[verzwickte harmonie]

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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birke
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Beitragvon birke » 05.06.2025, 11:42

.
verzwickte harmonie
ein straucheln im hinterhof
peter geht seitwärts
in die geschichte ein
und paul hinkt hinterher
ich sehe die unschärfe der zeit
und der horizont verblasst
vor mir erstreckt sich ein land
eine straße durch den körper der stadt
in der ich einst wohnte
sie ist mir fremd geworden
ein glas aus stumpfen wörtern
ich kehre ihr den rücken
und wende mich dir zu
einem anderen gedicht
.
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

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jondoy
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Beitragvon jondoy » 05.06.2025, 23:48

der text wirkt auf mich ziemlich rätselhaft, ich könnte nicht sagen, was er da beschreibt,
die erste zeile lese ich als überschrift,
verzwickte harmonie,
also versuche ich diese beiden wörter als ´Motto´ für die nachfolgenden Zeilen zu verstehen,
aber was dann kommt, passt irgendwie nicht "zusammen",

schon bei den nächsten drei zeilen frage ich mich, ist das nur reine bildsprache und was hat sie zu bedeuten.
ich seh in meiner fantasie vor mir einen peter und einen paul in einem gedanklichen hinterhof aufkreuzen, als wären sie rein versehentlich in die geschichte, die dort anfängt, hineingeraten.
Dabei bin ich mir sicher, dass die autorin nichts versehentlich in ihre texte aufnimmt,
jedenfalls sehr rätselhaft für mich, peter seh ich als quereinsteiger in eine verzwickte harmoniegeschichte,
ich beweg mich da auf völlig brüchigem terrain, weil ich eigentlich überhaupt keine ahnung hab, was damit ausgedrückt werden will,
den nächsten satz les ich im ersten Moment fast politisch, aber das kommt nur daher, weil ich, wie so oft, falsch gelesen habe, ich lese die unschärfe unserer zeit.....dabei heisst es richtig die unschärfe der zeit...
damit ist dann wohl eher vielleicht die unschärfe der eigenen lebenszeit gemeint,
danach folgt so ein tranceartiger zustand, in dem das lyrische Ich in Bildern über sein Leben? nachdenkt,
es ist auf jeden Fall stimmungsmäßig raffiniert angelegt,
ich sehe die unschärfe der zeit
und der horizont verblasst
...und ich schließe die augen,
und tatsächlich, auch dieses lyrische ich sieht dann "einen film vor sich", also kopfkino,
auf jeden fall sieht es etwas, was irgendwie von der intension her wohl ein rückblick ist auf ´verzwickte harmonie´,
da blickt jemand wehmütig auf etwas, was sich in seinen "Augen", seinem Empfinden nach verändert hat,
schwer zu sagen was,
ich würde darauf tippen, dass sich etwas zu sehr angepasst hat .... an die verhältnisse....oder was auch immer,
das schwierige ist ja, an was denkt der text bzw. dieses seltsame wesen, das lyrische ich,
ich könnte auf eine konstellation zweier menschen tippen, es könnte sich aber auch um etwas anderes handeln, beispielsweise, dass man sich in einer Straße nicht mehr wohlfühlt, weil einem die dort lebenden Menschen fremd geworden sind,
dieses lyrische ich sieht vor sich ein land, eine straße, ein lebensumfeld, in dem es einst wohnte,
das ihm fremd geworden ist, und in einer kleinen zeile erklärt es, warum,
und die ist eindeutig eine metapher,
ein glas aus stumpfen wörtern,
das ist das, was ein phantasiebegabtes wesen im grunde fürchtet,
nein, hab keine ahnung, was es bedeutet,
keine katharsis heraufbeschwören, um die harmonie zu wahren,
das gegenteil von stumpf ist doch spitz,
vielleicht ist es eine anspielung auf eine innere zerissenheit zwischen dem wunsch nach harmomie und endlich mal die wahrheit sagen,
dann folgt eine wendung, wie ich sie für typisch in texten dieser autorin nennen könnte,
das lyrische ich wechselt in den texten mittendrin oft die perspektive durch zauberworte wie "wir" oder "du", womit sich oft der Sinn dreht, und damit der Mehrschichtigkeit alle Ehre verleiht, damit offen bleibt, ob das zuvor beschriebene nicht auch auch völlig anderes gemeint sein könnte,
hier spielt es mit worten, es benennt sogar, wem es sich zuwendet, einem anderen gedicht.....
nur bedeutet für mich ausgerechnet das wort "gedicht" in solch einem zusammenhang etwas völlig anderes, das würde ich hier nie wortwörtlich lesen, das mag zwar kirre sein, für mich ist es an dieser Stelle am Schluss geradezu das Codewort einer Metapher, was in einem anderen "gedicht" alles drin sein kann, was dass in einem auslösen kann, weiss ich mittlerweile, gedichte sind oft umschreibungen, mitunter bruchstücke aus einem anderen emotionalen kosmos, wenn mich etwas darin zufällig berührt, können bei mir beim lesen auch die funken fliegen.
Ich vermag die Essenz dieses Textes nicht zu entziffern, er wirkt auf mich ziemlich verquer. Dabei ist er leicht verständlich geschrieben. Es ist nur ein Feedback, ich brauche ihn ja gar nicht zu verstehen.

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birke
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Beitragvon birke » 06.06.2025, 10:00

wow, danke, lieber jondoy! da mag ich gar nichts weiter hinzufügen oder zu sagen, erfreue mich aber sehr an den gedankengängen und assoziationen. :) danke und liebengruß von mir!
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Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 06.06.2025, 10:10

Als ich es gelesen habe, habe ich für mich gleich die letzte Zeile umgewandelt in

wende ich mich dir zu
"in eine andere Zeit"

So ginge es für mich auf.

LG Epiklord

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birke
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Beitragvon birke » 06.06.2025, 11:35

danke sehr, epiklord! und könnte nicht vielleicht sogar mit dem gedicht /u. a. auch/ die zeit gemeint sein? zumindest impliziert, meine ich. :)
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OscarTheFish
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Beitragvon OscarTheFish » 11.06.2025, 15:08

Ist in dem Gedicht nicht ein wenig die Dramatik des Dichtens verklausuliert? Die Hoffnungen des Egos. Das Bröseln der Fassade, die C.G. Jung als Persona ("soziale Maske") beschreibt, die den Blick in die wahre Wirklichkeit noch schemenhaft verheimlicht, aber ein Erahnen initiiert?

Ein Reifeprozess aus dem eigenen Sumpf heraus in die Bewegungsfreiheit.
Ein paar ausgewählte Werke zur Stillung weiterer Neugier:
AKUTES ABDOMEN, OBWOHL WIR BLIND SIND, SCHMUSEREI, MUCH ADO ABOUT FUJI.
Gedichte von: Der beste Dichter der Welt und XRayFusion.


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