Ein Mensch

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Nikolaus
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Beitragvon Nikolaus » 27.08.2023, 18:15

Ein Mensch der mit Erfolg bestanden
die Prüfungen und wo vorhanden
Geschick, Gespür, fundiertes Wissen
und der nicht Empathie lässt missen,
dem öffnet man im tiefen Schmerz
den Mund und selbst das ganze Herz.
So ist im Ganzen sozusagen
vorteilhaft in Lebensfragen
ein Arzt. Er fühlt dann auf den Zahn,
so dass man schmerzfrei leben kann.

©NikolausKahlen
Ich lese Lyrik. Das spart Zeit.

(Marilyn Monroe)

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birke
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Beitragvon birke » 28.08.2023, 13:50

ohh, lieber nikolaus, verzeih, aber das ist mir viel zu verallgemeinernd, und zudem idealisierend, da sträuben sich mir ja beinahe die nackenhaare! ;) (von der form mal abgesehen, herz/ schmerz, im ernst? dann „zahn/ kann“: bisschen notlösung?)
einen ganz anderen klang bekäme es aus meiner sicht schon, wenn du das ganze von dir aus/ für ein lyrisches ich/ geltend formuliertest:


Ein Mensch der mit Erfolg bestanden
die Prüfungen und wo vorhanden
Geschick, Gespür, fundiertes Wissen
und der nicht Empathie lässt missen,
dem öffne ich im tiefen Schmerz
den Mund und selbst das ganze Herz.
So ist im Ganzen sozusagen
vorteilhaft in Lebensfragen
mein Arzt. Er fühlt mir auf den Zahn,
so dass ich schmerzfrei leben kann.



okay, zwar immer noch nicht so ganz meins, aber besser, aus meiner sicht.

ach ja, ein gedanke noch, vielleicht würde es auch noch stärker wirken können, wenn du den "arzt" nicht explizit benennst? dann bliebe es doch um einiges offener.

lg
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Beitragvon Pjotr » 28.08.2023, 14:15

Vielleicht ist das Gedicht scherzhaft gemeint? Niko reimt selten, oder? Das Reimen an sich könnte andeuten, dass das Werk nicht ganz ernst gemeint ist ...

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birke
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Beitragvon birke » 28.08.2023, 14:33

ab und zu reimt er schon ;)
aber oha, ja, wäre möglich. dann fehlte mir aber doch noch ein kleiner hinweis, ein augenzwinkern. ?? ;)
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Beitragvon Pjotr » 28.08.2023, 16:50

Also vollkommen ernstgemeint wirkt das Gedicht auf mich nicht :-)

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Beitragvon Nikolaus » 28.08.2023, 19:19

Danke für eure Einwürfe!

Irgendwie liegt ihr beide falsch. Der Text ist nicht scherzhaft gemeint, will sich an Eugen Roth angelehnt orientieren. Ein wenig...
Wie Brecht mal sagte: "Ich reime viel. Das macht mir Angst! "
Dieses Gedicht war eine absolute Spontanwidmung für meine beiden Söhne. Ich schenkte ihnen jeweils mein Buch. Ohne Widmung geht das nicht. Wir trafen uns zum Feiern ihrer beider bestandenen Prüfungen als....Ärzte. Einmal als Zahnarzt und einmal als Allgemeinmediziner, Schwerpunkt Kardiologie.
So sind die Zusammenhänge. Das konntet ihr natürlich nicht wissen...

