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Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Gast

Beitragvon Gast » 11.05.2006, 13:37

Bei der Accountlöschung bat die Autorin darum, dass ihre Texte gelöscht werden. Dieser Bitte kommt die Administration nach.
Zuletzt geändert von Gast am 14.06.2007, 20:09, insgesamt 1-mal geändert.

Last

Beitragvon Last » 11.05.2006, 14:14

Hallo Gerda,
ein schönes Gedicht, auch wenn ich mich inhaltlich etwas distanzieren muss.
Das Motiv, das du verwendest ist bekannt, man kann damit entweder die Freiheit, oder aber die Verunsicherung als Grundgefühl malen. Du hast dich für die Verunsicherung entschieden ("ohne festen boden"), aber auch Antriebslosigkeit kommt hinzu ("ruderlos", "hängende segel") Es muss so windstill sein, das auch der Kompass unnütz ist, das annst du vielleicht noch mehr mit einer kleinen Umstellung betonen: "hat der kompass /
seine bedeutung verloren"
"das logbuch bleibt unberührt" hier entfernt sich meine Auffassung von der dargestellten, denn genau in diesen zeiten, wenn es nicht vorangeht und man auf den Wind wartet, macht man die Logbucheinträge, vielleicht in Form eines gedichtes, oder als rein gedanklichen Prozess.
"kein lotse in sicht" heißt ja, dass es keinen Führer gibt, Eltern, Freunde oder ähnliches übernehmen nicht diese Funktion, und so gelangt man nicht in den Hafen (den du vielleicht erwähnen solltest, so sieht es so aus, als ob das Schiff auf hoher See ist, in alle Richtungen nur Wasser, da kann also kein Lotse sein, denn der befindet sich in Hafennähe, diese Distanz könnte noch addiert werden).
Der Schluss ist hervorragend gelungen, sehr tiefgründig und gut geschrieben, auch wenn ich wieder anderer Meinung bin (Sternenmeere gehören nicht in eine andere Welt, man orientiert sich als erfahrener Seemann am Nordstern. Wenn der Horizont dann verschwimmt kann man kaum noch unterscheiden, ob man im Wasser oder im Himmel ist, man fühlt sich stimmig.)

Gast

Beitragvon Gast » 12.05.2006, 11:09

Lieber Last,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.
Vor dem realen Hintergrund der Seefahrt hast du selbstverständlich Recht mit deinen Einwänden.
Aber überlege einmal, kann das "Logbuch" nicht für etwas anderes stehen?
So viel sei dazu gesagt:
ich beschreibe eine Lebenssituation des absoluten Stillstands.
(Nicht nur der Wind steht still).
Es gibt nichts, was wert wäre aufgezeichnet zu werden...
Genauso ist es mit den Sternenmeeren.
Interessant finde ich, dass du den Schluss als gelungen betrachtest, obwohl du inhaltliche Einwände hast :???:

Liebe Grüße
Gerda :smile: :smile:

Herby

Beitragvon Herby » 12.05.2006, 11:33

Ja, Gerda, gefällt mir sehr gut, dieser Text. Verschwimmende Tage ... ruderlos treibend ... dunkle Horizonte ... sehr ein- und nachdrücklich!

LG Herby

Last

Beitragvon Last » 14.05.2006, 10:10

Hallo Gerda,

ich habe schon verstanden, was du eigentlich meintest :smile:

Die Einwände hinsichtlich deines Gedichtes beziehen sich genau darauf, ich sehe es anders. Stillstand ist notwendig auf dem Weg zum Ziel, um neue Ziele zu erahnen, um über Erlebtes zu referieren, oder um einfach mal auszuspannen. Das Leben läuft nach dem System von Systole und Diastole, Einatmen und Ausatmen, Spannung und Entspannung, selbst wenn man denkt alles stünde still, hat das seinen Grund. Aber das ist halt Meinungssache...

Über die Lotsen-Hafen-Geschichte solltest du vielleicht nochmal nachdenken.
Vielleicht:
Fernab vom Hafen,
kein Lotse in Sicht
:???:

Gast

Beitragvon Gast » 15.05.2006, 17:31

Ja, Last, du hast Recht, das "fernab vom Hafen" beginnt tatsächlich mir in meinem Gedicht zu fehlen ;-)
Ich muss dennoch darüber nachdenken, weil es die Interpretationsmöglichkeiten einschränkt wie ich finde...
Kurz und gut, ich habe es mir notiert, kann Monate dauern, bis ich sicher bin, was nun (nach meiner Meinung) besser ist , vielen Dank lieber Last.

