ohne titel (amsel)

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carl
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Beitragvon carl » 01.06.2006, 15:00

drei zeilen in sand
geschrieben vor dem regen -
jetzt ruft die amsel.
Zuletzt geändert von carl am 01.07.2006, 13:10, insgesamt 2-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 01.06.2006, 20:12

Dem Titel gemäß ginge auch...:



eine zeile in sand
geschrieben vor dem regen -
jetzt ruft die amsel.

(Betonung auf jetzt)...Versteht man, was ich meine? (Das soll kein Vorschlag für deinen Text sein, sondern eine Antwort, bezogen auf das Schreiben)

Lisa

Cara

Beitragvon Cara » 02.06.2006, 19:28

Lisa,

ich verstehe nicht, was du meinst.....

Dass Carl "drei Zeilen" schrieb,
finde ich persönlich ganz passend,
denn es ist ja ein Haiku mit drei Zeilen...... :smile:

Carl,
ich finde dein Haiku sehr gelungen:
eine Momentaufnahme,
etwas mysteriös,
denn der Leser muss nachdenken,
was die drei Zeilen wohl beinhaltet haben
und warum die Amsel jetzt ruft.
Das "jetzt" macht , dass er aufhorcht.
Ob die Amsel wohl deshalb ruft, weil sie
als Bodengängerin die drei Zeilen noch entziffern kann???

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 02.06.2006, 21:12

Drei Zeilen im Sand finde ich sehr gelungen, dies weckt bei mir so schöne Bilder vor dem Regen/regen, so einfache Zeilen auch:

Ich
liebe
dich

oder

Du
bist
mein

so tiefe erste Erfahrungen beim Eintritt in eine neue Welt.

und dann noch die Amsel dazu!!!!!

carl: Volltreffer, so war es , und ich denke, so ist auch bis heute vielen.

moshe.c

Orit

Beitragvon Orit » 02.06.2006, 22:51

Hallo Carl!

Du hast es so wunderschön mit so wenigen Worten ausgedrückt:
Auch wenn der Regen die Worte wieder weggewischt hat,
bleibt das, was die Worte ausgedrückt haben. :wub:

§blumen§
Orit

carl
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Beitragvon carl » 27.06.2006, 06:29

Liebe Lisa, lieb Cara, liebe Orit, lieber Moshe,

mir liegt dieser Dreizeiler sehr am Herzen!
Daher freut es mich besonders, dass er euch gefällt...
An sich ist der Titel unstatthaft. Eigentlich müsste der Leser die Erfahrung haben, dass die Amsel der einzige Vogel ist, der während des Regens singt, also selbst ergänzen, dass in der Zwischenzeit die Schrift vom Regen fortgewaschen wurde.
Ob nun eine Zeile, oder drei? Ich weiß es nicht. Auch Deine drei Worte, Moshe, lassen sich ja in einer Zeile schreiben.
Ursprünglich hieß es:
"mein name in sand
geschrieben nach dem regen
jetzt singt die amsel."

Liebe Grüße, Carl

Gast

Beitragvon Gast » 27.06.2006, 08:19

Guten Morgen Carl,

gerade fiel mein Blick noch einmal hellwach auf dein Haiku

Die Überschrift darf wirklich nicht da stehen, da gebe ich dir vollkommen recht.
Und noch etwas, aber ich lange gebraucht um das für mich herauszufinden...
Da wo Sand ist, (Meine Gerdanken werden sofort an einen Strand gelenkt) singen Amseln nicht, bzw. sind keine Amseln...

Auch auf die Gefahr hin, dein Haiku nun zum Einsturz zu bringen, wollte ich dir das nicht verschweigen.

Dabei finde ich es selbst so wunderbar...
Ich habe keine Idee, was diese kleine Schwäche im Text heilen könnte.

Dann fiel mir auf dass in der ersten und dritten Zeile eigentlich alles gesagt ist...
(Ich weiß, silbenzahl und die Verbindung zum Text selbst, der 3 Zeilen hat)...

Es ist mir nicht leicht gefallen, das zu schreiben, glaub mir, ich habe das Gefühl als zerstörte ich etwas.
Da ich aber immer versuche offen und ehrlich am Text zu bleiben, konnte ich nicht anders.

Liebe Grüße
Gerda

carl
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Beitragvon carl » 27.06.2006, 18:03

Liebe Gerda,

ich schätze Deine Direktheit und Ehrlichkeit sehr! Deine Genauigkeit am Text.
Danke für Deinen Kommentar...
"Sand" ist nicht immer gleich "Strand". Es gibt auch in Großstädten genug sandige Stellen um ein paar Zeilen hinzukrizeln, bei einer Parkbank etwa, oder nebem einer Bushaltestelle, oder in einem Vorgarten.
Und Amseln gibts da!
Du hast aber insofern recht: Es ist keine unmittelbare Beobachtung! Damit widerspricht es dem Haiku-Prinzip. Es bleibt eine Montage zweier Erfahrungen: vielleicht merkt man das.
Das wäre ein kaum heilbarer Makel...
Hingegen die mittlere Zeile:
Wenn der Titel fehlt, ist sie der einzige Hinweis auf dieses wunderbar melancholische Erlebnis der singenden Amsel im Regen. Ohne Titel (und so muss es ja auftreten) wird der eh schon große Sprung zu weit.
Und es fehlt der Hinweis, dass die Zeilen weggewaschen sind. verloren...

