die sinnfrage des dichters

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Estragon

Beitragvon Estragon » 05.05.2016, 14:33

vielleicht wird einer

wenn er krank ist

ja sterbenskrank ist

wortwörtlich wieder gesund

wenn er das gedicht gelesen und

es ihm gut getan hat und der

sterbende denkt

woher kommt dieses feingefühl

was beherrscht uns mehr

sind es die krankheiten oder

ist es der regen der draußen plätschert

tatsächlich hörte er das plätschern

aber auch das gedicht hörte er

er hörte es durch sich hindurch und

der dichter

der sich von keinem gedicht mehr etwas verspricht

der an das baldige schweigen glaubt

rettet sich

in dem er fragt

was ist wenn es den sterbenden mit einem mal wieder besser geht und

alle die ihn bereits abgeschrieben haben das gedicht staunend ansehen


er möchte die sprache durch die nase ziehen

es breitet sich aus in ihm

er möchte teil dieses nachmittags sein

wenn die schmerzen der sterblichen die luft

besteigen und erkennen

da liegt ein gedicht

es schweigt

aber wenn wir es aufheben

werfen wir den nagel zu unserem sarg zur seite und

machen weiter

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 18.05.2016, 14:05

Hallo Estragon,

das gefällt mir sehr gut in seiner Bewegung. Nur die Betonung des Sterbens in Zeile 3 und 7 ist/will mir zu viel. Die Macht, die dem Gedicht damit zugesprochen wird, die Behauptung, die darin liegt, geht mir zu weit, als dass ich es einfach annehmen kann und für das Gedicht wirken lassen. Zeile 3 würde ich wohl für mich streichen und in Zeile 7 den Sterbenden ersetzen durch ein "er".
werfen wir den nagel zu unserem sarg zur seite und

machen weiter
Hm. Das ist echt schade. Klingt nach Ratgeberbuch. Das ist mir zu platt und nimmt damit dem Gedicht für mich jede Kraft. Mit dem Titel geht es mir ähnlich.
Oder ich muss wirklich weit ausholen und das ganze Gedicht unter diesem Licht ausbreiten und nur darauf anwenden.

Liebe Grüße
Ylvi
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 18.05.2016, 14:14

Ging mir ähnlich. Das Gedicht hat mir gefallen, sehr sogar (das "Sterben" habe ich ohnehin nicht wortwörtlich genommen), aber das Wegwerfen des Nagels und vor allem das "Weitermachen" ist mir auch zu flach.
Mir wäre es am liebsten gewesen, ich hätte nach "da liegt ein gedicht" nicht weitergelesen, das wäre ein schöner Schluss ...

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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(Ikkyu Sojun)

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 18.05.2016, 20:11

Es ist wichtig, zu betonen, dass dieser Mensch nicht nur krank, sondern sterbenskrank ist. Wenn er nur an einer Grippe leiden würde, wäre das Gedicht, die Aussage des Gedichts, witzlos.

pjesma

Beitragvon pjesma » 21.05.2016, 13:07

ich finde da schöne stellen, bin mir auch nicht sicher dass die gedichte irgendwie als heilmittel verschrieben werden sollten ;-), reicht es nicht wenn sie erfreuen? aber allgemein zu düster die stimmung in deinem gedicht, estragon. sorry.


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