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Raumzeit
Verfasst: 12.03.2025, 21:28
von Amanita
meine Gedichte sind
innere Zimmer
die ich nicht abschließe
denn: wer mir nahe kommt
den muss ich nicht riechen
ich kleide mich täglich anders
in Worte – verschwenderisch oder karg
von Sandpapieren geschliffen oder
voll blumiger Pracht
niemand spricht mir hinein
wenn ich fremde Gedichte lese
erkenne ich: mein Wortschatz
passt in einen einzigen Koffer
den kleinen
für höchstens zwei Nächte
ich rolle ihn scheppernd
über buckeligen Asphalt
leichtes Gepäck mit Buchstaben
in Schatullen gebettet oder
eingeschlagen in Fettpapier – je nachdem
ich setze mich in mein Abendzimmer
gebe Geheimnisse preis – tilge sie wieder
manches verziere ich mit verliebter Hand
dann plötzlich der Blitz der Ideen frisst
und gebiert: Gebilde, Gebäude, ein Raum ein Reim
Verfasst: 12.03.2025, 21:41
von Pjotr
Sehr schön, kompakt, sinnlich, finde ich.
Nur die fünfte Zeile verstehe ich nicht. "Muss nicht" im Sinne von "kann nicht" oder "darf nicht"? Wer nah ist, den riecht man doch umso eher, vor allem, wenn die Tür offen ist?
Verfasst: 12.03.2025, 21:45
von Amanita
Die Menschen, die einem dadurch nahe kommen, weil sie ein Gedicht lesen, sind ja eigentlich meilenweit weg. Um diese besondere Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne geht es mir an dieser Stelle.
Verfasst: 12.03.2025, 21:45
von Amanita
Jedenfalls danke, Pjotr!

Verfasst: 12.03.2025, 22:19
von Pjotr
Amanita hat geschrieben:... sind ja eigentlich meilenweit weg.
Sollen die Worte "nicht riechen" darstellen, dass die Leser meilenweit weg sind? Das ist schwer zu begreifen, finde ich, weil "Nichtriechen" nicht automatisch "Ferne" bedeutet. Ich würde darauf nicht kommen. "Nichtriechen" kann auch Ekel an einem nahen Körper darstellen. Oder Nasenprobleme durch Schnupfen :-) Die Sinnlichkeit für die Ferne, die Du meinst, ist in dieser Strophe nicht spürbar, meine ich.
Verfasst: 12.03.2025, 22:25
von Amanita
Nein, "Sinnlichkeit der Ferne" nicht. Die Menschen kommen dem Dichter, der Dichterin nah, aber auf eine "abstrakte" oder einseitige Weise. Für "mich" eben völlig unsinnlich (was manchmal gut ist). Das dichtende Ich will, braucht die Einsamkeit, öffnet sich aber gleichzeitig.
Verfasst: 12.03.2025, 22:28
von Amanita
(Es muss aber auch nicht so bleiben. Änderungsvorschläge sind durchaus erwünscht)
Verfasst: 12.03.2025, 23:09
von birke
gefällt mir sehr!
zur besagten stelle, ja, das könnte missverständlich sein, vllt statt "riechen" eher "sehen"? oder aber/ und ein "können" ergänzen?
"... muss ich nicht riechen/ sehen können"
sodann die "inneren zimmer" - sind nicht zimmer immer - von der sache her - "innen"?
feines bild vom "wortschatz, der in einen kleinen koffer passt", das denke ich manchmal auch... aber das ist eben das wesentliche, das andere ist schon auch vorhanden ;)
ein sehr schönes gedicht!
lg, birke
Verfasst: 12.03.2025, 23:24
von Amanita
Liebe birke, danke fürs Mitdenken.
meine Gedichte sind
meine Zimmer
die ich nicht abschließe
denn: wer mir nahe kommt
der reist in meinen Gedanken
so vielleicht?
Verfasst: 13.03.2025, 00:23
von birke
ja! bisschen viel "meine" nur ;) klar sind es deine zimmer, da könnte "meine" aus meiner ;) sicht entfallen. vllt auch "in meine gedanken"?
(sehr schöne erste strophe so oder so!)
Verfasst: 13.03.2025, 09:40
von Amanita
Ja, sehe ich (natürlich) ähnlich. Vielleicht fällt mir noch was zu "Zimmer" ein. Die anderen "Meinen" braucht man m. E. aber schon.
Verfasst: 13.03.2025, 10:15
von birke
ach, die zimmer sind schon sehr schön als bild. und ja, die anderen "meinen" empfinde ich auch als stimmig und nötig.
Verfasst: 13.03.2025, 10:22
von Amanita
Liebe birke, die Zimmer bleiben ... nur das "Davor" könnte sich noch ändern :)
Verfasst: 13.03.2025, 10:26
von birke
ach so, ja, gut
