Richtung Meer

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 14.05.2006, 14:41

25/VII/2004

richtung meer

(überarbeitet)


das einst so stolze volk
hat das schwelende dorf verlassen
die leichen sind beigesetzt
für kreuze hat es nicht gereicht

in klappernden holzkarren kauern sich kinder
unter dreckigen decken zusammen und fressen staub
wie das übriggebliebene vieh
abgemagert und verängstigt

kälber und fohlen verenden auf dem weg

allein
ein herrenloser köter
streunt noch durch die gassen
dürr und verlaust und geprügelt und geschunden

kommt ängstlich und demütig näher
und leckt meine blutigen, schlammigen fesseln
wir schauen uns an
wir sind die letzten

"komm!" sage ich leise,
"lieber freund,
wir können hier nichts mehr tun,
die prinzessin ist tot."

und mit eingekniffenem schwanz
und salzigen tränen
verlassen wir das dorf
in die andere richtung

richtung meer
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 16.09.2006, 13:05, insgesamt 4-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 15.05.2006, 12:53

Lieber Thomas,

erstmal willkommen im Forum. Ich finde es gut, Dich nicht nur im WEettbewerb, sondern auch hier lesen zu können. Dein Gedicht ist ja schon beinahe eine Erzählung, die sich verkleidet hat. Aber da möchte ich eigentlich keine klare Trennlinie ziehen.
Sprachlich scheint mir die "humaoide Wolke" in den ansonsten sehr anschaulichen Schilderungenleicht gekünstelt. Interessant finde ich das Auftauchen der "Primnzessin", die realistische Erzählung ins märchenhaft Surreale hebt. Insgesamt sehr gelungen und ich bin gespannt auf mehr.

Liebe Grüße
Max

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.05.2006, 13:03

Hallo Max, herzlichen Dank.

Mit der Wolke muss ich Dir Recht geben, die ganze Strophe ist so ein bisschen misslungen. Mal schauen, was da besser geht....

Die Prinzessin ist natürlich die sinnbildliche Liebste, die für immer fort ist, (schnüff, ist sie immer noch...), und da mir ein gewisser Hang zur Überzeichnung anheim ist, ist auch dieser Text so entstanden. Freut mich, wenn's angekommen ist.

Thomas.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.05.2006, 13:08

So besser?

Max

Beitragvon Max » 15.05.2006, 13:17

Lieber THomas,

gefällt mir in der Tat besser, merci!
Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 16.05.2006, 08:18

Hallo Thomas!

Das ist fast schon eine kleine Geschichte, die mir auf Grund ihrer Bilderfülle und dem direkten Einstieg sehr gefällt!

(Besonders die Szene mit dem Hund mag ich...)

Ich wüsste auch nichts daran zu kritisieren.

LG, louisa

Gast

Beitragvon Gast » 16.05.2006, 13:14

Hallo Tom, dein Wunsch sei mir "Befehl"

ich hoffe du nimmst mir nicht für Übel, dass ich als erstes sage Sehr schön, aber warum hier gepostet und nicht unter Kurzprosa?
Vielleicht sollte Lisa den Thread in Lyr. Prosa umbenennen, dann finden sich zwangsläufig Texte, die keine "richtige" ;-) Lyrik analog Prosa sind, dort ein... (Richtig und falsch gibt es ja eigentlich nicht).

Jetz meine Frage:
Mächtest du den erzählenden Charakter deines Textes erhalten, oder dachtest du daran ihn noch mehr zu verdichten?

Beides wäre ja möglich und würde dem Text nichts von seiner Güte nehmen. Mir gefällt die eindrignliche Sprache samt verwandten Bildern sehr. Ich hatte bisher nichts dazu geschrieben, weil ja dort schon eine Reihe von Kommentaren gepostet

Hier habe ich etwas anzumer(c)ke(r)n... ;-)

Das in den folg 2 Strophen verwendete Bild, des herrenlosen streunenden Köters, fällt gegen die anderen ab, da würde ich in jedem Fall kürzen,
weil zu oft schon gelesen...

allein
ein herrenloser köter
streunt noch durch die gassen
dürr und verlaust und geprügelt und geschunden

kommt ängstlich und demütig näher
und leckt meine blutigen, schlammigen fesseln
wir schauen uns an
wir sind die letzten


Fast immer sind es die Hunde, die mit den Menschenbis zum Ende bleiben. Das ist zwar eine Tatsache, der Hund, der älteste Freund des Menschen, ja, aber es lässt sich anders formulieren denke ich, ich probier's, mit Kürzung:

Der letzte Hund (Hund klingt hier besser fast brutaler mit dem "letzte" davor)
nähert sich ängstlich
demütig schleckt er meine...

