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Der Bänkelbarde

Verfasst: 05.12.2016, 12:07
von ZaunköniG
Der Bänkelbarde


Verehrte Damen, werte Herren, sehen
Sie mild den mittellosen Dichter an!
Kommt! bleiben Sie für zwei Minuten stehen
und hör'n Sie, was ich für Sie machen kann.

Ach, schöne Reime habe ich zu Hauf,
Lass' für sie Jamben und Trochäen laufen. -
Mein Herr, ich seh' ihr Portemonnaie trägt auf,
Woll'n Sie vielleicht ein Knittelverschen kaufen?

Und Sie? Sie haben sicher ein paar Cent.
Ist denn der Tabak- und Kaffeegenuß,
das, was man heut' ein gutes Leben nennt?
Sehr preiswert ist bei mir der Musenkuss!

Mein Herr, Sie sehen kunstbeflissen aus,
und wenn ich das so sagen darf, nicht arm!
Wie wär ein Souvenier vom Opernhaus?
In Reimform hätte es ganz eignen Charme.

Ich akzeptiere gern auch fremde Währung.
Vielleicht ein Limerick? Ein Triolett?
Ob als Verriss, Ob vorzeitige Ehrung, -
Ihr Obolus macht meine Mühe wett!

Und Sie? Verärgert sie die Politik?
Für ein paar überzählige Euronen
verfasse ich Polemik und Kritik,
werd' nicht die Bonzen, nicht die Kirche schonen!

Kommt, kratzt zusammen eure letzten Groschen.
Auch er, der seinen Job verloren hat,
bekommt aus meiner ungewaschnen Goschen
sein Henkerslied und eine Moritat.

Und Du? Du schätzt doch auch die Phantasie!
Wir wissen, welche Blüten sie oft treibt.
Nun steh' ich hier und werb' um die Marie, -
Man muss ja schließlich zuseh'n, wo man bleibt.

Hi

Verfasst: 05.12.2016, 15:29
von Kurt
Ich finde es sehr schön, in dieser Form mal wieder etwas zu lesen, nach dem ganzen Braingestormten, das ja auch ganz interessant und in schönen Worten daherkömmt.
Eine Literaturzeitschrift, mit einem Mix von Gedichtformen wie dieser, dürfte auch eine umfangreichere Leserschaft ergeben.

LG Kurt

Verfasst: 05.12.2016, 16:42
von ZaunköniG
Ich glaube auch, dass eine solche Zeitschrift erfolgreich sein könnte.

Speziell dieser Text gehört aber eher auf die Bühne oder als Performance in die Fußgängerzone.
Gerne auch begleitet mit etwas Gitarren-Geschrammel.

Verfasst: 11.12.2016, 09:48
von OscarTheFish
Das Gedicht ist sehr gelungen.
Lyrik trifft auf bittere Realität und gewinnt am Ende immateriell, da es die Wurzel allen Lasters (das Geld) mit ihren Methoden zumindest als Projektion (und damit inhaltlich) auf ihre Seite zieht. Der Dichter in der Rolle des Maklers und Vollstreckungsgehilfen sowie Vater aller Zeilen, denn die Lyrik ist ohne harte Arbeit (exogen) nicht in der Lage, sich selbst zu bereichern.
Am Ende bleibt die Trutzburg eines neuen Werkes. (sie überdauert auch die schlechten Zeiten)