[- stille ist nicht -]

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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birke
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Beitragvon birke » 16.12.2020, 12:40

.

meine stille ist nicht still
sie rauscht
in meinen ohren
ein meer
ein gebirge
klangteppich
landendes flugzeug
und ab und zu
ein gläserner ton

.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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birke
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Beitragvon birke » 18.12.2020, 09:05

hmmm, ja, vielleicht ist das eine gute idee. werde ich auch mal ausprobieren im text. danke nochmals!
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 18.12.2020, 17:54

Interessant. Solche sprachlich übersetzten Lautstärke-Probleme ergeben sich in meiner Interpretation von vorn herein nicht. Der Text beginnt mit "meine stille ..." -- es geht um jene Stille, welche mancherorts zu gewissen Zeiten in einer idealen Welt erscheint, aber beim Lyrischen Ich eben nicht. Das Lyrische Ich sagt in der ersten Zeile, dass diese ideale Welt nicht der eigenen Welt entspricht (im Sinn von "mein Grün ist nicht grün"). Das eingeführte Wort "Stille" dient also der Mitteilung, dass hier dessen Gegenteil zutrifft. Auch dasjenige, was nicht ist, muss man beim Wort nennen können als Zeiger auf dessen Abwesenheit.

Kurz gesagt:

"meine stille ist ..." lese ich als poetisch-ironische Destillation von
"die normalerweise zu erwartende stille ist in meinem Fall ..."

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birke
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Beitragvon birke » 18.12.2020, 22:09

ja, genau, pjotr. heißt: das landende flugzeug ist für dich legitim hier? stimmig?
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 18.12.2020, 23:58

Ja, für mich stimmig.

Ich kann da alles mögliche hören, beispielsweise auch das brüllende Rauschen einer Meeresbrandung, das Poltern einer Berglawine, und das ferne sanfte Brummen eines Flugzeugs (mit dem Reinhard Mey gerade über den Wolken war).

Wenn ich auf ganz hohem Niveau ein winziges Detail kritisieren würde, dann nur das Wort "landende". Das Wort ist das einzige im Text, das auf eine Geschichte hinzuweisen scheint, obwohl es keine Geschichte gibt, sondern einen Zustand. "Meer", "Gebirge" -- und vor allem "Klangteppich" -- sind Zustände. Zeitlos. Wenn dabei jetzt ein Flieger landet, ist dessen Vorkommen gleich vorbei. Das zerstört den Zustand. Ich würde nur "flugzeugmotoren" schreiben. Das reimt sich sogar auf "ohren", haha.

Interessant in dieser Diskussion ist, dass auch Amanitas grandiose Bilder für mich fast immer vollständig aus "Zustand" bestehen, ohne Geschichte. Eine Geschichte sehe ich erst, wenn sich irgendetwas zielstrebig von A nach B bewegt *, was zum Beispiel der Fall ist, wenn man aus dem fahrenden Zug sieht, was ersichtlich wird beispielsweise durch horizontale, unscharfe Verschmierungen in Fahrtrichtung.

Aber ansonsten sehe ich ausschließlich Zustände. Wie auch in diesem Gedicht. Wenn da irgend ein Anfang oder Ende erscheint, ist der Zustand futsch.


* P.S.: Jetzt könnte man einwenden, dass auch ein altes, faltiges, unbewegtes Gesicht eine Geschichte erzählen kann, nämlich eine Lebensgeschichte. Das stimmt. Aber auch da steckt das A-nach-B-Prinzip drin. Jede Falte steht für einen Ort entlang der Reise. Das alte Gesicht ist die Karte einer langen Geschichte. Das ist nicht ein einzelner Schnappschuss eines Zustands, sondern die Geschichte vielerlei Zustände, die nach und nach bereist wurden.

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birke
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Beitragvon birke » 19.12.2020, 10:22

ja, schon ein zustand, aber doch auch einer in bewegung, die stille ändert sich ja ständig, das rauschen, je nachdem, mal meer (mal weniger, haha), mal gebirge, mal ein ganzer klangteppich usw. … also, bisher bin ich noch nicht zu hundertprozent überzeugt an dem landenden flugzeug etwas zu ändern – wobei „flugzeugmotoren“ auch was hat, v. a. klanglich in bezug auf die „ohren“ ;)

danke dir fürs reflektieren, lieber pjotr, interessant und aufschlussreich. :)
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Nikolaus
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Beitragvon Nikolaus » 20.12.2020, 22:58

Liebe Diana,

ein feiner Text von dir!

meine stille ist nicht still

Tztzzzzzz.... Still.... Stille..... Eine Wiederholung in nur einer Zeile! ;):

sie rauscht
in meinen ohren
ein meer

Hier mag ich den Doppelbezug von Zeile 1 auf 2 und von Zeile 2 auf 3. Soetwas mag ich sehr!

(ein meer)
ein gebirge
klangteppich
landendes flugzeug

In beiden ersten Zeilen wiederholt sich anfänglich "ein". :oberschlau:
Ich finde den "Zusammenfluss" dieses Abschnittes zu abrupt. Es fehlen die Artikel warum nicht etwas fließender? Z. B. so...

ein meer
oder gebirge
der klangteppich
landender flugzeuge

Nur mal meine Variante.

und ab und zu
ein gläserner ton

Diese beiden Zeilen wären es meiner Meinung nach wert, abgesetzt zu werden.
Gerade nach dem flugzeug Lärm ist ein gläserner ton eine brüchige Oase.

Aber hey... Jeder hat seinen Schreibstil und seinen Blick auf geschriebenes.
Ich finde dennoch deinen Text sehr eindringlich!

Herzliche Grüße - Niko
Ich lese Lyrik. Das spart Zeit.

(Marilyn Monroe)

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birke
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Beitragvon birke » 21.12.2020, 10:52

lieber niko

Nikolaus hat geschrieben:meine stille ist nicht still

Tztzzzzzz.... Still.... Stille..... Eine Wiederholung in nur einer Zeile! ;):


(ein meer)
ein gebirge
klangteppich
landendes flugzeug

In beiden ersten Zeilen wiederholt sich anfänglich "ein". :oberschlau:


kleine retourkutsche? ;) ich nehme an, du beziehst dich auf meinen kommentar zu deinem gedicht? ich hab doch nie gesagt, dass ich wiederholungen in einem gedicht per se verteufele, aber es kommt ja so sehr aufs gedicht an, auf den inhalt, den sprachfluss, rhythmus, auf die worte selbst natürlich, auf die funktion der worte im gedicht, auf die wirkung, die erzielt werden soll, naja, wie auch immer, hier jedenfalls passt das für mich so.

was dies angeht:

Nikolaus hat geschrieben:(ein meer)
ein gebirge
klangteppich
landendes flugzeug

Ich finde den "Zusammenfluss" dieses Abschnittes zu abrupt. Es fehlen die Artikel warum nicht etwas fließender? Z. B. so...

ein meer
oder gebirge
der klangteppich
landender flugzeuge

Nur mal meine Variante.



das würde den sinn schon ganz schön verändern, denn ich meine nicht "oder" sondern wenn schon überhaupt "und", ob gleichzeitig oder nicht, sei dahingestellt, oder klärt sich auch in der nächsten zeile, klangteppich, und mitnichten meine ich den "klangteppich landender flugzeuge". aber okay, deine sichtweise, deine ergänzungen, wären so sicherlich auch denkbar, wenn auch nicht für mich in diesem gedicht.

hab dank, auch für die positive kritik! freut mich, wenn's doch insgesamt gefällt.

lg, diana
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