Herzlich grüßt der Nikolaus
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Beitragvon birke » 28.08.2023, 20:56

oh, okay. mit diesem hintergrundwissen wirkt das gedicht natürlich etwas anders. vielleicht täte ihm eine entsprechende fußnote gut? möge den beiden (glückwunsch!) das gelingen, was du in dem gedicht beschreibst!
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Beitragvon Pjotr » 28.08.2023, 22:08

Komm, Niko, die letzten vier Zeilen sind doch heiter gemeint. Wenn nicht scherzhaft, dann doch zumindest heiter? :-)

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Beitragvon Pjotr » 29.08.2023, 08:45

OK, ich habe mich jetzt tief in eine tragische Stimmung versetzt und sehe ein, man kann das Gedicht auch mit melancholischer Intonation sprechen. Aber nach meinem Empfinden bleibt auch da zumindest noch ein winziges Augenzwinkern dabei, spätestens bei dem Wort "sozusagen". Der Hauch von Ironie, den ich bei heiterem Lesen spüre, wird durch die Melancholie dann leider zu einem Hauch von Sarkasmus. Den kann ich dann wiederum auch nicht nachvollziehen angesichts der Information, das dieser Text ein Geschenk war.

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Beitragvon OscarTheFish » 29.08.2023, 08:53

Wie man hier mitlesen kann - und auch mir geht / ging das so - führen die Eingangsverse ohne ausreichend Hintergrundinformationen leicht in die Irre bei freier Interpretation. Auch ich resonierte anfangs mit einer Überidealisierung der beteiligten Berufsrollen (Arzt / Zahnarzt), die - in Anbetracht der letzten paar Jahre - überwiegend nicht mehr zu halten ist. Selbstverständlich gibt es weiterhin empathische moralische Ärzte, aber denen wird und wurde zunehmend das Leben schwerer und sogar zur Hölle gemacht.
Letztendlich ist die Medizin ein Bereich, in dem nur zu deutlich gemacht wurde, dass aus der Geschichte nicht wirklich gelernt wurde (zumindest von großen Teilen der nachfolgenden Generationen) und dass Geschichte in ihren Inhalten scheinbar gezwungen wird, sich zu wiederholen aus dieser Tatsache heraus.

Im Verlauf der Diskussion setzte mit den zusätzlichen Informationen abrupt ein Wandel in der Deutung ein. Aus einer großen überidealisierten Wahrnehmung und Wertung heraus verschrumpft sich der Inhalt zu einer privaten persönlichen Wunschfeststellung, die den Keim einer unschuldigen Hoffnung hervorbringt - dass sich das innere Ideal in den eigenen Nachkommen materialisieren wird. Das Resultat einer geständigen Einlassung.

Die Lyrik darf das. Der Autor darf das durch die Lyrik: Eklatante Missverständnisse hervorrufen, um den Leser als Architekt seiner Bilderwelten im unfallartigen Größenwahn zu ertappen. Auch ungewollt.
Zuletzt geändert von OscarTheFish am 29.08.2023, 10:31, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Pjotr » 29.08.2023, 09:07

OscarTheFish hat geschrieben:Der Autor darf das durch die Lyrik: Eklatante Missverständnisse hervorrufen, um den Leser als Architekt seiner Bilderwelten im unfallartigen Größenwahn zu ertappen.

Nur, um das Wort "seiner" hier grammatisch zuzuordnen:
Mit "seinen Bilderwelten" meinst Du die des Lesers oder die des Autors?

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Beitragvon OscarTheFish » 29.08.2023, 10:29

Pjotr hat geschrieben:Nur, um das Wort "seiner" hier grammatisch zuzuordnen:
Mit "seinen Bilderwelten" meinst Du die des Lesers oder die des Autors?

Ihre freundliche Frage kann ich in diesem Fall eindeutig mit "ja" beantworten.

Ertappt sich nicht manch anderer Leser dabei, dass sich in seinem Kopf (im Sinne der Imagination) z.T. riesige Bauten auftürmen, die angestoßen wurden durch schriftliche Gedanken eines Autors? Fantasie lebt von gewisser Grenzenlosigkeit, jedoch ist manches zu sehr beflügelt und verfehlt im Konstrukt ein wenig die Intention der Quelle; die Quelle als Startpunkt einer freizügigen Blaupause einer Absicht.
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