Haushaltsputz

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klara
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Beitragvon Klara » 31.12.2020, 10:40

Das alte Jahr verblutet, und die bange Frage
„Was wird?“ hält kargen Trost bereit
Im Herzen sammelt sich das Blut für kalte Tage
und wappnet sich für neues Leid

Der HAUSHALT ist kein würdiger Ersatz
für den Kontakt zu Menschen, die abstrakt
werden: zu bürokratischen PERSONEN
wie die Begegnung zum SOZIALKONTAKT
und alles Leben Haushaltsartefakt
Als müsse man Lebloses noch betonen

Kontakt zu Töpfen, Betten, Klopapier
ist nicht verboten: Zu den Dingen
muss niemand die Kontakte reduzieren
Verboten sind Friseure – der Barbier
käme zu nahe. Untersagt ist auch das Singen
und Miteinandersprechen: Worte können infizieren!

Die Haut, der Atem, das Beisammensein…
Das Nahe, Leichte, Tastende, ganz fein…
Das Kitzeln, Lachen, Frosch aus Hälsen Husten…
Das zärtlich andern in den Nacken Pusten…
Das Küssen, Füßeln, Ineinandergleiten…
Das Witzeln, Hecheln, Gliederbreiten…
Das Händeln, Tändeln, Rückendrücken…
Das weiche Streichen zum Beglücken…
Das einfach-so, ganz ohne Absicht, unbekannt, Zusammenstehen…
Das Schulterstreifen, Ineinanderübergehen… –
Das Menschsein sozusagen, ist nicht drin
Das Menschsein hat im Infektionsschutz keinen Sinn
Das Menschsein lädt im Gegenteil Verderben ein
Und doch hindert das Menschsein Menschen, Mensch zu sein

Das Impfen hilft – so hofft man – morgen…
irgendwann… Der Mensch jedoch lebt nur (und stirbt nur) jetzt
PERSONEN stehen in Papieren – Menschen dicht an dicht
Haushaltspapiere mögen Zahlen – Menschen Sorgen
Im Haushalt kann man rechnen oder putzen, bis es blitzt
– nur lieben – das kann so ein Haushalt nicht.

Froh bin ich, hier, in meinem Haushalt, nicht im Streit zu sein
Das Neue Jahr beginnt mit altem Trost
Doch sogar diese Freude friert im Schutzmaßnahmen-Frost:
Ich bin allein.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 31.12.2020, 12:21

Hallo Klara,

ein großer Text. Ich hoffe, mit baldigem Verfallsdatum und viel Erinnerungswert.
Dass Menschsein sich nicht ewig isolieren lässt, Brot allein nicht reicht. Auf der anderen Seite nützt es ja nichts und ich will weder selbst röchelnd sterben noch wünsche ich das jemanden, erst recht nicht durch mich.

Das alte Jahr verblutet, und die bange Frage
„Was wird?“ hält kargen Trost bereit
Im Herzen sammelt sich das Blut für kalte Tage
und wappnet sich für neues Leid

das doppelte Blut würde ich überdenken, gerinnt vielleicht statt verblutet?

Schön das Herausstellen der sprachlichen Bürokratisierung des Menscherlaubtseins in dem Text.


Das Neue Jahr beginnt mit altem Trost

klasse

Durchhalten.

Liebe Grüße
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Klara
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Beitragvon Klara » 02.01.2021, 12:14

Danke dir, Nifl!
Über das doppelte Bluten habe ich nachgedacht, bin aber noch nicht schlüssig.

Jemand anders, der irgendwie Profi ist, schrieb zu dem Text Gegenteiliges:

"Den Hausputz bringe ich nicht, weder das Gedicht, noch die Änderungen. Das Gedicht fängt ganz gut an, beginnt dann aber zu schwimmen und verliert frappant die lyrische Form."

Tja, was schließe ich daraus frappanterweise?

Grüße ins Neue Jahr

Klara

Nifl
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Beitragvon Nifl » 02.01.2021, 12:43

*lach. Ich dachte immer das heißt frappierend. Ja, es ist schon Klara avantgardistisch, aber wenigstens hat er nicht den Reim gefordert, dann hätte ich gerne den Namen zum Streichen gewusst. Ist eben immer das Spiel zwischen den rückwärtsgewandten Formdreschern und denen, die eigene freie Wege gehen.

Wünsche dir auch ein schönes Jahr!
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)


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