Weltabgewandtheit

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 17.04.2023, 18:55

Weltabgewandtheit

die Reflektion des Hundes im Schlaf
wenn verquer Erinnerungsbilder
ins träumerische
Bewusstsein rücken

sehe ich ihm zu wie er
die Beine und Pfoten bewegt
und denke dann immer
nun verleihen sie ihm Flügel

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 17.04.2023, 23:44

Die Idee am Ende, diesen haiku-artigen Moment, finde ich nett. Aber die Formulierungen in der ersten Hälfte erscheinen mir unnötig kompliziert, wie verknotete Sachbuchfetzen. Zu viel des wissenschaftlichen Erklärungsversuchs.

Zu viel Doppelgemoppel. Reflektion, Erinnerung, Bilder, Schlaf, Traum, Bewusstsein. Alles dasselbe Bild.

Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 18.04.2023, 00:51

Es ist ja noch gar nicht solange her, da dachte man, Tiere hätten kein Bewusstsein, und sie träumen auch nicht. Oder das Träumen wäre ihnen nicht so bewusst, wie bei uns, wenn wir aus einem Traum aufschrecken. Ich glaube sogar, dass der umgekehrte Fall, also wenn der Hund dem Menschen zuschaute, wie er im Schlaf mit den Beinen spaddelt, denken könnte, mein Herrchen träumt zu laufen, aus eigener Traum-Erfahrung des Hundes. Da würden mir aber bestimmt einige widersprechen, und sagen, ein Hund kann nicht reflektiert denken, er hat ja auch kein Selbstbewusstsein. Ich halte es für möglich, allerdings begrenzt auf eben jene Zustände, die einen Hund halt ausmachen, bezogen so auch auf ein wesentliches, aufs Laufen. Würde also das Herrchen seine Füße im Schlaf bewegen, könnte der Hund darüber reflektieren. Wenn wir Menschen tierisches Verhalten beurteilen, gehen wir ja auch von uns aus. Natürlich hat unser Denken eine viel größere Bandbreite, und wir können darüber reflektieren, ob der Hund im Traum reflektiert. Dies vermag der Hund sicher nicht.

E.

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Beitragvon Pjotr » 18.04.2023, 01:11

Ich vermute, jedes Lebewesen, dass sich neuronal steuert, hat ein Bewusstsein. (Ich nenne das "Ich-Empfindung".)

Meiner Ansicht nach ist das keine Ja-Nein-Frage, sondern nur eine Frage der Intensität. Möglicherweise ist das Bewusstsein einer Fliege geringer als das eines Menschen, aber es ist nicht null, denke ich.

Abgesehen davon habe ich den Eindruck, dass jedes hirnbesitzende Lebewesen Todesangst empfinden kann, und diese Angst kann nur ich-bezogen sein. Das Ich ist in der Angst an sich. Das Ich ist auch in der Freude an sich. Ich sehe da keinen theoretischen Bezugspfeil zwischen Empfindung und Ich, sondern beides ist Eins. Es ist ein Phänomen aus einem Guss. Deshalb hat bis jetzt auch noch niemand den Ort des Ichs gefunden. Man sucht den Baum im Wald. Im Wald der Empfindungen. Das Ich steckt in den Empfindungen selbst!

Das hat jetzt aber nix mit meiner Lyrik-Kritik oben zu tun. Die Tautologien in der ersten Hälfte könnte man auf eine Zeile reduzieren.

Epiklord
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Beitragvon Epiklord » 18.04.2023, 01:34

Eine Tautologie sehe ich nicht. Man könnte verkürzt schreiben "Wenn der Hund im Traum mit den Beinen... Aber ich wollte ja hier auch den inneren Vorgang verdeutlichen, wie ich es mir denke, wie es zustande kommt. Denn selbstverständlich ist der nicht.

Nachtrag:

Einem Affen kleben
sie ein rotes Pünktchen
auf die Stirn
halten ihm einen Spiegel vor
fasst er sich an die Makierung
ist er sich selbst bewusst
sagen sie

Beim Hund funktioniert
es nicht, er reagiert nicht
aufs Pünktchen
klar Hunde identifizieren
sich an ihrem Geruch
am Arsch und nicht
am Blick ins Gesicht


E.

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birke
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Beitragvon birke » 18.04.2023, 10:03

ich sehe ihn vor mir, den hund, schön, und ja, tiere träumen offensichtlich auch!
ja, die erste strophe könnte man vielleicht verkürzen, allerdings stört mich da nichts.
stelle mir höchstens die frage, ob es ein "träumerisches bewusstsein" gibt? gibt es ein bewusstsein im traum, oder ist das nicht dort vielmehr ausgesetzt?
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Beitragvon Epiklord » 18.04.2023, 13:30

Träumerisches Bewusstsein? Also, ich habe unlängst geträumt, mich hätte jemand mit einem spitzen Gegenstand in die Brust gestochen, habe es züngeln gespürt in mir, habe es erlebt, bewusst. Ich wachte auf und sah mich um, kein Mordinstrument in meiner Brust. Erst da war mir klar, es war ein Traum. Aber ich konnte mich erinnern, habe alles wie real erlebt, die Bilder, den spitzen Gegenstand.
Wenn es im Unbewussten sich ereignete, wie kann es mir bewusst geworden sein? Ich denke mal, es gibt dies „träumerische Bewusst-sein/werden“. Denn manchmal zweifeln wir, war es nun Traum oder Wirklichkeit.
E.

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Beitragvon birke » 18.04.2023, 13:35

ja, stimmt schon... sobald wir uns an einen traum erinnern, erlangen wir bewusstsein darüber...?
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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