Es sind zu viele Adjektive enthalten, die den Leser erschlagen und sich gegenseitig die Wirkung nehmen.

So, lieber Tom, vielleicht kannst du damit etwas anfangen,.
Ich habe mir bewusst nur einen Teil deines Textes ganz genau vorgenommen, weil ich meine, dass du die Stellen , wo eder Text Straffung vertragen kann, selbst heraus findest.

Liebe Grüße und revanchier dich mal bei einem meiner Texte, das würde mich freuen.

Gerda

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.05.2006, 13:57

Hi Gerda, Mensch, Du bist ja fleißiger als ein Bienchen... :grin:

Tja, Kurzprosa... erzählende Lyrik... so ganz klar sind mir da die Abgrenzungen ehrlich gesagt nicht. Ich habe hier ja immerhin noch die Versform verwendet und hoffe damit eine gewisse Rhythmik zu erzeugen, insofern würde ich das aus meiner Erkenntnis noch unter 'Lyrik' setzen. Aber da gibt es mit Sicherheit unterschiedliche Auffassungen.

Und Straffen möchte ich da ehrlich gesagt nicht mehr so viel. Es ist auch immer schwierig, im Nachhinein ein anderes Wort einzufügen, was man nicht selbst gedacht hat (der letzte Hund), weil das dann mit anderen kollidiert oder sich gar wiederholt; da ist man schnell dabei, den ganzen Text umzukrempeln, und soweit möchte ich dann doch nicht gehen. Bei der humanoiden Wolke, die Max zurecht kritisierte, war es relativ einfach, weil das so offensichtlich sprachlich raushaute. Aber zum Beispiel 'Hund' und 'Köter' sind zwei ganz verschiedene Wesen, da ändert sich auch die Sekundärbedeutung. Die Dichte des Textes entsteht hier - hoffe ich - nicht durch die Komprimierung, sondern durch die bedeutungsschwangeren Adjektive und Bilder, und auch durch deren Vielzahl. Mag sein, dass das so Mancher als überladen empfindet.
Da aber der ganze Text ja eine Metapher für den Verlust der Liebsten darstellt, und das wirlich mit zu den furchtbarsten und schmerzlichsten Erfahrungen für mich gehörte, konnte die Butter seinerzeit gar nicht dick genug auf dem Brot sein, was die Dramatik und die Düsternis angeht. Du hättest mal die ersten Entwürfe sehen sollen, da bog sich noch der Tisch vor Zentnerlast, und nach beiden Seiten tropfte flüssiger Granit.O:)

Ich werde Deine Anregungen mal sacken lassen, aber ich befürchte, dass es nicht in meiner Macht steht, das noch zu verdichten. Dann wäre es für mich einfacher, einer komplett anders aufgebaute Variation zu erfinden, die neben dem Original existieren könnte.

Freut mich, dass Dich auch meine Meinung zu Deinen Texten interessiert. Ich habe mir Dein 'concerto' angesehen und festgestellt, dass es mir intellektuell nicht anheim ist, dazu einen Kommentar abzugeben. Das ist eine andere Liga. Außerdem holpert mein Lateinisch etwas in letzter Zeit, und ich verfüge nur über eine äußerst lückenhafte, klassische Bildung. Da kann ich schlichtweg nicht mitreden. Und für ellenlange Recherchen bin ich einfach zu faul. Das mache ich im Beruf genug. Wenn Literatur mich nicht sofort ergreift oder berührt, interessiert sie mich nicht. Banal, was? Is aber so!

Aber im Archiv liegen ja etliche andere Texte von Dir, die ich mir zugegebener Zeit mal in den abendlichen Rotwein tunken werde.

Beste Grüße vom Tom.

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Beitragvon Thomas Milser » 16.09.2006, 13:05

Später Nachtrag:

Habe heute noch diese Strophe komplett entfernt:

nur noch ein schatten vergangener größe legt sich
in die purpurfarbene hügelkette
die graue menschenwolke versinkt
in der tiefebene ihrer hoffnungslosigkeit


Pathos, der du bist im Himmel.... weg damit. Braucht kein Mensch.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


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