Gruß
Gerda

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.05.2006, 14:34

Hallo Gerda, na dann will ich's mal wagen, auch, wenn noch gar nicht Rotwein-Zeit ist. Also bei fettarmer Ökö-Milch und Radieschen mit Meersalz. Passt ja auch gut.

Generell tue ich mich immer schwer mit dem Kommentieren, was das Emotionale oder die Ausdrucksform angeht, zumal dann, wenn dies mit sicherer Sprache, schönen Bildern und klarem Rhythmus einhergeht wie in Deinen Texten. Wenn die von Dir gewählten Begriffe DEIN Gefühl ausdrücken, sind sie eigentlich Privatsache und kaum diskutabel.

Also bleibt nur das rein Inhaltliche, wenn nicht gar Logische, was ich untersuchen kann. Und da würde ich spontan in das Horn des Kollegen Last tuten mögen. Ein Boot, das so groß ist, dass es ein Logbuch führt und unter Segeln steht (wenn sie nicht gerade schlaff herabhängen), hat in der Regel von vornherein keine Ruder, sondern einen Dieselmotor. Es sei denn, Du meinst das Steuerruder, und wenn das weg ist, ist eh alles perdü. Dann müsste schon ein Wal oder ein Eisberg...oder die Schrauben ...neinnein...
Aber 'kein Diesel mehr im Tank' wäre statt der Ruderlosigkeit zugegebenermaßen wohl doch etwas sehr unpoetisch.
Dieses unsaubere doppelte Bild hier empfinde ich spontan als störend, weil ungenau bzw. unlogisch. Das gilt auch für den Kompass: Er kann seine Bedeutung nicht verlieren, höchstens seine Funktion, wenn man zum Beispiel zu nah am Pol ist oder Einer mit Magneten rumspielt. Lediglich die Richtung, die das Schiff nimmt, kann bedeutungslos werden.
Vielleicht Klugscheißerei und Pedanterie, vielleicht auch nicht.

Aber dieses Sezierend-Analytische möchte ich hier gar nicht anlegen; es brächte mich selbst um den Genuss, mich in Dein Bild zu legen, und wenn das gelingt, dann tragen Einen die letzten beiden Zeilen ganz schön weit...

Sehr schön.

Tom.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.05.2006, 14:45

Hallo,

so, nun muss ich mich doch mal in die Diskussion einklinken :grin: .

Dem Ruder im Kontrast zu den restlichen Zeilen muss ich mich leider anschließen. Ich glaube aber, dass man das eine Wort ohne Verlust streichen kann:

verschwimmende tage
auf see
ohne festen boden
mit hängenden segeln
treibend.


Die Zeilen aber will ich verteidigen:
der kompass
hat seine bedeutung verloren


Ein Kompass kann aber sehr wohl seine Bedeutung verlieren. Es ist mir im Zusammenhang mit den letzten beiden Zeilen sogar das liebste Bild...

Wenn jemand völlig andere Meere durchschifft, Meere, die nicht von dieser Welt, dann kann auch der Kompass seine Bedeutung verlieren. Ihn einfach kaputt gehen lassen oder dergleichen wäre viel weniger aussagekräftig. Die gängigen Himmelsichtungen existieren nicht mehr, weil es überhaupt keine Richtungen mehr gibt...keinen einen Punkt, nach dem der Kompass seinen Ausschlag richten kann...
Und wenn nicht so gelesen, dann kann der Kompass seine Bedeutung zumindest für das Ich verlieren. Er ist nicht mehr von Bedeutung.

In diesem Sinne, der Kompass muss weiterhin seine Bedeutung verlieren Gerda :grin:
Lisa

Gast

Beitragvon Gast » 14.06.2007, 20:08

Liebe Lisa,

als erstes möchte ich um Entschuldigung bitten, dass dieser Text in den Untiefen des Salons vor sich hin dümpelte (ganz boot) und ich nicht mehr auf deinen Kommentar eingegangen bin.
Leider vergaß ich, mir ein Lesezeichen zu setzen. (Wahscheinlich habe ich damals noch nicht einmal begriffen, dass dieses geht)
Daran gearbeitet habe ich während der Zeit, die vergangen ist (über 1 Jahr!) :rolleyes: aber nicht.

