bergdorf

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Werner
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Beitragvon Werner » 06.08.2021, 21:22

ausgetreten die stufen der steinernen treppen
wege durchs verlassene dorf
ein barschild über einer tür erinnert
dass hier einmal menschen lebten
sich trafen und tranken und redeten
geblieben sind
nur ein paar eidechsen
schlangen im gras
und vielleicht der eine oder andere skorpion
in einem keller
das ortsschild rostet und schlägt im wind
der wanderwegweiser ist neu
drei stunden bis auf die nächste bergspitze
fünf bis in die stadt im tal
ich mache noch schnell ein paar fotos

jondoy
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Beitragvon jondoy » 08.08.2021, 00:39

klar beschrieben, für mich daher eher prosa,
als wenn mir jemand ein foto von dem ort zeigt,
die stimmung da drauf find ich gut eingefangen
die armut und das harte leben in dieser abgeschiedenheit
hat vielleicht so mancher in der bar ersäuft,
dort oben wohnten keine glücksritter,
alles andere als romantisch,
der letzte satz heisst übersetzt: mit freundlichen grüßen tourist
in der stadt ist alles besser,
die massenfluchten aus den großstädten im späten 21. Jahrhundert
konnten die sich damals noch nicht vorstellen
die armen eidechsen,

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birke
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Beitragvon birke » 11.08.2021, 00:48

ja, solch verlassene orte gibt es... irgendwie muss ich auch an siebenbürgen denken... dein bild von solch einem ort gefällt mir gut, sehr treffend.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Werner
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Beitragvon Werner » 22.08.2021, 20:18

ja, solche dörfer gibt es jede menge ... den letzten satz lese ich doch anders, mehr in dem sinne, wer sonst als touristen, gehen heute in solche orte? die "ästhetik" der armut bzw. der verlassenheit, des zerfalls usw. ist immer eine sehr problematische, als städter oder später und anders lebender sieht man sogar romantik und nostalgie darin? das hat dann schnell etwas exotisches und anziehend fremdes? ich stehe da immer sehr zwiespältig gegenüber und fotografiere dort eigentlich nicht gern ... danke euch.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 27.08.2021, 21:56

die von dir beschriebene sichtweise hätte ich aus dem text heraus so nicht erwartet, deswegen antworte ich darauf, unsere meinungen unterscheiden sich eigentlich nur um Nuancen, wer sonst als touristen geht heute in solche orte, das stimmt schon, nur ganz wenige Ausnahmen, Kapital, dass, wenn es Gewinn wittert, bereit ist, den letzten Winkel aufzukaufen und aus ihm ein Gentrifizierungsprojekt zu machen - als Kind habe ich in den Bergen einen Ort besucht, wie aus der Zeit gefallen, an dem mir die gleichaltrigen einheimischen Kinder, denen ich dort begegnet bin, nachhaltig in Erinnerung geblieben sind, nach Jahrzehnten war ich wieder dort, bis auf das Ortsschild habe ich ihn nicht wiedererkannt, er hat sich in eine futuristische Kapitalanlage mit Chalets und optisch beeindruckend in die Gebirgslandschaft gesprengte, fünfsternig edel schimmernde Bausünden verwandelt, mich hätte brennend interessiert, ob die Kinder von damals heute die Inhaber jener Gebäude oder bloß Angestellte deren Betreibergesellschaften sind, .....oder Aussteiger, ich weiss von einem Paar, das hat vor ein paar Jahren in Deutschland sein Haus verkauft und in einer ungenannt bleibenden, verlassenen Ortschaft im Zentralalpenmassiv sich eine Hausruine gekauft, die sie sich als neue Homebasis für einen einfacheren Lebenstil auserkoren haben, ohne Sanitär-, mit Internetanschluss, und führen dort seit einigen Jahren auch so ein Leben nach dieser Passion, haben ihren Worten also Taten folgen lassen....und natürlich Jäger, die kommen fast überall hin....so ist das mit den Dörfern, wie mit den Menschen, sie verwandeln sich in Greise und Städte oder verschwinden in Erdschichten, Meeren/Seen/Kohleabbaugebieten, werden zerstört oder verfallen, Steine finden sich zusammen zu neuen Dörfern, ein Kommen und ein Gehen....
an diesem Text hat mir übrigens seine klare Aussage gefallen, ich habe es mit diesem Bild umschrieben, es wirkt auf mich, wie fotografiert, Ich fotografiere übrigens auch und gern, am liebsten Menschen.

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Werner
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Beitragvon Werner » 30.08.2021, 22:35

ja, so kann es auch gehen, alles ist nagelneu auf den alten grundmauern, sauber entkernt ... die kinder, sitzen vielleicht in der karibik und trinken cocktails von dem geld aus den verkäufen ... oder, sie haben alles unter wert einem investor verkauft ... da verschwindet kultur, sprache, alter dialekt vlt., die lebensgrundlagen sind keine karge berglandwirtschaft mehr sondern gewinne aus aktienhandel in der stadt, oder ein bankmanager braucht einen rückzugsort, um kraft für neue anstrengende geschäfte zu tanken? die facetten können wirklich sehr vielfältig sein. oder, das inzwischen wertlose land gehört irgendwelchen erben, die schon lange woanders leben und sich ihrenlebensunterhalt nicht als bauern verdienen? die ruinen verfallen weiter ... keiner interessiert sich mehr für den abgelegenen, fast verschwundenen ort, eine erinnerung auf einer wanderkarte ... aber, solche veränderungen sind nicht neu, archäologen graben in solchen dörfern und städten, die es manchmal jahrtausende nicht mehr gibt, alte hochkulturen, von denen man manchmal kaum noch einen namen weiß ... das gab/gibt es aber nicht nur in europa, in afrika, asien, amerika, australien ist es kaum anders ... erhalten leiben meist nur verwitterungsresistente baumaterialien, holzerne bauten in den feuchthumiden kaltzonen haben kaum überlebt, steingebäude schon eher ... zumindest erkannt man bei genauem hinsehen noch grundmauern einzelner häuser, wege usw.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 31.08.2021, 23:57

... danke dir.


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