Liebe Grüße, Carl

aram
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Beitragvon aram » 27.06.2006, 19:10

lieber carl,

für mich ist der titel die einzige schwachstelle dieses gedichtes - die mittelzeile impliziert das 'nach dem regen' (oder aber 'im regen') für mich schon,
und so ist es mir zu redundant, zu sehr "reingedrückt" und zerstört dadurch die spannung.

daher verstehe ich gar nicht deinen kommentar:
die mittlere Zeile:
Wenn der Titel fehlt, ist sie der einzige Hinweis auf dieses wunderbar melancholische Erlebnis der singenden Amsel im Regen. Ohne Titel (und so muss es ja auftreten) wird der eh schon große Sprung zu weit.
Und es fehlt der Hinweis, dass die Zeilen weggewaschen sind.

-? -außerdem widerspricht gerade dem der titel - die amsel singt im regen - was ich auch viel schöner finde.

"mein name" könnte für mich z.b. titel sein (natürlich aus deinem kommentar erschlossen - ich finde diesen bezug sehr schön und stark, er ginge ansonsten in der abstraktion verloren) - (dann vielleicht naheliegender 1 zeile, muss aber nicht sein):
mein name // eine zeile in sand / geschrieben vor dem regen - / jetzt ruft die amsel.

jedenfalls lese ich das gedicht erst jetzt, durch die kommentare angeregt, ohne titel - und finde es wunderbar.

liebe grüße,
aram

ps. - oder hab ich was übersehen, hat das gedicht 3 zeitebenen?
für mich geben die beiden ebenen 'vor dem regen' und 'jetzt' ein vollständiges, berührendes bild

carl
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Beitragvon carl » 28.06.2006, 06:44

lieber Aram,


so wie jetzt, ohne titel, ist das Gedicht gemeint, muss es bestehen. Er war eine spontane Handlung, weil ich meinen Lesern zuwenig zugetraut habe, schäm.
Ob "jetzt" heißt "im regen" oder kurz "nach dem regen" bleibt offen.
Für mich ist es im regen...
Eine Frage bleibt auch die erste Zeile:
"mein name in sand"
"die zeile in sand"
"drei zeilen in sand"
stehen zur auswahl.
"drei zeilen" ist reflexiv und bezieht sich auf das gedicht selbst.
"die zeile" lässt am meisten offen, auch die Interpretation Lisas, dass es sich um die letzte Zeile des Gedichts handelt, die man dann sinngemäß so lesen kann: "die amsel ruft 'jetzt'".
bei "mein name" spielt sich das ego vielleicht etwas zu sehr in den Vordergrund: die eigene Identität wird fortgewaschen wie ein Name in Sand. Etwas dramatisch. Inspiriert durch einen bekannten englischen Dichter, der zu Lebzeiten keinen Erfolg hatte und in Rom an der Tuberkulose gestorben ist. Komme nicht auf den Namen...
Seine letzten Worte sollen jedenfalls gewesen sein:
"Mein Name, geschrieben auf Wasser."
Ich habe oft das Gefühl, dass es meinen Gedichten auch so geht...

LG, und Dank für eure Kommentare! Carl

Herby

Beitragvon Herby » 28.06.2006, 09:44

Lieber carl,

mir gefällt dein kurzer Text so, wie er ist, ausgesprochen gut! Habe ich sehr gerne gelesen.

Du schreibst in deiner letzten Antwort:

Inspiriert durch einen bekannten englischen Dichter, der zu Lebzeiten keinen Erfolg hatte und in Rom an der Tuberkulose gestorben ist. Komme nicht auf den Namen...
Seine letzten Worte sollen jedenfalls gewesen sein:
"Mein Name, geschrieben auf Wasser."


Du meinst John Keats, der 1823 in Rom starb und dort auf dem protestantischen Friedhof begraben liegt. Auf seinem Grabstein finden sich die Worte:

"Here lies one whose name was writ in water."

Liebe Grüße
Herby

Gast

Beitragvon Gast » 28.06.2006, 11:01

Lieber Carl, was doch ein Buhstabe für eine Kraft hat... ;-)
Jetzt, da du wie folgt und formuliert hast:

drei zeilen in sand
geschrieben vor dem regen -
jetzt ruft die amsel.,

nämlich in statt im , suche ich keine "Strandnähe" mehr...

Ohne Titel, so wie es ist, jetzt: WUNDERBAR!
§blumen§
Gerda

Louisa

Beitragvon Louisa » 28.06.2006, 13:56

Hallo Carl,
also in meinem "Aphrodite-Buch" O:) ...ist die Amsel ja ein eindeutiges Symbol für eine werbende, buhlende, verliebte Dame...

Ich habe deshalb gedacht: Ein Mensch hat traurige Worte gedankenverloren in den Sand geschrieben (das ist schon einmal sehr schön!). Er war so niedergeschlagen und sehnsüchtig, dann hat es auch noch geregnet, aber díese triste Stimmung wurde vom "Amselgesang" durchbrochen.

-Dann lese ich von Deinem Namen und denke darüber nach, ob es sich doch eher um eine Identitätskrise in einer schwierigen Lebensphase handelt und merke: Hier ist fast jede Interpretation zulässig.

Wenn Du dem ganzen einen großen Titel geben würdest, was genau dieses Gefühl umschreibt, was Du eigentlich ausdrücken möchtest, fände ich es besser!

Zum Beispiel: Suche nach mir oder Stilles Selbst oder was auch immer Du eigentlich sagen wolltest (das waren keine guten Vorschläge, ich weiß)...

So ist es mir zu allgemein, aber das Bild ist wundervoll! Ich werde es nicht so schnell vergessen.

Liebe Grüße, louisa

Gast

Beitragvon Gast » 28.06.2006, 14:10

Liebe Louisa, wenn Carl, das was du vorschlägst machen würde, wäre es kein Haiku mehr...
LGG


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