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hitze

Verfasst: 12.11.2018, 23:41
von Thomas Milser
01/VI/2018

hitze


die hitze
kommt jetzt
aus den schränken

wenn du die türen öffnest
um einen teller herauszuholen

die luft ist
schmelzendes messing

die fliegen
irisieren blaugrün

und der köter vom nachbarn kläfft sich
um seinen nicht vorhandenen verstand

Verfasst: 12.11.2018, 23:46
von birke
hundstage... kommt mir da in den sinn oder nicht enden wollender sommer 2018... spürbar und greifbar in deinem gedicht :daumen:

lg von birke, die gerade seltenem regen lauscht

Verfasst: 13.11.2018, 00:14
von Pjotr
Guter, sinnlicher, bestdestillierter Tomtext. Könnte dazu sofort zehn Bilder herstellen.

Ich habe jetzt diese Hitze gar nicht mal aufs aktuelle Wetter bezogen. In Schränken verbirgt sich ja oft so einiges ... was dann einem multi-sinnlich ins Gesicht geht ...


P.

Verfasst: 13.11.2018, 01:16
von Thomas Milser
Pjotr hat geschrieben:Guter, sinnlicher, bestdestillierter Tomtext. Könnte dazu sofort zehn Bilder herstellen..


Das freut mich sehr, Meister H.H.

Wie du weißt, schätze ich deine Meinung sehr.

Und bei der Installation "Selbstbildnis mit Pflug" hattest du auch Recht, dass das Blau in der Furche nicht passe, und ich noch aus Jux schrieb, "na dann wahrscheinlich Gold".

Und genau so wird es kommen: Die Furchte wird verblattgoldet. Oder mit Walzengold belegt.

Danke.



Pjotr hat geschrieben: Ich habe jetzt diese Hitze gar nicht mal aufs aktuelle Wetter bezogen.


Ja, gilt aber nicht für November (oder nur ein bisschen), denn schau mal aufs Datum des Textes ... war da eher warm ...

Verfasst: 13.11.2018, 01:24
von Thomas Milser
birke hat geschrieben:hundstage...


Yes, Mam.

Als wintergeborener Nordmann, der gerne ab April draußen unter'm Schlauch duscht, sind Temperaturen über 25° ein Greuel, ja, sogar etwaige körperliche Anstrengung gilt es dann zu vermeiden ...

Verfasst: 13.11.2018, 01:30
von Thomas Milser
Pjotr hat geschrieben:bestdestilliert ... .



Das ist übrigens ein Höchstlob.


Destillation und Komprimierung sind ja geisteswissenschaftlich nicht allzuweit voneinander entfernt ...

Verfasst: 13.11.2018, 01:44
von Pjotr
Tahaha ... ab April draußen unterm Schlauch ...

Alter Friese.

Gold. Genial! Da wär ich nicht drauf gekommen. Aber das ist genau die Art symbolischer Aufwertung, die ich meinte -- in welcher Art auch immer.

Überschriften gehen mir rein und raus. Römische Ziffern darüber kommen erst gar nicht rein. Aha, das war also im Juni. Trotzdem, ich las da kein äußerliches Sommerwetter raus. Ich spürte das Wetter im Schrank. Und roch dabei sogar ein bisschen Schrankholz.

Verfasst: 13.11.2018, 13:44
von Werner
woher weißt du, dass der köter keinen verstand?

Verfasst: 13.11.2018, 14:56
von Thomas Milser
Werner hat geschrieben:woher weißt du, dass der köter keinen verstand?
hat.




Weil ich sein Schöpfer bin ...

Verfasst: 13.11.2018, 18:00
von Nifl
Ja, das Allwissende hat mich auch gestört, zumal die Verstandlosigkeit wohl eher auf den Nachbarn zutrifft. Ansonsten sehr atmosphärisch, oh ä, falsches Wort bei dem Text... Schmelzendes Messing habe ich noch nicht gesehen, trotzdem ist dieses Schranköffnen meine Lieblingsstelle im Text.

Grüße

Verfasst: 13.11.2018, 18:46
von Pjotr
Meiner Auffassung nach vermittelt die Phrase "kläfft sich um seinen nicht vorhandenen verstand" kein autor-externes Wissen sondern eine autor-interne Empfindung (und die ist übrigens immer wahr, aber darum geht es mir jetzt nicht). Die Phrase ist ein Synonym zu "kläfft wie blöd". Der Hund nervt und wird aber auch akzeptiert, und diese Empfindung und Haltung schreibt man eben nieder auf irgendeine originelle, nicht allzu ernste Weise. Das Hundebild steht schon in der vorletzten Zeile. Die allerletzte Zeile verbildlicht nicht mehr den Hund, sondern den Gesichtsausdruck des Sprechers; also dessen Empfindung und Haltung während er das Hundebellen wahrnimmt. Die Empfindung und die Haltung stecken allein in der Art, wie die letzte Zeile geschrieben ist; der Hund per se als externes Objekt ist an diesem internen Punkt nicht mehr relevant. In meiner Wahrnehmung zumindest.

Ein ähnliches Gesichtsbild sehe ich beispielsweise beim Lesen dieses vermeintlich "allwissenden" Bukowski-Satzes:

"Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu ..."

Da sehe ich weniger die Menscheit in ihrem abstrakten Zeughabenmangel, sondern einen bukowskischen Gesichtsausdruck beim Sprechen eines derartigen Satzes. Der Satzstil allein drückt das Bild aus, mit tausenden Details.