
Könnte man nicht ein wenig umstellen, dass das Metrum besser passt?

Liebe Grüße
max

PS: Für das Ausgraben des Wortes "Siel" danke ich Dir, das kommtnoch aus meiner Kindheit.

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.06.2006, 00:36

Hallo Louisa und Max!

Das 'Altehrwürdige' liebe ich manchmal, weil es zeigt Wurzel, und das ist überhaupt nicht tragisch, sondern ist oft, vielleicht zu oft, im Bereich der heutigen Lyrik vergessen. Die deutsche Sprache hat da sehr, sehr viel Tiefe und Vielfalt zu bieten.

Max, kannst du mit dem Metrum mal etwas konkreter werden?

Louisa, Juden lieben gute Enden, aber du kannst das auch sehr, sehr gut. (Siehe oben, oder ist es jetzt unten??)

moshe.c

Gast

Beitragvon Gast » 29.06.2006, 08:09

Lieber Moshe, wenn du die Absicht verfolgst auch deinem Gedicht ein fließendes Sonett zu machen, dann schau doch mal in der Schreibwerkstatt unter Sonette...
Da sthet so allerlei zum Thema.

Liebe Grüße
Gerda

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.06.2006, 08:13

Gerda,
nun danke ich dir für einen Hinweis, werde ich heute machen, hatte das nicht registriert.

moshe.c

Max

Beitragvon Max » 29.06.2006, 16:49

Hallo Moshe,

ich bin ein wenig zu faul das gesamte Betonungsschema aufzuschreiben (manche haben die Geduld da Abfolgen kleiner und großer X'e zu schrieben, aber wenn ich es laut lese), dann stolpere ich bei

höre (da will ich " hör'" lesen)
den plätschernden - das hat einfach mindestens eine Silbe zuviel, vielleicht kann man das 'den' xxxxxxxxxxxxxxx streichen
so mancher Mann - so scheint mir zuviel
des Wirtes Trank - des scheint mir zuviel

vor Mondeswellen scheint mir eine Silbe zu fehlen, etc.

Hm, vielleicht mache ich doch mal ein X-Schema von Strophe1. das sieht bei mir so aus:

xXxXxXxXxXxXxXxx
xXxXxXxXxxXxXxXx
XxXxXxXxXxxXxxXx
xXxXxxXxXxXxxXxX

Man sieht, dass die Silbenzahl super passt, dass man aber einige Wörter arg gegen den Strich bürtsen muss, um zu einer einheitlichen Betonung zu gelangen. Ich vermute, das ist für die anderen Strophen auch so - da habe ich es nicht so gechekt.

Liebe Grüße
max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.06.2006, 17:31

Hallo Max,
danke für diese ausführliche Antwort.
Also mir kommt diese Diskussion sehr veraltet vor, aus einer Zeit, in der man sich nicht mit Tönen austauschen konnte, sondern nur über Regeln in der Betonung und darauf angewiesen war.

Wenn du die zwei Varianten von Lisa's Gedicht in der gelesenen Form hörst und miteinander vergleichst, wirst du unschwer erkennen können, daß man Betonungen gestalten und verschieben kann. Es gibt in meinen Augen und aus meiner Lehre als Schauspieler keine einheitliche Betonung, aber ein Versmaß, daß sich aus sich aus Silbenanzahl und Reim gestaltet. Folgerichtig hat mein damaliger Lehrer, der aus dem Kreis um Max Reinhardt stammte, mir nie etwas von Metrum erzählt, sondern es nur am Rande der geschichtlichen Entwicklung gestriffen.
Die geschichtliche Entwicklung des Metrum's zeigt dies doch auch! (Hinter deinem Rücken habe ich mich ein wenig sachkundig gemacht.)

Wenn ich es ein wenig verstanden habe, ist das Metrum eine Frage der Interpretation, wie in der Musik.
Bist du da nicht zu empiristisch?

Ich lasse mich gern anders belehren.

Mit liebem Gruß

moshe.c

Max

Beitragvon Max » 29.06.2006, 17:55

Lieber Moshe,

ich will dich ja nicht belehren.

Die Xe sollten ja nur unterstreichen, was ich gefühlsmäßig empfinde, wenn ich versuche, das Gedicht für mich zu lesen: es ergeben sich stellen, wo ich Vokale nicht mehr betonen mag oder Wörter weglasse, weil ich das Gefühl habe, dass es dann besser klingt (z.B die Stellen, die ich in dem letzten Posting genannt habe). Da ich als alter Naturwissenschaftler ungern rein emotional argumentiere, habe ich die Xe gemalt.

Vielleicht solltest Du es mal lesen, dass ich höre, wie Du es betont wissen willst.

Liebe Grüße
max

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.06.2006, 18:04

Vielleicht solltest du es ja mal lesen, damit ich höre was du meinst.
Ich lasse mich gern belehren, aber manchmal muß man mich echt in den Mist stoßen, bevor es klappt.

Ich kann da nicht anders.

In der Lesung von anderen Gedichten passieren mir auch manchmal Momente, wo ich das eine oder andere Wort plötzlich anders lese, dichte.

OK, Max, ich lese es morgen und sende es an deine E-Mail-Adresse.
Wegen deiner Bemühungen schulde ich es dir.

moshe.c

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.06.2006, 18:32

Nachtrag:

Mir fällt gerade etwas auf.

Befinden wir uns hier nicht gerade in einem klassischen Disput über Ausdruck, Erkenntnis und und 'Formelsuche' dafür?
Eventuell in einer Diskussion über Erkenntnis und deren Ausdruck auf der Suche nach der Objektivität, die es doch wohl seit Bloch und Satre, u.a., nur noch in relativer Form gibt?

moshe.c

P.S. Ich hoffe ich bin noch verständlich.

P.S. 2,: vielleicht über E-Mail, oder?

Louisa

Beitragvon Louisa » 29.06.2006, 19:22

Hallo moshe,
vielen Dank! Ich glaube jeder Mensch liebt ein gutes Ende, oder? O:)

Wie geschrieben: Ich mag die alten Wurzeln auch gelegentlich sehr gern. Das kommt ja auch gut an in letzter Zeit. Man denke nur an diese neuen Mittelalter-Bands, die zuweilen doch auch ganz schöne Liedchen fiedeln O:) !

Alte Grüße, louisa
Zuletzt geändert von Louisa am 30.06.2006, 18:25, insgesamt 1-mal geändert.

Perry

Beitragvon Perry » 29.06.2006, 20:19

Hallo Moshe,
ich bin kein Reimspezialist, aber mir gefällt der an die Minnezeit erinnernden Wortklang deiner Zeilen. In diesem Zusammenhang eine Anregung. Vielleicht wäre „Minne - Traum“ eine mögliche Alternative zu dem mehr auf die Schauspielerei zielenden Begriff „Mime.“
LG
Manfred

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 29.06.2006, 20:41

Hey Perry/Manfred,

das ist einer des besten Tips (Endschuldige meine neue Alterthümlichkeit), die ich je bekommen habe. denn damit bin ich im mitteleuropäischen Raum dichter am Wort, als mit den Mimen, die da erst später auftraten.

Ich korrigiere und Danke,

moshe.c


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