Jetzt endlich, sehe ich klarer.
Ich werder "ruder" opfern, ich seh ein, dass das wohl technisch ein Ding der Unmöglichkeit ist, wen ich im Bild bleiben will.

Danke, dass du den Kompass derart verteidigt hast. Denn den geb ich nicht her. Auch wenn ich denke dass, dass Tom Recht hat, einen Kompass braucht ein Schiff, aber hier ist "Kompass" als Metapher gedacht für Struktur im Leben (die ihre Bedeutung verloren hat).

So, das war jetzt reichlich spät, :icon_redface2: aber immerhin doch noch.

Liebe Grüße und danke
Gerda

Chiquita

Beitragvon Chiquita » 15.06.2007, 21:03

hallo gerda, die melancholie und ziellosigkeit des dahintreibens über manche strecken des lebens gekonnt in ein bild gekleidet. obwohl das bild schon reichlich abgegriffen ist, weil es fast von jedem lyriker durchgelutscht wurde.

gruß
chiquita

Gast

Beitragvon Gast » 16.06.2007, 12:12

Hallo Ralph,

och ja, was da "Durchlutschen" angeht, hast du sicher Recht ...
Mich hat es nicht gestört, als ich 2004 die Idee hatte und sie umgesetzt habe.
Du hast ausgerechnet diesen Text erwischt, in desses Thread seit über einem Jahr eine Antwort föllig war und ich dies nur zufällig bei der Besprechung eines anderen Textes bemerkt habe.
Lies mal neuere, vielleicht sind die nicht so durchgelutscht, vom Thema her. ;-)

Ich danke dir jedenfalls fürs Lesen und dein Lob.

Liebe Grüße
Gerda

Gast

Beitragvon Gast » 07.07.2007, 22:55

Liebe Gerda,

ohne unverschämt sein zu wollen, wollte ich dir einen drastisch gekürzten Vorschlag unterbreiten.
Auch mit anderem Titel... So finde ich es viel dichter und - meinem ganz persönlichen Geschmack halt entsprechend - ambivalenter.

Ich hoffe, du magst ein Auge drauf werfen.

LG

Bea



treibend

der kompass
hat seine bedeutung verloren
das logbuch bleibt unberührt
kein lotse in sicht

nachts
lecken wasser
dunkle horizonte
vereiteln die suche

sternenmeere gehören
in eine andere welt

Gast

Beitragvon Gast » 08.07.2007, 03:21

Ein nächtliches verwundertes Auge äugt und äugt ...

Liebe Bea, ich denke verwundert, dass son oller Kahn noch aufgemöbelt werden soll ... tztztz. ;-)

Nicht übel, aber ich irgendwie ist der Text sowieso schon so weit weg von mir ... für mich fertig.
Bei Tageslicht schau ich noch Mal.

Vielen Dank für dein Interesse.

Liebe Nachtgrüße
Gerda

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 08.07.2007, 09:38

Hallo gerda,

schön, dass Beatrix dieses Gedicht aus der Sargasso-See des Salons wieder herausgeholt hat.

Gefällt mir sehr gut, wobei ich den einen oder anderen Teil als nicht unbedingt notwendig ansehe.

das "keinen festen Boden" unter den Füßen ist normal auf See (das Schiff lass ich da nicht gelten, es ist ein Holzkonstrukt, kein "Boden")

Das "treibend" ist ein jein. Du schreibst, dass der Text vom Stillstand handelt, aber wenns treibt, dann ist das kein Stillstand. Hast du da mehr ein "dümpeln" im Kopf gehabt?

Den Kompass, der seine Bedeutung verliert, find ich schön. Er ist dem Lyrich egal, so hab ich das gesehen. Auch keine Eintragung ins Logbuch, weil es nichts einzutragen gibt, was nicht eine Wiederholung wäre.

Den Lotsen find ich eher unstimmig. Den gibts nur in Hafennähe für mich, auf hoher See nicht. Dort wird auch (für mich) nach keinem Ausschau gehalten, weil er nicht erwartet wird. Als Symbol für Hilfe, die erwartet / erhofft wird, kann ich das auch nicht unbedingt sehen.

Insgesamt gehts mir aber wie Tom. Ich kann das eine oder andere Bild kritisieren, aber das Gedicht funktioniert trotz meiner abweichenden Sichtweise.

Gruß

reimerle


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