Berlin im Frühjahr

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Schwanenschrei

Beitragvon Schwanenschrei » 24.05.2006, 00:08

Berlin im Frühjahr

ich stieg aus auf die linie und versuchte
mich an den versudelten ghetto
statuen zu orient
ieren wie an leucht
feuern
auf denen brannte der
taubenkot

da nahm ich einen großen
schritt über die luft
brücke und mir floss deutschdeutsch
die spree
zwischen die beine

später hörte ich zwei russen
singen „näher
mein Gott zu dir“ und neben
zwei comic
helden an der wand:
eine rasierte „Venus
in Furs“ an der Straßenecke
suchte auf knien
nach ihrem messias

Max

Beitragvon Max » 17.07.2006, 22:01

Liebe(r) Schwanenschrei,

ein zu Unrecht überhaupt nicht kommentiertes Gedicht finde ich.

An Berlin hängt irgendwie mein Herz, vielleicht weil ich mal dort gewohnt habe und ich bei einigen Gedanken leicht sentimental werde
:blink2:

Ich finde Berlin in deinen Zeilen und Bildern wieder, fühle mich zurückgezogen. Einzig bei den versudelten Ghettostatuen fallen mir nur eine verschmierte Thälmannstatue und ähnliche Übrbeleibsel der DDR ein.

Sprachlich finde ich das Gedicht außerordentlich gelungen, wie Du beispielsweise das "orientieren" trennst, so dass man die Orientierung verliert!

Danke, ein guter Text
Max

Schwanenschrei

Beitragvon Schwanenschrei » 17.07.2006, 22:41

Lieber Max,

herzlichen Dank für deine Worte. Ich war leidre nur kurz zu Gast in der Hauptstadt, allerdings bin ich mit vielen Eindrücken nach Hause gekommen. Eine davon war die der Ghettostatuen. Ohne dir beispiele nennen zu können, erinnere ich mich an einige. Manche mehr, manche weniger versudelt. Manche mehr, manche weniger Statuen ;)

Das Erzeugen neuer Wortbedeutungen durch platzierte Umbrüche ist etwas, das ich gerade erfolgreich bei mir erprobe, schön dass es dir gefällt.

Noch einmal Danke für deine Zeit!
Schwanenschrei

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 18.07.2006, 08:33

Hallo Schwanenschrei,
Hallo Max,

als gelegentliche Berlinbesucherin sind mir die vollgesprayten Statuen und Denkmäler auch ins Auge gefallen. Nicht, dass anderswo die Denkmäler sauberer wären! Wirklich nicht. Aber irgendwie kommt das in Berlin anders rüber. Hast du, Max, dafür eine Erklärung?

Liebe Grüße
Marlene

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.07.2006, 10:26

Liebe(/r??) schwanenschrei,

ich kann mich dem Lob nur anschließen. Ich finde auch, dass du es schafft unterschwellig die geschichte der Stadt (des Landes) aufleuchten zu lassen, das schafft eine besondere, harte Stimmung.

Die Umbrüche von roentieren und leichtfeuer finde ich auch gelungen, besonders da sorientieren, das fühlt sich sehr analog zum Inhalt an. Schön auch dieser durch den text ambivalent wirkende Titel dazu.

Haben die Russen wirklich auf Deutsch gesungen?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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